Afrobeat! Fela Kuti!

Eifrige Journalisten entdecken mal wieder eine Bewegung

Stellen Sie sich folgende Szene vor: Ende August, ein erhitzter Nachmittag in Brooklyn. Leck geschlagene Hydranten sprühen fontänenweise Wasser in die vom Tanz aufgeheizte multi-ethnische Neighbourhood von eins bis 80. Alle haben den Rhythmus im Blut, und aus den Sound-Systems perlt der sogenannte Upper West Side Soweto der Band Vampire Weekend.

Upper West Side? Eben. Die Ivy-League-Studenten von Vampire Weekend waren leider keine Williamsburger Hipster. Trotzdem klangen sie wie eine Erfüllung feuchter Alt-Sponti-Träume — eine Band wie aus dem Notizbuch von Claudia Roth. Oder von Sasha Frere-Jones: Im Herbst 2007 – Vampire Weekend waren bereits Lieblinge der Blogs – hatte der Musikkritiker mal wieder ein paar Zeilen zu füllen. Also rackerte er sich im „New Yorker“ an dem beklagenswerten Missstand ab, dass dem Indie-Pop die schwarzen Rhythmen, wie er fand: die Seele, abhanden gekommen war. Frere-Jones vermisste den Freigeist von Bands wie Orange Juice, den Specials, The Clash und den Talking Heads, in deren Tradition sich Vampire Weekend eindeutig befinden.

Im Album-Debüt der Band im folgenden Februar manifestierte sich schließlich der fromme Wunsch des Kolumnisten – und nun sollte bitte eine Bewegung daraus werden. Auch bei uns. Weil die vom Vorjahr – New Rave! – kurz hinter der Tür jener drei deutschen Clubs verreckt war, in denen tatsächlich junge Leute mit Neon-Stirnbändern anzutreffen waren. Das Zauberwort war nun Afrobeat. Binnen Wochen mutierte jeder Provinzblattschreiber zum beschlagenen Fela-Kuti-Experten. Freilich kamen die Exegeten des movements schnell in Erklärungsnot: Dereine synkopische Song der Gruppe Foals und ausgerechnet das schon ewig aktive Antibalas-Orchester ren ein recht dürftiges Fundament. Die White Rabbits, die wegen der -^ Nutzung von Calypso-Rhythmen wunderbar gepasst hätten, rauschten gar so schnell durch, dass sie vom Kulturbetrieb gar nicht mehr verarbeitet werden konnten.

Nun ist die globalisierte Welt ja ein kultureller Gemischtwarenladen, aus dem man sich frei nach Belieben bedienen kann. Ein Umstand, den Ezra Koenig von Vampire Weekend jederzeit anzuerkennen bereit war: Der Pop befinde sich aktuell in einer Phase, in der es normal geworden sei, dass alle voneinander klauen, referierte der Sänger im „Spirf‘-Magazin. Ein über Generationen etabliertes System, das es müßig mache, die genauen Ursprünge festzumachen. Ähnlich wie Sting arbeitete Koenig noch eine Weile als Lehrer, bis er schließlich entschied, sich ganz auf die Musik zu konzentrieren.

Vielleicht muss er das irgendwann wieder tun, denn das Beispiel Vampire Weekend machte deutlich, dass das als Zukunftsoption gelobte Karrieremodell der Arctic Monkeys nur drei Jahre später wieder ausgedient hat. Weil sich das Karussell in den Blogs immer schneller dreht und die Industrie mit ihren entsprechenden Vorläufen nicht mehr mit den Fanzines unserer Tage mithalten kann. Im Web ist man inzwischen schon Mainstream – also: uncool -, bevor man ein bisschen Geld verdie-

nen kann. Insbesondere im jugendfixierten Pop-Segment muss man den Begriff Erfolg also vielleicht langsam sozialistisch oder wenigstens altruistisch definieren: Alle haben ihren Spaß, nur die Urheber können die Miete nicht mehr bezahlen. Als Vampire Weekend nach Deutschland kamen, war die Welle fast verebbt, auch wenn die Konzerthallen voll waren. Kaum jemand hat die Platte gekauft, und Ende des Jahres sprach fast niemand mehr über die Band. Was freilich auch daran liegen könnte, dass Vampire Weekend eine zwar hochinspirierte, letztlich aber härm- und folgenlose Popmusik spielen, die ein bisschen so klingt wie die Fortführung der Soziologie-Hausarbeit mit anderen Mitteln. Das eigentliche Meisterwerk konsequenter Überwindung musikalischer Segregation kam erst später im Jahr: „Dear Science“ von TV On The Radio.

TORSTEN GROSS JANUAR

Am Ende, nach wochenlangen Spekulationen, dauerte die Zeremonie nur 20 Minuten. Es war im Valentins-Monat Februar, als uns die frohe Kunde ereilte: Nicolas Sarkozy und Carla Bruni haben sich vermählt. Die amour fou des französischen Staatspräsidenten mit der italienischen Sängerin war schon länger weltweit durch die Gazetten gegangen, nun war es amtlich. Zwei Monate kannten sich die beiden angeblich erst, gerade mal dreieinhalb Monate zuvor war der Politiker von seiner zweiten Ehefrau Cecilia geschieden worden. Zu Weihnachten hatten die beiden Frischverliebten Aufsehen erregt, weil Bruni plötzlich einen großen Dior-Ring mit einem diamantenen Herzen trug. Genau so ein Juwel namens „Cupidon“ hatte pikanterweise schon Cecüia geschenkt bekommen, als sie noch höher in Sarkozys Gunst stand. Taktgefühl war nie seine Stärke.

Doch auch Bruni hielt sich mit ulkigen Äußerungen nicht zurück. Sie liebe Männer, die die Macht haben, den Atomknopf zu drücken, behauptete sie einmal. Auf ihrem Album, das gerade rechtzeitig zur Medien-Hysterie kam, gestand sie, 30 Liebhaber gehabt zu haben, wies dann aber daraufhin, dass Übertreibung auch ein künstlerisches Stilmittel sei. Ein paar berühmte Männer sind immerhin als ehemalige Liebhaber verbrieft: Mick Jagger, Eric Clapton, Kevin Costner, Donald Trump. Sarkozy, 53, liegt knapp unter dem Beuteschema-Altersdurchschnitt der 40-Jährigen, auch das wurde berechnet. Der kleine Politiker, der laut „Le Parisien“ im Wahlkämpf angeblich mehr als 30 000 Euro für Kosmetika ausgegeben hatte, gewann – wenn man einschlägigen Umfragen glauben will – durch die Liebesgeschichte mit der erotischen Sängerin plötzlich selbst an Sex-Appeal, während er zuvor eher belächelt wurde für seine Yacht-Ausflüge, Sonnenbrillen und allgemein eitlen Auftritte. Auf einmal hatte Sarkozy es gar nicht mehr nötig. Fotos retuschieren zu lassen, um sein Bäuchlein zu verbergen. Ein scharfes Ex-Model steigert den Coolness-Faktor offensichtlich ungemein – wenn auch nicht die Seriosität.

So mancher dachte bei der ungewöhnlichen Verbindung doch an den schönen Terminus „Trophy wife“. Auf der Website askmen.com (und die muss es ja wissen) ergatterte Bruni allerdings lediglich Platz drei im Rennen um die beste Trophäen-Frau – geschlagen wurde sie von zwei ehemaligen Model-Kolleginnen: Rod Stewarts Penny Lancaster und Donald Trumps Melania Knauss, die beide natürlich nicht nur erheblich jünger als ihre Ehemänner sind, sondern ungleich schöner. Möglicherweise auch ärmer. Will man Sarkozy aber nun lieber nicht als alterslüsternen Promi sehen, sondern doch als Politiker, dann fragt man sich plötzlich ganz Anderes: Wie sieht eigentlich die Ehefrau von Gordon Brown aus? Was wird die seriöse Michelle Obama von der Ex-Model/Sängerin-Konkurrentin halten? Und wie wird sich Carla Bruni mit Joachim Sauer verstehen, wenn das nächste G8-Partner-Treffen ansteht?

Während Frankreich also in diesem frostigen Februar über die faszinierende Verbindung von Popkultur und Politik, von Sex und Staatsführung diskutierte, schlug man sich in Deutschland mit einem Vorstandsvorsitzenden namens Zumwinkel herum, der in Liechtenstein Steuern hinterzogen hatte, und beim sogenannten kleinen Mann ging die Benzin-Panik um – Schlagzeilen wie „Benzin-Wucher!“, „Benzin-Abzocke“ und „Benzin-Kampf: Wann brennt’s bei uns?“ waren unser tägliches Brot. Es ging also wie so oft vor allem ums Geld. Ein bisschen Sex, ein wenig Glamour kam da gerade recht – auch wenn die Leidenschaft mal wieder nur nebenan wohnte. BIRGIT FUSS FEBRUAR

Damit das klar ist: Wir haben absolut nichts dagegen, wenn Leute wie zuletzt Udo Lindenberg mit den alten Recken in Schuhläden, Bierzelten, Olli-Geissen-Shows oder Fußballstadien ein sogenanntes Comeback inszenieren. Auch nicht, wenn zusätzlich ein die ABM in eigener Sache legitimierendes Alibi-Album aufgenommen wird. Gehört schließlich zum Tagesgeschäft, seit dem Pop die Jugend abhanden gekommen ist. Und ist es nicht schön, wenn dann für die Fans jeden Abend wieder die gute alte Zeit mit dem entsprechenden Lied in Erinnerung gerufen wird? Zum ersten Mal Susi geküsst, in Griechenland von der Hängematte gekotzt, mit den Kumpels nach Amsterdam gefahren those were die days. Nur können wir uns die absurde Vorstellung nicht aus dem Kopf schlagen, dass Pop auch hin und wieder etwas mit Kunst zu tun haben darf und sollte. Eine Erwartung, die 2008 aufs Schönste belohnt wurde: Wer hätte etwa damit gerechnet, dass die Wiederkehr der 60-jährigen Grace Jones mehr würde als eine bizarre Freakshow? Stattdessen schenkte sie uns mit „Hurricane“ ein aus der Zeit gefallenes Wunderwerk.

Das eindrucksvollste Statement kam indes von einer anderen Gruppe Halbvergessener: Stets waren Portishead als eine „andere Band“ bezeichnet worden, was natürlich auch nur eine Chiffre war, um die angeblichen Sonderlinge besser vermarkten zu können. In der Radikalität aber, mit der Portishead sich zehn lange Jahre den Gesetzen des Marktes entzogen, sah man nun endgültig, dass sie tatsächlich anders waren und sind. Sie schwiegen, als sie sich selbst und der Welt nichts mehr zu sagen hatten-und als sie schließlich zurückkamen, taten sie das zu ihren Bedingungen und mit ihrer bislang radikalsten und

auch besten Platte „Third“.

Wie viel die Geste wert war, merkte man erst, als der irrlichternde Zauber sich wieder legte und man in der ganz banalen Pop-Normalität allein gelassen wurde. Dort legte die Band, / die einmal Queen ¿war, tatsächlich ein neues Album vor. Auch sonst war die Sehnsucht nach Sicherheit und Rückbesinnung groß: Die sich anbahnende Finanzkrise, vor allem die Berichterstattung über sie, erzeugte ein Gefühl der Angst, von 1 dem auch Leute ergriffen wurden, die im sonstigen Leben gerade unfallfrei ihr Online-Konto verwalten können. Wie schön war da jenes nostalgisch wärmende Kaminfeuer, das Fluss mit Wiederkehr Portishead geben einem den Glauben an Comebacks zurück AC/DC und andere entflammten! Überhaupt stand das Jahr im Zeichen der musikalischen Entsprechung von Eigenheimzulage und Bausparvertrag, der harten Rockmusik.

Bands wie AC/DC werden ja gerne dafür gelobt, dass sie immer weiter machen. Manchmal ist es aber besser, dieses eben nicht zu tun. Wenn man nichts zu sagen hat, zum Beispiel. Definitiv Mut zur Pause bewies während der letzten 395 Jahre Axl Rose, doch im November erschien tatsächlich „Chinese Democracy“. Dramaturgisch leider eine Enttäuschung – die irrwitzige Story konnte nicht erzählt werden, Rose verweigerte sich -, war das Produkt seines Ego-Tnps zwar größenwahnsinnig wie erwartet, aber erstaunlich gut.

/“Die größte Freude war es schließlich, den 74-jährigen Leonard Cp“hen auf seiner leider wohl letzten großen Tournee zu £erleben. Natürlich auch ein sentimentaler Mo-

ment. Aber ein sehr reiner und wahrhaftiger.

TORSTEN GROSS MÄRZ

Man kann ohne Gefahr behaupten, dass 2008 nicht das Madonna-Jahr war. Nun ist auch der Hinweis billig, dass ihre Trennung von dem Regisseurs-Gatten Guy Ritchie mehr Aufsehen erregte, ja ein bedeutenderes Kunstwerk sei als das Album „Hard Candy“, eine hingeschluderte Sammlung von Dancefloor-Banalitäten mit Fotos zu dem Themenkomplex „Süßigkeiten und „Was man damit anstellen kann“. Zu hören gab es, um im Bild zu bleiben, zähe Kamellen und harte Bonschis, dargeboten von einer reschen Zuchtmeisterin, bei deren Anblick man eher an Kuschen denn an Naschen denken muss. Außerdem wurde Madonna 50 Jahre alt – eine Wegmarke, an der Frauen früherer Zeiten schon mal in den Wendekreis der Oma eintraten. Madonna müsste ihre Enkelkinder aus einem armen Land adoptieren.

Eine Nachfolgerin der Übermutter wird es nicht geben- überhaupt berufen sich geschlechtsunsichere Künstler lieber auf ihr Vorbild als veritable Frauen.

Wer weiß, was Leona Lewis oder die Pussycat Dolls über Emanzipation und Macht, zum Beispiel, denken? Welche ÜberlegungenstelltGabriellaCilmi hinsichtlich der Produktion ihrer Platten an? Wie kontrolliert Amy MacDonald den sie umgebenen Kosmos von Beratern und Ja-Sagern? Wie leitet Colbie Caillat ihrGeschäftsimperium? Mit den Casting-Shows im Fernsehen trat die bestimmende Gesamt künstlerin Madonnaschen Typs weit in den Hintergrund zugunstenderSongschreiberinund der Sängerin nachalter Weise. Aufmüpfige Solitäre wie Tori Arnos, Liz Phair oder Fiona Apple finden sich heute wieder im sogenannten Independent-Bereich und nennen sich etwa Soap & Skin oder Gustav. Etablierte Großkünstlerinnen wie Lucinda Williams oder Tracy Chapman beißen sich durch – die Williams verkauft heute sogar erstmals Platten im nennenswerten Bereich.

Die erstaunlichste Karriere im Jahr nach Amy Winehouse gelang Duffy, die lustigerweise auch Amy heißt, aber auf den Vornamen sofort verzichtete. Während die Industrie eilig Compilations mit „Soul“ auf den Markt warf, die Songs von Kim Wilde enthielten, reüssierte die Waliserin mit dem kompetent und langwierig produzierten Album „Rockjerry“, das die Generationen einte: DieÄlteren erinnern sich an Dusty Springneid, c die Jüngeren akzeptieren die Sängerin als Ausnahmetalent, das vor vier Jahren bei einer walisischen Casting-Ausscheidung den zweiten Platz belegte. So ähnlich qualifizierte sich ja in Österreich Christina Stürmer, die seit Jahren gar nichts falsch macht, passable Songs singt und auch noch sympathisch wirkt. Von Duffy hört man nichts Skandalöses und keine Dummheiten; man kann allerdings auch nicht behaupten, dass die britische Pop’Presse sie als Darling entdeckt hätte. Nach pflichtschuldiger Kenntnisnahme zu Beginn des Jahres wurde sie offenbar unter angepasster Musik als erledigt betrachtet.

Auch Adele, eine kaum 20-jährige Wundersängerin, eignete sich nicht als Winehouse-Lückenbüßerin. Die Engländerin äußert sich gescheit und uneitel zu Vorbildern und sachlichen Fragen nach den Songs, die sie singt. Sie kennt duchaus ein paar Lieder, die vor ihrer Geburt entstanden sind. Sie eignet sich nicht für Titelblätter und Fotostrecken. „Chasing Pavements“ war ein kleiner Hit, jedenfalls im Pausenprogramm von n-tv, wo das Stück erklang, wenn die Temperaturen und Veranstaltungen in verschiedenen Metropolen der Welt mitgeteilt wurden. Von verlässlicher Großartigkeit waren auch in diesem Jahr die Alben von Jolie Holland, Kathleen Edwards und Tift Merritt. Natürlich, diese Frauen schreiben zum guten Teil ihre Songs, spielen und singen sie mit selbstverständlicher Autorität und originärer Signatur. Emmylou Harris dreht noch immer ihre Runden, eleganter und schöner denn je. Und Stefanie Heinzmann, diese kecke und mutige kleine Schweizerin, wird uns womöglich lange bleiben.

ARNE WILLANDER APRIL

Lautsprecher der Liga Schwule Fußballer? Christoph Daum redet pünktlich zum Aufstieg Klartext Die Sommermärchenmacher Jürgen Klinsmann, Oliver Bierhoffundjogi Löw haben 2006 gezeigt, wie man dem plebejischen Fuß‘ ball mit hohlem Managersprech und einigen Motivationsfloskeln eine Aura von moderner Fortschrittlichkeit geben kann. Auch Bundesligafunküonäre und -trainer inszenieren sich als smarte Innovatoren auf der Höhe der Zeit, Fußballer von Beckham bis Schweini sind in den Medien zu Mode-Ikonen geworden, verkörpern einen neuen „metrosexuellen“ Männertypus, und Kulturtheoretiker wie Klaus Theweleit gaben dem einst vornehmlich proletarischen Vergnügen zudem eine intellektuelle Aura. Profivereine gelten mittlerweile als moderne Unternehmen, die Fußballer sind ihre weltoffenen Angestellten, und die Spiele lassen sich als komplexe Schaltprozesse lesen, in denen sich die Kybernetik der globalisierten Gesellschaft spiegelt. Aber ausgerechnet wenn es um das Material geht, das diesem Spiel zugrunde liegt – den männlichen Körper nämlich -, umgibt den Fußball noch immer eine Aura von Prüderie und Hinterwäldlertum. Da unterscheidet er sich also nicht wesentlich von den anderen hiesigen Volksreligionen.

Das DSF strahlte im Mai diesen Jahres die Dokumentation „Das große Tabu – Homosexualität und Fußball“ aus. Dort bekräftigten alle Funktionäre, sie hätten viele Homosexuelle in ihren Freundeskreisen, Rainer Calmund will sogar mal mit einem ein Bier getrunken haben. Und auch der rüstige DFB-Präsident Theo Zwanziger würde (sofern es sein Terminkalender erlaubt) einen empfangen, falls der sich outen wolle, „um zu verdeutlichen: Wir sind Freunde“.

Nur der im heiligen Köln schon des öfteren als Messias gefeierte Christoph Daum wagte kurz nach dem Erstliga-Aufstieg seines FC einen Widerspruch: „Da wird es sehr deutlich, wie sehr wir dort aufgefordert sind, gegen jegliche Bestrebungen, die da gleichgeschlechtlich ausgeprägt ist (!), vorzugehen“, kommentierte er pathosbeladen und sinnenthoben – messianisch eben —, um dann fortzufahren: „Gerade den uns anvertrauten Jugendlichen müssen wir mit einem so großen Verantwortungsbewusstsein entgegentreten, dass gerade die, die sich um diese Kinder kümmern, dass wir denen einenbesonderen Schutz zukommen lassen… Ich hatte da wirklich meine Bedenken, wenn dort von Theo Zwanziger irgendwelche Liberalisierungsgedanken einfließen sollten. Ich würde den Schutz der Kinder über jegliche Liberalisierung stellen.“

Stempelte Daum hier Homosexuelle als Päderasten ab? Lasst alle Kinder zu mir kommen? Acht Jahre nachdem er sich mit der Kokainaffäre aus der ersten Liga verabschiedet hatte, kehrte Christoph Daum also mit einem neuen Skandal ins Fußball-Oberhaus zurück. Schwule Fanvereinigungen und der grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck forderten eine Entschuldigung, der Trainer des 1. FC Köln jedoch beharrte aber auf seiner Position. Es gehe ihm doch nur um die Kinder, versicherte er treuherzig. Wenige Tage nachdem seine aufsehenerregenden Äußerungen an die Öffentlichkeit gelangten, fand ausgerechnet im Kölner „RheinEnergieStadion“ der „2. Aktionsabend gegen Homophobie im deutschen Fußball“ statt. Ohne Beteiligung der Bundesligavereine zwar, aber doch mit weitaus mehr Medienaufmerksamkeit als im Vorfeld erwartet. Dafür hatte der einstige und neue Lautsprecher der Liga Christoph Daum gesorgt.

Der war übrigens an gleicher Stätte ein Jahr zuvor den heiligen Bund der Ehe eingegangen. Im, Aktuellen Sportstudio“ auf die Hochzeit angesprochen, zitierte er einen alten Karnevalsschlager: „Köln ist ein Gefühl.“ Da hat er natürlich recht, schließlich ist der FC unabhängig vom Tabellenplatz der gefühligste, glamouröseste und größenwahnsinnigste Verein im deutschen Profifüßball. Und solange das Herz am rechten Fleck schlägt – der linken Rheinseite nämlich -, ist es vollkommen egal, in welchem Ohr man seinen Ring trägt.

MAIK BRUGGEMEYER MAI

fallen sie durch große Opferbereitschaft auf. Sie sind bereit, für einen Prime-Time-Sendeplatz ihr Innerstes nach außen zu kehren – oder zumindest ihre Wohnung zu zeigen, für andere C- und D-Prominente zu kochen, notfalls sogar ihre Ehe öffentlich auszuschlachten. Gerade waren Sarah Connor und Marc Terenzi, das gemischte Doppel aus der Popmusikhölle, noch etliche Folgen lang“Crazy In Love“, ein paar Wochen später sprachen sie von Scheidung.

Da ging es einem anderen Paar besser. Die Sendung von Model Jana Ina (die man eher nicht durch Model-Auftritte kennt) und Sänger Giovanni (an dessen ehemalige Band Bro’Sis man sich auch kaum noch einnert) hieß stolz .Wir sind schwanger“, und der geneigte Zuschauer durfte die beiden bei Arztbesuchen, Einkäufen und bis in den Kreißsaal begleitet – wenn er nicht gerade auf einem anderen Kanal Giovannis Ex-Kollegen Ross Antony dabei zusah, wie er für ein paar Sendeminuten auf RTL Fallschirm sprang, Sumoringen ausprobierte und -die härteste aller Härten – im Kindergarten aushalf. ¿ „Das perfekte Promi-Dinnef’gewann der notorische gut gelaunte Dschun–gelkönig natürlich auch locker. Schwierig wurde es für Rosa von Praunheim, der Kuh-Euter und Mousse au Chocolat in Kackwurstform präsentierte und zum Nachtisch in seinen S6s?M-Keller lud.

Sollte an einem Abend tatsächlich auf keinem der üblichen Sender eine Doku-Soap, Koch-Show oder sonstige Promi-Prüfung laufen, bleibt immer noch MTV. Da gibt es ja bekanntlich schon lange nur noch wenig Musik, umso mehr Platz ist also für Promi-Ringelpiez. Durch den Erfolg der Dating-Show „Flavor Of Love“ motiviert, zog MTV in diesem Jahr mit diversen ähnlichen Formaten nach: Bei „Rock Of Love“ suchte Bret Michaels das geeignete Groupie – ach nein, die Liebe seines Lebens. Bret wer? Der Sänger der Hairmetal-Band Poison, die in den 8oer Jahren ein, zwei Hits hatte. Lange her. Noch unbekannter war hierzulande allerdings Tila Nguyen, ein in Singapur geborenes Model, das angeblich in einem texanischenBuddhistentempel aufwuchs. Berühmt wurde sie schließlich als Tila Tequila, die in „Shot Of Love“ einen Partner sucht -Frau oder Mann, egal – Hauptsache quotenversprechend. Und die Zweitverwertungsmöglichkeiten! Abgelehnte Bewerber, die durch große Geltungssucht oder blanken Irrsinn auffielen, bekommen flugs ihre eigene Show – siehe „That’s Amore“, „Charme School“ oder „I Love New York“. Zur Königin der Trash-Darstellerinnen wurde 2008 Brigitte Nielsen, die erst bei Flavor Flav die Liebe suchte, dann bei „Celebrity Rehab“ den Drogen absprach und sich schließlich auf RTL Fett absaugen ließ. So barmherzig ist das Fernsehen: Auch talentfreie Starlets, die höchstens durch bekannte Ehemänner auffielen, können im fortgeschrittenen Alter mit pe-

netrantem Exhibitionismus hier ihr Gnadenbrot verdienen. Nur allzu nett darf man nicht sein, sonst endet man wie Bruce Darnell: Bei Heidi Klum entsorgt, von der ARD nach wenigen Folgen Schönheits-Nachhilfe geschasst, jetzt bloß noch Bohlens „Supertalent“-Adjutant. Vielleicht sollte er sich bei Ross Antony erkundigen, wie man es schafft, durch ständige Anwesenheit immer prominenter zu werden, bis jeder sich fragt, wer diese „Celebrity“ überhaupt ins Fernsehen gelassen hat. Das will dann wieder keiner gewesen sein. BIRGIT FUSS JUNI

Es wird Blut sein Kino jenseits der Keinhirnhasen: die Coens, Anderson, Bond und Brügge Kaum war er auf friedliche und rätselhafte Weise verschieden, wollten sie Heath Ledger den Oscar hinter‘ herwerfen: für eine bizarre Maske, die Rolle des Joker, vor der ihn Jack Nicholson (der sie vor ihm spielte) angeblich gewarnt hatte. Die Joker-Parodie von Oliver Pocher war ebenso eindrucksvoll wie Ledgers Char‘ gieren in „The Dark Knight“, einer Zivilisationskri‘ tik, die nicht so verblüffend ist, wie allenthalben nachgebetet wurde: Tim Burtons „Batman Returns“ hatte die Gesellschaft als verlogen, die Politik als korrupt und den Menschen als Bestie gezeigt – allein Danny DeVitos verbitterter Pinguin-Mann hatte menschliche Gefühle. Bei Burton triumphierte das Märchenkino, der Weihnachtszauber, das Musical. Bei Christopher Nolan sieht man bloß die Rasanz des Machbaren. James Bond wurde diesmal nicht neu erfunden, wie uns sonst jedes Mal weisgemacht wird, er ist nicht brutaler, gefühlvoller, menschlicher, härter, muskulöser, skrupelloser, sportiver, angreifbarer, blonder, älter oder erotischer. Und zur Rache hätte doch wohl ebenso jener George Lazenby Grund gehabt, dessen Frau Diana Rigg 1969 just nach der Hochzeit erschossen wurde. Doch Lazenby bekam keinen zweiten Auftritt. Immerhin ist Marc Forsters Film der kürzestete Bond – und der Titel ist der beste aller Zeiten. Mit „Ein Quantum Trost“ warb auch ein Wodka-Hersteller, samt Cocktail-Shaker, und die Wortspiele wird man noch lange in Männermagazinen und im „stern“ lesen können. Wenn nicht, in dieser Zeitschrift!

Die Coen-Brüder bekamen endlich die Oscars, die sie mindestens für „Fargo“ hätten bekommen müssen, und freuten sich auch nicht besonders. „No Country For Old Men“ ist virtuoser Nihilismus mit sicherem Blick fürs Detail und ohne Empathie für die Figuren, mit der möglichen Ausnahme des schrulligen Killers, den Javier Bardem mit wulstiger Topffrvsur gleichsam im Schlaf spielte. Schon der Münzwurf an der Tankstelle hätte für den Preis gereicht. Wahrscheinlich haben die Coens mit ihrem Asthetizismus den Geist von Cormac McCarthys Roman verfehlt, aber den las kaum jemand.

Paul Thomas Anderson hatte nach „Magnolia“ wiederum keine Chance: „There Will Be Blood“ brachte nur den zweiten Oscar für das Genie Daniel Day-Lewis. Die Fotos von Arbeitern und Ölquellen, Autos und Häusern zu Beginn des 20. Jahrhunderts – in einer Galerie auf der DVD – faszinieren beinahe so sehr wie Andersons liebevoll inszenierter Irrsinn.

Der beste amerikanische Schauspieler, Philip Seymour Hotfman, verwandelte sich in einen rauschgiftsüchtigen Spießer, der die Kontrolle verliert (in Sidney Lumets verblüffendem „Before The Devil Knows You’re Dead“) und in einen Theaterwissenschaftler, der hilflos dem Verfall seines Vaters zusehen muss (in TamaraJenkins‘ naturalistischem „The Savages“).

Der komischste, schönste, lebensklügste Film des Jahres stammt von dem Briten Martin McDonagh: „In Bruges“ hat die lakonischen Dialoge und die absurde Komik des vollendeten Erstlings. Der unvermutet sensationelle Colin Farrell und die Schauspiel-Giganten Brendan Gleeson und Ralph Fiennes tapern lebensmüde durchs mittelalterliche Brügge, treffen koksende Zwerge und belgische Nutten — und stellen sich ihrem blutigen Schicksal.

ARNE WILLANDER JULI

Es waren nur 17 Tage im Sommer 2008, aber ‚ an ihnen schien die gesamte Weltgeschichte aufgehängt. Alle globalen Probleme verdichteten sich in einem Wort – Peking. Schon ein Jahr vor den Olympischen Spielen in der chinesischen Hauptstadt begannen die Proteste gegen die Regierung der sogenannten Volksrepublik, ihre Tibetpolitik, die Arbeitsbedingungen in den Fabriken, die fehlende Pressefreiheit, Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung. Sportler, Medien und Regierungen diskutierten sogar, die Spiele zu boykottieren.

Doch am Ende kamen sie fast alle. Und die Chinesen taten ihr Möglichstes, um als gute Gastgeber zu erscheinen. Sie sperrten die Wanderarbeiter, Bettler und geistig Behinderten aus und die Regimegegner ein, verhängten Fahrverbote für die Hälfte aller zugelassenen Autos, zensierten die Medien, damit kein böses Wort die Olympia-Euphorie zerstören möge, sprühten Silberiodid-Kügelchen in den Himmel, damit sich die Wolken über dem Nationalstadion schon vor der Eröffnungsfeier abregnen konnten, und warteten mit dem Todesurteil gegen einen ehemaligen zweiten Bürgermeister von Peking, der sich bei der Vergabe der Bauauträge für die neuen Sportstätten bereichert hatte, bis nach den Spielen. Der Sommer sollte schließlich ein China-Märchen werden.

Mit Sport hatten die Olympischen Spiele also erst mal gar nichts zu tun. Und es sah auch zunächst nicht so aus, als ob die über 11 000 Athleten nach der Eröffnungsfeier etwas daran ändern könnten. Klar, es gab die Rekordjagd des amerikanischen Superschwimmers Michael Phelps, und hierzulande rührte die Geschichte des Gewichthebers Matthias Steiner, der für seine tödlich verunglückte Frau die Goldmedaillie holte. Vor allem aber las man viel über Sportler, die – als gute Gäste vielleicht – dem Vorbild des chinesischen Regimes folgten und fröhlich an sich herum manipulierten. Dopingmeldung folgte auf Dopingmeldung. Man sah sogar Pferde in der Wettkampfvorbereitung vor der Apotheke stehen (ob sie auch kotzten, ist nicht überliefert).

Doch von einem Moment auf den anderen’waren die Skandale vergessen. Alle starrten fassungslos auf einen schlaksigen schwarzen Mann aus Jamaika, der soeben das 100-Meter-Finale der Herren in Weltrekordzeit für sich entschieden hatte. Aber nicht mit angespannten Muskeln und hervortretenden Adern – sondern mit offenem Schuhband, großer Leichtigkeit und einem Sinn fü r Inszenierung.

Usain „Lightning“ Bolts Lauf erinnerte in seiner Dramaturgie an Robert Schumanns Sonate g-moll, op 22, die mit der Tempoanweisung „so rasch wie möglich“ beginnt, um kurz darauf vom Interpreten ein „noch schneller“ einzufordern. Und auch Bolts Finale war ähnlich betörend wie das beim alten Schumann. Nach 60 Metern war er uneinholbar vorn, schaute sich um, breitete die Arme zum Jubel aus und lief glückselig und unbeschwert ins Ziel, als wäre er gerade auf einer Blumenwiese nur zum Spaß einem bunten Schmetterling hinterhergelaufen.

Niemand redete nach diesen magischen 9,69 Sekunden noch über Diktatur und Doping. Karl Marx hätte geschrieben, „alles Ständische und Stehende verdampft“ angesichts dieser rasenden Bilder. Und jeder wusste etwas zu berichten über Beschleunigungund Schrittfrequenz des jamaikanischen Jahrtausendsprinters. Forscher errechneten sogar, welche Zeit er hätte laufen können, wenn er die 100 Meter voll durchgesprintet wäre (9,52 Sekunden).

Selbst Dopinggerüchte konnten dem strahlenden Sieger, der auch noch die 200 Meter und die 4xioo-Meter-Staffel in Rekordzeit für sich entschied, nichts anhaben. Er habe vor dem Rennen lediglich ein paar Chicken Nuggets gegessen, erklärte er. Mit Fast Food zum fastest man in history – das klingt eher nach einem amerikanischen Traum als nach einem chinesischen Märchen. / MAIK BRÜGGEMEYER AUGUST

Beinahe wäre im September 2008 die Welt untergegangen. Ganz ohne Pferde, Posaunen und Engel, ohne Atompilze, Hurrikane oder Flutwellen. Einfach nur verschluckt. Von einem schwarzen Loch. Gluck.

Das zumindest befürchtete der Amerikaner Walter Wagner und legte daher bei einem Bezirksgericht in Hawaii Klage gegen das Europäische Kernforschungsinstitut CERN ein. Das CERN hatte nämlich in einer 27 Kilometer langen unterirdischen Röhre nahe Genf für etwa vier Milliarden Euro den LHC (Large Hadron Collider) errichten lassen – einen so genannten Teilchenbeschleuniger, der Protonen mit einem Tempo nahe der Lichtgeschwindigkeit beschleunigen und zur Kollision bringen sollte. Dabei – so Wagners Befürchtung – würden eben diese gefräßigen schwarzen Löcher entstehen, in die wir dann hinab gezogen würden.

Nichts lagdenCERN-Forschern natürlich ferner. Sie suchten schließlich nicht nach dem Ende, sondern nach dem Anfang des Universums. Der Teilchenbeschleuniger sollte ihnen dabei helfen, einen Zustand wie kurz nach dem Urknall zu erzeugen. Dadurch erhofften sie sich Rückschlüsse auf die Entstehung unseres Universums, die dabei entstandene Antimaterie und vor allem den Nachweis eines kleinen, bisher nur in den Formeln der Atomphysiker wirklich exis-i tenten Dings namens HiggS’Boson. An dem hängt nämlich das gesamte Standardmodell der Elementarteilchen, also die Theorie darüber, was die Welt im Innersten zusammenhält. Daher wird es umgangssprachlich auch Gottesteilchen genannt.

Der unfehlbare Papst Benedikt XVI., selbst ja ein Mann von faustischem Forscherdrang, der im letzten Jahr die Nichtexistenz der Vorhölle konstatierte, hat in seiner Kardinalszeit als Vorsitzender einer christlichen Kommission festgestellt, dass weder von dem Teilchen mit dem blasphemischen Namen noch von der Atomphysik im Allgemeinen eine Gefahr für die christliche Lehre ausgeht. Schließlich läge die Schaffensperiode seines unmittelbaren Vorgesetzten ja nach neuesten Glaubenserkenntnissen zeitlich gesehen vor dem Urknall. Na, Gott sei Dank!

Aber vielleicht erschließt uns das Higgs-Boson ja trotzdem irgendwie die göttliche Logik hinter dem Universum und – wie der große Agnostiker Thomas Bernhard gesagt hätte -„allem was damit zusammenhängt“. Und wir wollen doch hoffen, dass es so eine Logik gibt. Albert Einstein, der sich mit seiner Relativtätstheoriebis auf etwa eine Milliardstelsekunde an den Ursprung des Universums heran rechnete, war sich immerhin sicher: „Gott würfelt

nicht.“ „Nein, er spielt Verstecken“, hat Woody Allen ihm Später entgegnet.

Sollten wir ihm jetzt auf die Spur kommen? Wird es möglich sein, mit dieser größten Maschine der Welt zurück an einen Punkt vor der Zeit, vor dem Raum zu reisen? 13,7 Milliarden Jahre entfernt? Ein Hauch von Ewigkeit, der bisher einzig den Religionen vorbehalten war, umweht den LHC. Vielleicht stehen wir vorm endgültigen Sieg der Aufklärung, und der Teilchenbeschleunigerwird als Repräsentant des menschlichen Griffs nach der Unendlichkeit irgendwann die Kirche in der Mitte des Dorfes ablösen.

Eine Gefahr geht von diesen Gottesmaschinen jedenfalls nicht aus. Das hat Albert Einsteins Vertreter auf Erden, Stephen Hawking, fürs CERN durchgerechnet. Nurzu dumm, dass das nun erst im April 2009 auch praktisch bewiesen werden kann, denn bis dahin ist der Teilchenbeschleuniger außer Betrieb. Die Kühlanlage ist nämlich kaputt. Schwarze Löcher-und auch nur ganz kleine, die laut Hawking sogleich wieder zerfallen — gibt’s also frühestens im Frühjahr. Wer allerdings in diesen Wochen das Weltgeschehen beobachtet, kommt eher zu dem Schluss, dass am biblischen Satz, im Wort stecke der Anfang allen Übels (oder so ähnlich), doch was dran sein könnte. Kaum hatten die Medien nämlich „schwarze Löcher“ kurz vorm offiziellen Start des LHC sensationslüstern in die Welt gesetzt, tauchten diese auch in der Realität plötzlich überall auf. Zunächst fielen die Immobilienpreise in eines hinein, dann die Kredite und die Hypo Real Estate. Kurz darauf der gesamte Freistaat Bayern – die CSU, der Herr Ministerpräsident, die Landesbank und der Finanzminister, sogar der FC Bayern schwankte kurz am Abgrund und musste von einem Franzosen in flinken rosafarbenen Schuhengerettet werden. Marcel Reich-Ranicki wollte ein schwarzes Loch entdeckt haben, wo früher mal das Fernsehen war, Elke Heidenreich schaute nach und fiel hinein. Kurz darauf erwischte es Andrea Ypsilanti und die SPD. Nun warten in Hessen alle auf den Erlöser Roland Koch. Einen Knall hat der auf jeden Fall, vielleicht sogar einen Urknall. Das kann man vermutlich auch ohne einen teuren Teilchenbeschleuniger nachweisen. MAIK BRÜGGEMEYER SEPTEMBER

fen. Das komplette Album wird 2009 als Download für dasselbe Spiel zur Verfügung stehen. Ähnlich wie bei „Rock Band“ kann man sich bei „Guitar Hero World Tour“ jetzt nicht nur an der vereinfachten Sechssaitigen versuchen, sondern auch als Bassist, Schlagzeuger oder Sänger sein Glück versuchen. Die etwas andere Wohnzimmer-Band: Man muss keine eigenen Songs schreiben, nicht mal teures Equipment kaufen, um sich wie ein werdender Rockstar zu fühlen. Braucht nicht zwingend musikalische Weggefährten und schallisolierte Wände. Man baut einfach die kleine Playstation auf, das Wii oder die Xbox. V/hatever.

Der größte Spaß liegt, wie bei allen Spielen, im lustvollen Scheitern. Da kommt nach wenigen Sekunden auf dem Bildschirm das vernichtende Urteil „Song misslungen“ – und dabei dachte man, dass „We’re Not Gonna Take It“ nun wirklich auch für Anfänger problemlos zu gniedeln ist. Hatte man Twisted Sister doch immer vorgeworfen, sie könnten gar nicht Gitarre spielen! Andererseits ist hier ja alles etwas anders als im wahren Leben. Angeblich tun sich versierte Musiker besonders schwer damit, Videospiel-Helden zu sein- sie empfinden die bunten Knöpfe am Gitarrenhals wohl nicht als korrekten Saiten-Ersatz und können ihr Wissen kaum auf Game-Level herabschrauben. Sind also unfähig. Ein kleiner Trost.

Am erfreulichsten ist der Triumph dieser Musik-Spiele allerdings für etablierte Bands. Vor allem für diejenigen, die schon immer auch Vermarktungskünstler waren, sind sie ein wahres Geld-Druck-Paradies. Aerosmith, deren Alben schon seit Jahren keinen mehr interessieren, waren die Ersten, die ihr eigenes „Guitar Hero“-Spiel hatten.“ 30. selbst komponierte Lieder gaben ¿ sie dafür her, elf weitere von befreundeten Bands wählten sie zusätzlich aus. Es wird gemunkelt, dass die Amerikaner mit den Verkaufserlösen inzwischen mehr verdient haben als mit irgendeiner ihrer Platten, so erfolgreiche wie „Rocs“ oder „Get AGrip“ mitgerechnet. Demnächst legen Metallica nach. Wer sonst? Einst zogen sie gegen Napster zu Felde, weil sie sich als Künstler unter Wert verkauft sahen. Jetzt verramschen sie ihre Musik lieber selbst, das bringt natürlich auch ordentlich Geld. Dass Musik so eventuell auch entwertet werden könnte, ist Lars Ulrich wahrscheinlich gar nicht in den Sinn gekommen. Indes protestieren schon die ersten Fans, weil das neue Album „DeathMagnetic’in der Guitar-Hero-Version tatsächlich besser klingen soll als auf CD – die Lautstärke wurde angeblich zurückgefahren, die Dynamik dadurch verstärkt. Was freilich einer Bankrott-Erklärung des Produzenten gleichkäme, und der war immerhin Rick Rubin. Die Aufmerksamkeit für das Spiel – und letztlich auch für Metallica- steigern solche Gerüchte auf jeden Fall.

Bei all dem „Cross-Marketing“ ist einem langsam sogar schon Kid Rock sympathisch, der seine Songs nicht mal auf iTunes sehen will, weil er so am guten alten Album hängt (und seine Fans vielleicht zu Recht nicht in modernen Medien vermutet). Gegen die Zweitverwertung bei „Guitar Hero“ oder „Rock Band“ wird er sich aber kaum wehren können. Selbst rechtschaffene Bands wie R.E.M. sind dort mittlerweile vertreten. Und „The One I Love“ missglückt mir auch jedes Mal. Ob Peter Bück es wohl besser könnte? Man mag es sich nicht vorstellen.

BIRGIT FUSS OKTOBER

Die Welt atmete erleichtert auf. Nur Hans-Christian Ströbele fand am Tag nach dem Triumph noch ein Haar in der Suppe. „Ohne Anstand“ sei es, wie auch Obama unzählige Millionen im Wahlkampf verpulvert habe, so der Grüne aus Kreuzberg moralinsauer in der ARD-Talkrunde „Hart aber fair“. Es roch nach Party-Pooping, mutete an wie ein anti-amerikanischer Reflex aus dunkler Bush-Zeit, denn auf die unfeierliche Frage der Sendung, ob „die Amis jetzt vernünftig“ würden, gab es sonst nur affirmative, von freudiger Zuversicht beseelte Antworten. Desiree Nosbusch sprach von „glücklicher Fügung“, und selbst „Zeit“-Herausgeber Josef Joffe, bis zuletzt noch stur an der Seite McCains, wechselte geläutert das Lager und stimmte Jubelarien auf den Heilsbringer an. Obama, so Joffe enthusiasmiert, sei der „Weltkandidat in einer Weltwahl“ gewesen. Eine schlichte Wahrheit, der sich auch der „Spiegel“ nicht verschließen mochte, denn immerhin, so hatten Demoskopen eruiert, hätte Obama nur in Israel und Georgien die Wahl verloren, überall sonst wären ihm Mehrheiten sicher gewesen. „Der Weltpräsident“, titelte der „Spiegel“ folgerichtig und auflagenträchtig.

Die Historizität der Stunde verlangte nach Griffigkeit und Pfiffigkeit, eine Kombination, mit der man sich in deutschen Redaktionsstuben notorisch schwertut. Was auch der eher schwergängigen Sprache geschuldet sein mag, aber nicht nur. „Eine gute Wahl“, textete die „taz“ tapfer und setzte mit „Wir sind Obama“ noch ein Kalauerchen drauf, „Bild“ radebrechte blamabel „Yes, we can Freunde sein“. Im Fernsehen gewährten US-erprobte „Promis“ wie Jürgen Klinsmann und Thomas Gottschalk beachtliche Einsichten in die amerikanische Mentalität, zwischen „die sind wie große Kinder“ und „die sind immer gut drauf. RTL gelang es in „Punkt 12“, den populärsten Afro-Deutschen zu einer analytischen Stellungnahme zu bewegen. „Man muss wissen“, erläuterte Roberto Blanco zähnebleckend, „es gibt viele Farbige in USA.“ Worauf sich auch gleich die Zuschauerfrage mit „tollen Gewinnchancen“ bezog: Ist Obama a) der älteste oder b) der erste farbige Präsident? Mit 1 Euro 41 pro Anruf war man dabei.

Neben der medialen Muffigkeit hierzulande nahm sich die Berichterstattung über das Wahlspektakel in US-Medien aus wie ein Dauerfeuerwerk, rundum die Uhr. Laut, bunt und selten blöd. Es ist müßig, darüber zu lamentieren, dass Jon Stewarts giftspritzende Polit-Comedy bei uns so wenig denkbar wäre wie Jack Caff ertys bärbeißiger Klartext oder Rush Limbaughs reaktionäre, reinigende Donnerwetter. Wir haben Uli Deppendorf, der hilflos Platitüden stammelt, während daneben die Lichtgestalt aus Übersee ein Meer von Berlinern begeistert. Nicht müßig ist es, darüber nachzudenken, ob Obama ausreichend Wähler hätte mobilsieren können, wenn die Spekulationsblase an den Börsen erst ein paar Wochen später geplatzt wäre. Oder wenn der selbsternannte Maverick Mc-Cain nicht dieses blutrünstige, gottesfürchtige Flintenweib aus Alaska zum running mate erkoren hätte. Wir haben Sarah Palin viel zu verdanken, ihrer Einfalt, ihrem Extremismus. Nicht mehrheitsfähig, doch stellen sie und ihresgleichen weiterhin eine Bedrohung dar für das aufgeklärte Amerika. Das haben die Wahlen auf erschreckende Weise deutlich gemacht: die Zahl der Bibeltreuen, Wiedergeborenen und Kreationisten nimmt zu, Religion spielt in rückständigen Gegenden der USAkeine unmaßgeblichere Rolle als in Rückzugsgebieten von Islamisten.

Wie höhnte der Sprecher der US-Republikaner in „Hart aber fair“? „Wir Amerikaner glauben an Gott, die Deutschen an Mülltrennung.“ An Obama freilich glauben wir alle, ganz fest. WOLFGANG DOEBELING NOVEMBER

Wir sindÄrger gewohnt mit dieser Partei, die als einzige die Weimarer Republik verteidigt und Hitlers Ermächtigungsgesetz nicht zugestimmt hatte. Die FDP gab es damals ja noch nicht. Über Jahrzehnte dominierten drei verschrobene Figuren die Sozialdemokraten: Herbert Wehner, der lederne Alt-Kommunist und Meisterpolemiker, der im Ruch des Verrats stand. Willy Brandt, der Exilant und Frauenbetörer, der sehr zur Melancholie neigte. Und Helmut Schmidt, der schneidige Pragmatiker und Vernunftsmensch, der das Kind schon schaukelte. Die Troika der SPD drohte sich stets selbst zu behindern, zu beschädigen, ja auszulöschen. Schmidt, der einzige Überlebende, sagt heute, dass auf Wehner stets Verlass war. Auf Brandt nicht. Der schöngeistige Grübler erlaubte sich seine schwarzen Phasen und griff zum Cognac-Schwenker. Schmidt qualmte wie ein Schlot und schnauzte Schnupftabak. Er war im Krieg gewesen, und Ausnahmezustand blieb es während seiner Kanzlerschaft, bis hin zur Revolte seiner eigenen Partei, die sich gegen den herrischen Hanseaten wandte. An Herbert Wehner erinnert in Hamburg-Harburg ein kleiner Platz neben dem Karstadt, auf dem man Currywurst von der nahen Bude isst. Nach den Schilderungen von Günter Gaus, der einige Ferien im schwedischen Sommerhaus mit ihm verbrachte, war Wehner ein misstrauischer, hochempfindlicher, im Grunde seines Herzens verzweifelter Mensch. Taugen diese drei Gestalten also für jedes Königsdrama, so lassen sich mit den Nachfolgern immerhin treffliche Tragikomödien besetzen: Hans-Jochen Vogel, der redliche Magister. Johannes Rau, der volkstümliche Schwätzer. Rudolf Scharping, der dröge Tolpatsch. Björn Engholm, der hölzerne Kulturdarsteller. Oskar Lafontaine, der rechthaberische Demagoge. Und Gerhard Schröder, der joviale Populist. Nur Schröder wurde Kanzler, und darin lag auch eine schöne Logik. Lafontaine, ein Mann wie eine Bombe, ist der Geist, der stets verneint. Er hatte die Kanzlerschaft 1990 gleich abgeschenkt, indem er vor den Gefahren der Wiedervereinigung warnte: Lafontaine hatte Recht, und er hatte keine Chance. Schröder ist der Typus, den die Deutschen lieben: Er kann mit allen, er beherrscht den Stammtisch, er lernte das diplomatische „Gelegentlich“-Gerede von seinem Adlatus FrankWalter Steinmeier. Dann kam Franz Müntefering, der proletarische, schlitzohrige Charismatiker, unterbrochen von dem schwächlichen Deichgrafen Mathias Platzeck und dem bräsigen Pfälzer Kurt Beck. Der löffelte Suppe mit Schweineschnauzen-Einlage und redete sich beim Wein um Kopf und Kragen. Überraschend reüssierte in Hessen die ehrgeizige Provinzmamsell Andrea Ypsilanti, die den Bauernschwank in eine Schmierenkomödie verwandelte, weil sie unbedingt Ministerpräsidentin werden wollte. Der alte Kutscher Wolfgang Clement, ein Günstling der Energiekonzerne, glaubte nicht an Ypsilantis Windräder und riet von ihrer Wahl ab. Ein paar enttäuschte hessische SPD-Parlamentarier entdeckten schließlich ihr Gewissen, inszenierten einen Bocksgesang als beleidigte Leberwürste und brachten die aufgeregte Ypsilanti zur Strecke. Sie war wie jener Roland Koch geworden, den sie ablösen wollte, bloß nicht so kalt. Wie beiläufig wurde auch der orientierunglose Beck abgesägt, der seiner eigenen Demontage offenbar wie narkotisiert zugesehen hatte. In den Kulissen wartet die Nemesis Andrea Nahles, eine Frau mit Talent zur Intrige.

Es ist also vollkommen unwahrscheinlich, dass dieser verlorene Haufen unter Leitung des furchtlosen Müntefering und des in Reinschrift sprechenden Diktiergerätes Frank-Walter Steinmeier zur Gefahr für Angela Merkel werden könnte. Ein bisschen Mindestlohn und Protest gegen Leiharbeit ist alles, was man von der alten Tante erwarten kann. Den Rest besorgt der Feuerkopf Lafontaine, der im Bundestag als Ein-Mann-Sturmgeschütz kanoniert.

Helmut Schmidt erklärt schon lange, dass er sich aus der Tagespolitik heraushält. Er hat Schreckliches erlebt in seiner Zeit – aber die inneren Kämpfe und Blockaden seiner Partei, der Sozialdemokraten, gehören wahrscheinlich zum Unfasslichsten. Es schmeichelt dem Altkanzlerzwar, dass sie ihn beinahe noch einmal aufstellen wollten. Aber er weiß natürlich, dass sie ihn bald eingemacht hätten.

Die SPD war eben die einzige Partei, die Weimar hebte. ARNE WILLANDER DEZEMBER

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