Alec Empire zum Thema Urheberrecht

"In einer Gesellschaft, in der eine kreative Idee automatisch zum Volkseigentum wird, ziehen sich die besten Köpfe sofort zurück." Alec Empire meldet sich bei uns zur Urheberrechts-Diskussion, die "viel komplizierter ist, als sie in der Öffentlichkeit gerade geführt wird."

In unserer Reihe „Copyright or wrong?“ beziehen Künstler aus Deutschland Stellung zum Thema Urheberrecht. Nach dem einleitenden Beitrag von Ekki Maas von Erdmöbel, dem Statement von Frank Spilker, Phillip Boa, Bela B., Inga Humpe und Smudo meldet sich heute Alec Empire von Atari Teenage Riot zu Wort.

Natürlich stehe ich immer auf der Seite derer, die Musik produzieren. Allerdings ist die Diskussion viel komplizierter, als sie in der Öffentlichkeit gerade geführt wird.

Vorsicht vor denen, die einfache Antworten auf die Probleme haben und mit Sprüchen Wähler ködern oder sich bei Musikfans einschleimen wollen. Ich meine die Sprecher der Filesharer und die der Musikindustrie.

Wo fängt Kreativität an, wo hört sie auf?

Für jeden verlaufen die Grenzen anders. Bei allen Rechtsanwälten, mit denen ich in England und den USA gesprochen habe, und die Jungs haben Copyright als Hauptfokus in ihrem Job, fiel mir immer wieder auf, dass selbst in den hohen Etagen niemand wirklich alle Seiten des Themas versteht.

Die Gesetze und Meinungen unterscheiden sich auch von Land zu Land. Und wenn wir ganz ehrlich sind, dann ist seit Jahrzehnten klar, dass die bestehenden Gesetze zum Großteil nur die großen, mächtigen Verlage und Künstler schützen. Ist das nicht auch so, wenn es um andere Bereiche im Rechtssystem geht? Dem stimmt wahrscheinlich jeder Leser zu.

Musik ist wie Sprache. Wir tauschen uns alle aus, kombinieren Worte manchmal besser, manchmal schlechter. Das hängt vom Bewusstsein und Wissen ab. Das ist Arbeit und ist mehr wert als eine CD jemals kosten kann.

Kreativität ist das höchste Gut, welches wir haben.

Musik, Wissenschaft, Kunst – das sind bekannte Beispiele, aber natürlich auch das Programmieren von Software braucht Kreativität. Das Handwerk, die Umsetzung einer Idee kommt immer erst an zweiter Stelle.

Verhindert nicht eine steife Musikindustrie, welche Armeen von Anwälten beauftragt, um zum Beispiel für eintaktige Samples im HipHop unrealistische Summen zu fordern, jegliche Innovation, Erneuerung von Musik in einer Zeit, in der die Industrie nun eindeutig in der Krise steckt?

Ist nicht das ständige Wiederholen alter Ideen Mitverursacher?

In den letzten 30 Jahren waren zwei Musikstile entscheidend, haben alles verändert und geprägt: HipHop und Techno und deren Subgenres.

DJ Kultur basierte auf dem Kombinieren von Aufnahmen verschiedener Künstler.

Ohne die Software vorher undenkbar.

Oft schauen wir nur auf die Musik, und nicht auf die Umstände, die sie erschaffen.

Denn seit Napster und MP3-Technologie, haben sich viele auf den Konzertmarkt spezialisiert, um dort Geld zu verdienen. Das stimmt.

Wir übersehen dabei allerdings, mit welcher Härte in britischen und amerikanischen Gerichten seitdem die Rechte an Samples verteidigt werden.

Dem Kuchen fehlt ein großes Stück, und das will man sich wiederholen.

Im HipHop gilt seit langem: Hände weg, oder sprich mit deiner Plattenfirma, bevor du in deinem Song eine Snaredrum von der raren Vinylscheibe auftauchen lässt.

Das ganze ist absurd geworden und hat eine konservative Musik hervorgebracht, die der gleicht, die es vor der Sample-Technologie gab. Ende 80ziger und abwärts eben.

Musiker und Produzenten, die sich dem widersetzen, bewegen sich frei im Internet. Erwarten aber auch keine Gelder für ihr Schaffen. Nicht direkt jedenfalls.

Wenn DJs wie Girltalk in den USA mit ihren Mashup-Mixen die Hauptbühnen von Festivals bespielen, holen sie sich oft sechsstellige Gagen.

Auf der anderen Seite lässt sich streiten, ob die neuste Rockband nicht auch wie ‚vorprogrammiert‘ eine Musik schafft, die unsere Großeltern schon gehört haben.

Musik verbindet uns alle. Hätte Kaspar Hauser Mozart werden können? Eher nicht.

Musik muss sich bewegen und verändern können.

Mir ist eins klargeworden in den nun schon zwei Jahrzehnten, in denen ich Hunderte von Songs veröffentlicht habe… Die Politik soll sich bitte heraushalten. Die Regulierung des Internets, Zensurmaßnahmen, neue Gesetze, die Stasimethoden zulassen … all das verkrüppelt das Internet. Wir brauchen keinen Überwachungsstaat.

Ich will nicht, dass meine Songs von Männern mit Gewehren verteidigt werden, denn darauf läuft es hinaus, wenn sie einen Jugendlichen wegen ‚illegaler‘ Downloads vor Gericht zerren.

Aber viel schlimmer ist es, wenn der Staat genau diese Männer mit ihren Gewehren einsetzt, um uns Kreativen das Recht zu nehmen, Geld zu verdienen. Das ist zum Beispiel das Ziel der deutschen Piratenpartei. Diese Denkweise führt früher oder später zu Bücherverbrennungen, oder die Kreativen ziehen sich zurück und hinterlassen eine Leere.

Das Internet darf nicht staatlicher Kontrolle unterliegen!

In England wurde gerade gesetzlich beschlossen, dass der Zugang zu Pirate Bay blockiert wird. Das ist Zensur und wird bald Websites anderer Länder treffen, die uns Nachrichten über unsere Regierungen zu lesen geben, die man uns vorenthalten will.

Wir sprechen hier ’nur‘ über Musik. Aber es geht in der Diskussion eigentlich um sehr viel mehr.

Ich habe mit Anonymous-Aktivisten gesprochen, die Bloggern in Syrien helfen. Diese retten dort Leben, in dem sie zum Beispiel den Zugang zu Websites mit Informationen aufrechterhalten, während die Behörden dagegen mit Folter und Hinrichtungen ankämpfen.

Wenn wir die Einschränkung der Meinungs- und Informationsfreiheit auch bei uns in der westlichen Welt zulassen, dann hat das schlimme Folgen für uns alle.

Wir sollten uns von der Vorstellung verabschieden, dass es den einen Weg zum Erfolg im Internetzeitalter für alle Musiker gibt. Den gibt es nämlich nicht. Was bei Radiohead funktioniert hat (oder eben nicht), gilt vielleicht nicht für Skrillex oder deine Musik.

Wir brauchen Bedingungen, unter denen sich die bestmögliche Musik frei entfalten kann. Die, die meinen, es gäbe doch kein Problem, sehen nicht, dass viele junge, neue Musiker nach kurzer Begeisterung für schnelle Verbreitung ihrer Musik im Netz frustriert aufgeben, weil sie es finanziell nicht durchhalten können. Die Aufmerksamkeit des Schwarms für einen virtuellen Moment auf sich ziehen, das treibt keinen Kreativen wirklich auf Dauer an.

Unsere Fans unterstützen uns, weil sie wissen, dass wir ohne Kompromisse und ohne Mittelsmänner die Musik machen, die sie hören wollen. Es ist keine Massenware und, ähnlich wie beim Bioladen in deinem Kiez, wollen unsere Fans, dass wir weitermachen. Es ist ein ganz einfaches Prinzip, dass auf gegenseitigem Respekt basiert.

So anders war das in den ‚alten‘ Zeiten für andere Musiker auch nicht.

Massenkultur ist am Sterben. Ich finde das gut, denn nur so werden die Menschen ihren eigenen Musikgeschmack finden und nicht hoffend einer Herde hinterherlaufen.

Die großen Volksparteien haben Schwierigkeiten, Mehrheiten zu finden. Nun ja, die großen Popstars haben es auch.

Es gibt sehr viele Wege, auf denen Musiker Geld verdienen können. Und es gibt noch viele unentdeckte Möglichkeiten. Diese müssen Musiker aufspüren und schaffen.

Je vielseitiger und unterschiedlicher eine Musikszene ist, desto ‚reicher‘ ist sie.

Die Kreativen haben den Kampf schon gewonnen, denn, immer wenn Geldgier und Gleichgültigkeit die Weiterentwicklung von Musik verhindern, verändert sich diese und erneuert sich und lässt viele der alten Drahtzieher zurück.

Genau so verhält es sich, wenn der Mob vom Künstler in christlicher und sozialistischer Tradition erwartet, dass er/sie sich für die Masse aufopfert.

In einer Gesellschaft, in der eine kreative Idee automatisch zum Volkseigentum wird, ziehen sich die besten Köpfe sofort zurück.

Also warum die Panik? Wartet einfach ein paar Jahre ab. Die Plünderer, die großen Konzerne, sie alle werden angekrochen kommen, wenn sie Kreativität und wirkliche Inhalte brauchen.

Wichtiger ist: Wir müssen garantieren, dass das Internet frei von staatlicher Kontrolle ist, denn es ist das aufregendste Experiment unserer Generation.

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