111 Songs: Niels Frevert – „Niendorfer Gehege“

In der Rolling-Stone-Beilage: "Pop in Deutschland" haben unsere Autoren 111 Bands und ihre besten Songs zusammengetragen. Frank Lähnemann erklärt, warum „Niendorfer Gehege“ von Niels Frevert einer davon ist.

Ja, ich mache noch Musik“, raunt Niels Frevert ganz lakonisch und ganz beiläufig in „Niendorfer Gehege“. Dabei gab es nicht wenige, die ihn nach „Seltsam öffne mich“, seinem zweiten Album von 2003, und einer darauffolgenden Schaffenspause bereits abgeschrieben hatten. Der Ex-Sänger der Band Nationalgalerie, die sich 1993 mit „Evelin“ auf die sechste Ausgabe der „BRAVO Hits“ rockte, plante indes seine Häutung. Niels Frevert mochte nicht mehr gegen eine Band ansingen, sondern suchte nach einem anderen Weg, seine mit Schöngeist drapierten Alltagsbanalitäten musikalisch zu untermalen. Schließlich wagte er den mutigen Schritt hin zu einer modernen Version von Liedermacherdasein und Kammermusik. Für das 2008 veröffentlichte „Du kannst mich an der Ecke rauslassen“ stellte der Mann mit dem zerknitterten Jackett und den krummen Gedanken seine E-Gitarre in die Ecke und engagierte für die Streicherarrangements einen gewissen Werner Becker – in den 70ern als Anthony Ventura so etwas wie der deutsche Easy-Listening-König. Ein Coup: Das Ergebnis darf man durchaus als Freverts sehr frühes Alterswerk bezeichnen. Dass er hier Hildegard Knef covert (und später Herman van Veen) – kein Zufall!

„Niendorfer Gehege“ ist das Prunkstück dieses melancholischen, aber niemals trübsinnigen Reigens. In seiner nonchalanten Art schildert Frevert anhand eines Zusammentreffens mit einem Kumpel aus alten Tagen das Schlingern zwischen Annäherung und Entfremdung im Umgang mit der eigenen Vergangenheit. Nur echt mit dem schelmischen Erinnerungsschlenker zu Kiss und „I Was Made For Lovin’ You“! Die Streicher seufzen zustimmend, im Text lächeln die Hamburgensien. Nur die Hamburger Schule, die hat der „Junge, der nie übt“ weit hinter sich gelassen. Vielleicht ist Frevert ja tatsächlich der deutsche Nick Drake.

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