Abschied vom Kindergarten

Dieser Tag in Hollywood ist sonnendurchflutet, glitzernd und bunt – hollywoodreif sozusagen. Auf dem Sunset Boulevard fließt der erste Feierabendverkehr noch ohne jede Hektik dahin. Die Mc-Donald’s-Filiale, die direkt neben den „Ocean Way“-Studios liegt, ist innen auf „Casablanca“ getrimmt. Man steht da und weiß, es ist ein Klischee – aber warum sind nur alle so unglaublich entspannt hier in Kalifornien? Der riesige Parkplatz neben den Studios leert sich langsam und gemächlich wie eine Sanduhr. Selbst der Pfortner, der den Einlaß kontrolliert, wirkt so zufrieden, als säße er hier in seinem Garten. „Ocean Way“ von innen: lange, kaum erleuchtete Gänge mit Fotos an der Wand, die meisten davon mit Widmung. Frank Sinatra, Willie Nelson, Johnny Cash nahmen hier Platten auf und bedankten sich mit einer Unterschrift. In einem kleinen Gesellschaftsraum hängt eine graue Marmorplatte: „In this Studio Michael Jackson recorded his Album fDangerous**. Der Besucher jedenfalls hat die Botschaft schon begriffen: Du bist hier nicht in irgendeinem Proberaum, mein Junge. Mitten im Herzen dieses riesigen Komplexes, dem großen Aufnahmeraum, hockt Billie Joe Armstrong auf einem Sofa und ist kein bißchen beeindruckt. ,Ja ja, das Studio ist ganz okay“, gibt er gequält zu, „aber ich hasse fuckin‘ Los Angeles. Ich hasse den Glamour, ich hasse diese Art von Hipness, ich hasse die Musiker, die hier leben und die ganzen Typen von der Unterhaltungsindustrie. Und am meisten hasse ich Schauspieler – zu schauspielern ist absolut grauenhaft, ich werde nie in meinem Leben schauspielern.“ Tre Cool, der bei Green Day am Schlagzeug sitzt, und Bassist Mike Dirnt bestätigen per Kopfnicken das Votum ihres Sängers. Sie haben sich seit ihrem letztjährigen Millionen-Erfolg mit dem Album „Dookie“ daran gewöhnt, Orte aufsuchen zu müssen, die sie überhaupt nicht mögen. Den Auftritt bei Woodstock ’94 haben sie so genossen wie einen Zahnarzt-Besuch. „Wir fuhren hin, schrubbten unser Zeug herunter und hauten sofort wieder ab“, erinnert sich Mike. „Das Publikum konnte man ohnehin kaum sehen, und das einzige, was übrigblieb, war getrockneter Schlamm.“ Und auch in der „Heavy Rotation“ von MTV sehen sie sich gar nicht gern: „Am Anfang kam es mir lächerlich vor, mittlerweile haben wir uns daran gewöhnt“, zuckt Billie Joe mit den Achseln. Aber warum müssen diese drei netten Jungs durch all das durch? Was haben sie verbrochen? Der Erfolg von Green Day, zunächst in den USA, inzwischen weltweit, ist ein Phänomen und wohl nur dadurch erklärbar, daß in dieser Band die verschiedensten Faktoren zusammenlaufen. Green Day sind eine archetypische Punk-Band und propagieren doch gleichzeitig die Hippie-Droge Pot. Green Day spielen hart, aber die Musiker haben weiche, jugendliche Gesichter. Sie treten als junge, desorientierte Rumhänger auf – aber zwei von ihnen haben bereits eine Familie. Sie sind alle Anfang 20, und viele in ihrem Publikum sind noch nicht mal 19 und glauben ernsthaft, daß mit „When I Come Around“ ein neues Leben anfangt. Man würde sich hüten, Green Day eine Teenie-Band zu nennen. Da gibt es doch noch ein paar Unterschiede etwa zu der australischen Band Silverchair, deren ältestes Mitglied gerade 16 geworden ist. Auch die sind übrigens zu dritt, klingen sehr nach Grunge und mußten sich deshalb von der amerikanischen Musikpresse als „Soundkindergarden“ verspotten lassen. Dennoch haben die Australier ihr Album „Frogstomp“ bereits in den amerikanischen Top 20 etabliert; in ihrer Heimat bekamen sie schon Platin. Während sich die damals namenlose Gruppe noch vor einem halben Jahr bei einer Visite in Deutschland übermütig wie beim Klassenausflug gebärdete und die Annehmlichkeiten der Entertainment-Maschine mit Kinder-Augen genoß, geht es jetzt ums große Geschäft. Daß Silverchair bloß mäßig begabte Epigonen sind, ist ihrem plötzlichen Erfolg nicht abträglich. Auch Bands wie Offspring und Rancid, die scheinbar aus dem Nichts kamen und sich ausschließlich bereits vorhandener Formen bedienen, gelangten nicht nur in den USA zu verblüffender Popularität. Viele werden folgen. Der Zwang der Popmusik, sich immer wieder selbst zu erneuern, läßt sie eine Schleife nach der anderen drehen: Die Musik ändert sich dabei kaum, nur das Publikum wird bei jeder Runde ein wenig jünger. „Ich finde es in Ordnung, daß uns Teens hören“, meint Billie Joe. »Als ich 15 Jahre alt war, habe ich doch auch Punk gehört – und es war nie wieder so intensiv wie damals.“ Mit „Punkrock“ meint Billie Joe allerdings nicht die „Old School“ aus England: Die Sex Pistols oder Qash hatten so gut wie keinen Einfluß auf Green Day. „Wir waren halt typische achtziger Jahre-Kids“, sagt Billie Joe. „Unsere ersten Platten waren eigentlich schon Post-Punk: Hüsker Du, Replacements – das war die Musik, die uns den Kick gegeben hat. Später haben wir auch ältere Platten gekauft. Und wenn mir heute jemand erzählt, Punkrock sei in England entstanden, dann sage ich dazu zwei Dinge. Erstens: Stooges. Zweitens: Ramones.“ Wer hätte gedacht, daß aus dem diffizilen Lärm des Post-Punk noch einmal Musik erwächst, die dann doch wieder sehr nach The Jam klingt? „Allerdings sind wir auch ganz große Beatles-Fans“, ergänzt Mike Dirnt. Undwer „Dookie“ gehört hat, dürfte davon nicht überrascht sein. Den direkten kalifornischen Einfluß der Beach Boys dagegen streiten sie ab. „Das meinen viele“, sagt Tre‘ Cool, „aber keiner von uns besitzt eine Beach Boys-Platte.“ Jetzt, wo der Ruhm nun einmal da ist, freunden sich die drei aus Berkeley langsam damit an. Aber sie achten peinlich darauf, daß die Musik in einem möglichst windstillen Raum entsteht. „Ich richte mich nicht nach Pop-Bedürfnissen, wenn ich Texte schreibe“, sagt Billie Joe, der sich spürbar die meisten Gedanken macht. „Es geht darin vor allem um persönliche Konflikte.“ Das neue Album ist reifer und härter als „Dookie“‚das Jahr des Erfolgs hat seine Spuren hinterlassen. „Auf der letzten Platte gab es schwarzen Humor, Jnsomniac‘ ist nur noch schwarz. Zum Teil ist die Platte so bitter und zynisch, wie ich es uns kaum zugetraut hätte.“ Die 15jährigen Fans werden deshalb wohl kaum ihre Green Day-Shirts ausziehen, sondern nur noch beherzter tragen. Green Day sind zum Erfolg verurteilt. Auch in Deutschland sind es vor allem die Ten-Somethings, die ihre Platten kaufen. Das muß ein komisches Gefühl sein: Vor vier Jahren noch spielte die Band in der Hamburger Hafenstraße und der Düsseldorfer Kiefernstraße – heute fliegt schon mal ein Teddy auf die Bühne. Ein ganz besonders merkwürdiges Punkrock-Schicksal und der Beweis, daß das Leben eben doch manchmal ist wie ein Song von den Ramones. Oder eben von Green Day. Im Flugzeug zurück nach Deutschland liegt die FAZ aus. Wenn man sich zusammen mit ein paar wirklich Berufenen den Kopf darüber zerbrochen hat, was Punk heute eigentlich ist, ist man für eine Definitionshilfe dankbar. Aus Anlaß der „Chaostage“ erklärt die „Zeitung für Deutschland“ ihren Lesern, was Punk ist: „Die Anhänger der Punk-Bewegung, die Ende der 70er Jahre entststanden ist, verachten bürgerliche Lebensformen‘. Sie gefallen sich darin, die Gesellschaft durch abstoßendes Auftreten zu provozieren und betrachten es als Lebenszweck, sich exzessivem Alkohol- und Rauschgiftkonsum hinzugeben. Werden sie aggressiv, sind Polizisten als Hüter der öffentlichen Ordnung ihr Hauptziel.“ Wer schenkt dem FAZ-Feuilleton-Chef Frank Schirrmacher das neue Green Day-Album? J3

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