„Aber schön nachberichten!“ So war das Orange Blossom Special 15

Bevor am Wochenende mit dem Hurricane 2011 ein Festivalgigant die Tore öffnet, schaute Daniel Koch auf dem kleinfeinen Orange Blossom Special vorbei, das in diesem Jahr seinen 15. Geburtstag feierte.

Schon seltsam: Als man im vergangen Jahr zum ersten Mal zum Orange Blossom Special nach Beverungen reiste, war man Teil einer übersichtlichen, weil dreiköpfigen Reisegruppe. Als man sich dann ein Wochenende lang vom dort vorherrschenden „Friede, Freude, Erdbeerkuchen“ begeistern ließ, muss man danach wohl dermaßen im Freundeskreis geschwärmt haben, dass auf einmal 14 Leute beschlossen, mitzureisen – und das obwohl selbst gut informierte Indie-Connaisseure sich bei mancher Band im OBS-Line-up am Kopf kratzen mögen. Fazit am Montagmorgen: Alle Mitreisenden werden im nächsten Jahr wieder am Start sein.

Das OBS scheint aber auch bei Künstlern ähnliche Zufriedenheit auszulösen. Der Samstagsheadliner Gisbert zu Knyphausen, eigentlich schon „zu groß“ für den Garten der Glitterhouse-Villa in Beverungen, gab Anfang des Jahres seinem Booker mit auf den Weg: „Ich will in diesem Jahr nur zwei Festivals wirklich spielen – das OBS und das Haldern.“ Da waren dann sicher auch Freundschaftspreise im Spiel.

Man muss und sollte also in jedem Jahr noch einmal erklären, was denn genau den Reiz eines Festivals ausmacht, das in einem Garten einer Kleinstad im Weserberg-Land liegt und mit dem Zug wirklich sehr schwer erreichbar ist. Da ist natürlich zum einen der familiäre Magnetismus des Glitterhouse-Labels und -Mailorders, der dafür sorgt, dass ein Großteil der treuen Familienmitglieder in jedem Jahr wieder anreist. Und es ist eine dankbare Familie: So findet man ganze Reisegruppen mit selbstbedruckten Shirts, auf dem jedem Glitterhouse-Angestellten persönlich gedankt wird. Für das OBS, für all die guten Platten – und überhaupt. Das hatte zwar optisch was von Kegelausflug, aber egal. Das Festivalgelände ist ein weiterer Pluspunkt: Man bespielt einfach den Garten des „Glitterhouses“, das sich hinter der Firmenadresse verbirgt. Künstler betreten vom Balkon aus die Terrassenbühne, das Publikum verteilt sich zwischen Zaun und Kirschenbaum, die Dönerbude steht direkt vor Nachbars Garten. Das „Backstage“ ist ebenso charmant: Kaffee gibt’s in der originalen Küche, Bier trinkt man, während man an Veranstalter Rembert Stiewes Schreibtisch lehnt – und gegessen wird im eingezäunten Vorgarten. Geradezu herzerwärmend gibt sich das Personal: Die Securities grinsen und nicken die meiste Zeit., und die Damen an der Gästeliste mahnen lächelnd: „Aber schön nachberichten!“ Nicht zu vergessen ist das entspannte Campingerlebnis direkt an der Weser. Das offizielle Motto der diesjährigen 15. Ausgabe war übrigens: „You’re At Home, Baby!“ So fühlt man sich dort wirklich. Und das in Beverungen!

Musikalisch schlug man in diesem Jahr wieder einen weiten Bogen, setzte aber auf die Steckenpferde der gehobenen Songwriter-Musik und der schmissigeren, Spät-60er und 70er inspirierten Rock’n’Roll-Klänge, die man bekanntlich auf dem Label „Stag-O-Lee Records“ auslebt. Letzteres mal gelungen, wie im Falle der Haarmonster von Helsingland Underground, die ganz treffend im Programmheft mit dem Adjektiv „coolesaumetallic“ angepriesen wurden – mal etwas zäher, wie im Falle der C-Types aus Frankfurt, die stilistisch ein wenig zu sehr auf der Stelle stampften. Beide spielten am Freitag. Als „Headliner“ durften die Schweden von Golden Kanine ran, die im vergangen Jahr nachmittags aus dem Stand die gesamte Publikumsmeute für sich gewinnen konnten. Ihr melancholischer aber zumeist schwungvoller Folk, der an Mumford & Sons oder Sons & Daughters erinnert, zündete leider in diesem Jahr nur in einigen Songs – zumeist in den früheren wie „Scissors“. Zwar hatte man versucht, das etwas verhaltenere Material von „Oh Woe!“ mit bei The Great Bertholinis geborgten Bläsern aufzumotzen, was die Songs aber eher überfrachtete als bereicherte. Dennoch: Als die erste Nervosität von der Band abfiel (immerhin filmte der WDR Rockpalast mit), gab es wunderschöne Momenten, zumeist, wenn die beiden Sänger Linus Lindvall und Andreas Olrog sich mit Inbrunst in einen Refrain warfen.

Der Samstag begann mit einer dem OBS eigenen Szene: 11 Uhr morgens, keiner kennt die auftretende Band – und das Gelände ist trotz leichtem Regen rappelvoll. Wobei man sagen muss, dass die aus Norwegen stammenden Washington keine Unbekannten sind – sie wurden einfach nachträglich als Secret Act ins Line-up gequetscht, weil sie dann doch gerne spielen wollten. Die frischen Neu-Berliner nutzten den Auftritt, um neues Material vorzustellen und einem mit ihrem wavigen, melancholischen Gitarrenspiel das Hirn zu vernebeln. Klappte besonders gut bei „River Run By Night“ und einem neuen Stück, das bisher unter dem Namen „Gauloises“ firmiert. Erstaunlich welch eine Stimmgewalt Rune Simonsen entfesseln kann. Wenn sie die elegischen Pfade verlassen, kann der kleine Mann fast so herzergreifend Jaulen wie Matthew Bellamy.

Ähnlich melancholisch und manchmal ein wenig schläfrig spielten Marie Fisker und Emily Jane White auf, die zwar wunderbare Stimmen und Lieder haben, aber mit über einstündigen Sets einen langen Atem verlangten. Schwer sympathisch und vielleicht die Überraschung des Wochenendes: Dan Mangan aus Kanada, der mit Songs wie „The Indie Queens Are Waiting“ und „Tina’s Glorious Comeback“ zwischen Melancholie und Witz changierte. Mit dem Ex-16-Horsepower-Gefährten Slim Cessna und seinem Auto Club zog das Tempo dann merklich an. Ein wilder Ritt durch Country und Rock’n’Roll, vorgetragen mit Cowboyhut und einer gesunden Portion Wahn. Gisbert zu Knyphausen, dessen Anwesenheit vermutlich für die vielen jungen Damen im Publikum verantwortlich war, brachte die Meute dann galant runter und watete durch seine melancholischten Stücke. „Krähne“, „So seltsam durch die Nacht“, „Seltsames Licht“ und „Ich bin Freund von Klischees und funkelnden Sternen“ – und, wieder einmal, eine respektvolle Interpretation von „Wer ich wirklich bin“ – ganz verloren wirkte zu Knyphausen bei diesem Element Of Crime-Songs, fast so, als wüsste er gerade wirklich nicht, wer er denn nun wirklich ist. Ein einzigartigen Songwriter bleibt er dennoch.

Der Sonntag reiste schließlich musikalisch wie geografisch von Hü nach Hott: Mit Tamikrest und ihrem psychedelischen Tuarek-Sound ging es in die Wüsten von Mali, mit den Isländern Who Knew und ihrem lebensfrohen Pop in eine bunt schillernde Bar in Reykjavík, mit Madison Violet und ihrem Engelsgesang auf eine nebelige Lichtung in Kanada, mit dem Young Rebel Set in den Rauchergarten eines Pubs in Stockton-on-Tees (UK) und schließlich mit Holmes in das seltsame Grenzgebiet von „skandinavischer Americana“ – das haben wir selbst mal so in unser Magazin geschrieben, also muss es wohl stimmen.

Das 15. Orange Blossom Special war also ein würdiger Geburtstag, bei dem all die Stärken eines kleinen Herzblut-Festivals ausgespielt wurden. Und schöne Bilder hat’s auch ergeben, wie man dann bald bei der WDR-Rockpalast-Übertragung sehen kann. Ach ja – und nicht wundern: Das Festival wurde nicht vom Playboy präsentiert, sondern schon noch vom Rolling Stone. Dass viele  Künstler und Gäste Hasenohren und Puschelschwänzchen trugen, hatte eher damit zu tun, dass man sich beim OBS entschieden hatte, den 15. wie Ostern zu feiern. Warum? Fragen Sie mich nicht. Sah aber wundervoll aus…

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