Alter, Tod und Blasensteine – Das Thema „Krankheit“ in der Popmusik

Spätestens seit Dylans „Time Out Of Mind“ darf lautstark gealtert werden: Darüber, wie der Sensenmann grimmig Strafgericht hält, gibt es hinreichend viele prachtvolle Lieder. In Folge 2 des Poptagebuchs widmet sich Eric Pfeil den Verstopfungen, Hämorrhoiden, Glasaugen und Filzlausbefällen in der Musik.

 

Eric Pfeils Pop-Tagebuch, neue Folge 2

„Rock’n’Roll is an old man’s game now“, sprach kürzlich mein Held, der 60-jährige Songschreiber Robyn Hitchcock. Da hat er natürlich Recht, die big players sind alle um die Siebzig: die Rolling Stones, Paul McCartney, Bob Dylan, Leonard Cohen, Howard Carpendale. War Altern in der Popmusik in den Achtzigern aber noch ein großes Problem (was zu katastrophalen Midlife-Crisis-Produkten von Leuten wie Lou Reed, Neil Young oder Dylan führte), kräht heute niemand mehr direkt „Aufhören!“, sobald sich irgendwo Rock-Veteranen mit Knitterlook zum Saitenzupfen versammeln. Natürlich ist das Musikgeschäft für einen Musiker im fortgeschrittenen Alter nicht halb so glamourös wie zu Zeiten seiner Jugend Maienblüte: Während sich in Backstage-Räumen früher der Alkohol aus Damenstiefeln in des Musikers Mund ergoss und unbeschwert das Mobiliar zerlegt wurde, wartet dort heute nicht selten ein mehrköpfiges Ärzteteam auf den moribund von der Bühne zurückwankenden Musiker (Notiz an mich selbst: Unbedingt klären, ob es auch einköpfige Ärzteteams gibt!). Mancher Backstage-Bereich sieht heute folglich aus wie eine Reha-Klinik – allzu ungebremsten Hedonismus sollte man hier nicht erwarten. Der 1946 geborene Loudon Wainwright III, der sich des Themas Vergreisung bereits in vielen schönen Songs („Older Than My Old Man Now“!) angenommen hat, bemerkte zum Thema „Touren im Alter“ einmal, dass es früher nach dem Konzert immer Alkohol und Sex gegeben habe, heute nur noch Alkohol. Aber auch wenn Verstärkerschleppen für zunehmend arthritische Indierocker ohne große Crew irgendwann zum Problem wird, darf spätestens seit Dylans „Time Out Of Mind“ lautstark in der Populärmusik gealtert werden: Darüber, wie der Sensenmann grimmig Strafgericht hält, gibt es also hinreichend viele prachtvolle Lieder!

Gleichwohl der Tod ein Thema ist, mit dem einigermaßen fröhlich kokettiert wird, bleibt der Topos „Krankheit“ in der populären Musik weiterhin mit dem großen roten „Tabu“-Aufkleber behaftet. Zwar gibt es zahllose Songs, in denen der Doktor aufgesucht wird, doch geht es hier meist nur um Probleme amouröser Natur oder das Weh verwitterter Lenden (Thompson Twins: „Doctor Doctor“ / Kiss: „Calling Dr. Love“). Mir fallen nur ein paar wenige Beispiele für Krankheits-Songs ein: Blumfeld sangen vor Jahren mal von der „Krankheit als Weg“, Paul Simon über „Allergies“ und AC/DC von „The Jack“ (= Tripper). Trunksucht muss als Krankheit meines Erachtens ausgeklammert werden, da sie – ähnlich wie der „Tod“ – allzu leicht zu romantisieren ist (vgl. „Highway To Hell“ oder dreiviertel aller Country-Songs). Auch die im Metal häufig besungene Pest gilt irgendwie nicht. Es bleibt also dabei: Tausende an Ohrensausen, Blasensteinen, verengten Harnröhren, Klumpfüßen und schlimmen Rücken leidende Menschen müssen weiterhin andernorts nach Trost und Erbauung suchen und sich etwa in die Literatur flüchten. Die doofe Rockmusik kennt ja nur Liebe, Rausch und Tod. Dabei ist ein normal vor sich hinlebender Mensch, der sich dann und wann gerne von einem Liedchen die Seele pinseln lässt, erwiesenermaßen viel häufiger in Gesundheits- bzw. Krankheitsfragen des Beistands bedürftig als in Belangen der Liebe.

Als leidenschaftlichen Hypochonder betrübt mich der Mangel an guten Liedern über Knie-Katarrh, Überbeine, Flechten und Borreliose doch arg. Als ich dies kürzlich gegenüber einem guten Freund, der täglich an seinem privaten Frank-Zappa-Altar betet, äußerte, sah dieser seine Stunde gekommen. Liebevoll stellte er mir eine CD mit zahllosen Zappa-Stücken zu den herrlichsten Krankheiten zusammen. Auf dem selbstgestalteten Cover des sogenannten „Lazarus-Mix“ wies der grafisch findige Mensch einer Abbildung des spärlich bekleideten Zappa die verschiedenen besungenen Krankheiten den jeweiligen Körperregionen des Meisters zu. Und fürwahr: Ob Verstopfung („The Illinois Enema Bandit“), Hämorrhoiden („Latex Solar Beef“), Glasaugen („Pygmy Twylyte“) oder Filzlausbefall („Who needs The Peace Corps?“) – Zappa hat sich um keine Krankheit gedrückt.

Aber leider kann ich seine schlaumeierische Musik so gar nicht gut hören, ganz gleich, wie krank ich bin. Daher sei der geneigte Leser hiermit dringend ersucht, mir Songs über Krankheiten zu schicken. Ich werde daraus einen Sampler zusammenstellen, den ich kommerziell veröffentlichen werde. Von dem Geld baue ich mir eine eigene Reha-Klinik. Oder kaufe mir alles von Die Ärzte. Als Strafe für diesen misslungenen Schlussgag höre ich mir jetzt noch einmal den ganzen Zappa-Mix an. Dig, Lazarus, dig!

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