Amerikas Herz

ES IST EIN ALTER WIDERspruch – so alt wie Folkmusik selbst – der die Songs von Samantha Crain in dieses besondere, fast archaische Spannungsfeld rückt: So sehr die Musik die eigenen Wurzeln betont, mit einem Ort und seinen Traditionen verwoben ist, so sehr geht es immer zugleich um Wanderschaft, um rastloses Umherstreifen. Es ist die Poetik des Unterwegsseins, des Zurücklassens und Wiederfindens der Heimat, von der auch Crains Songwriting lebt. Ihr drittes Studioalbum, „Kid Face“, ist eine Sammlung feinfühliger, bodenständiger Gitarrensongs, entstanden auf ihren zahllosen Reisen: „Ich bin in den vergangenen Jahren viel unterwegs gewesen. Nach Hause zu kommen gibt mir Perspektive. Aber ich bin immer noch nicht sicher, wo ich mich mehr zu Hause fühle: in meiner Heimat oder unterwegs. Der Begriff ‚home‘ hat für mich viele Bedeutungen zugleich.“

Wo dieses Zuhause ist, hat Crain in großen Lettern auf ihren Gitarrenkoffer geschrieben: Shawnee, Oklahoma. In der endlosen Landschaft des Südstaates im Herzen Amerikas ist sie aufgewachsen. Crain ist Choctaw-Indianerin. Ihre musikalische Früherziehung erlebt sie zwischen den Trommelrhythmen der Powwows, kultureller Zusammenkünfte der Indianerstämme, die sie regelmäßig mit ihrer Familie besuchte, und der Plattensammlung ihres Vaters: Bob Dylan, Neil Young, Simon & Garfunkel und vor allem Woody Guthrie, Vater-Troubadour des frühen Folk und nach wie vor Oklahomas größte Musiklegende.

„Das passt vielleicht auf den ersten Blick nicht zusammen. Meiner Musik hört man die indianischen Einflüsse ja gar nicht unbedingt an. Aber das Besondere bei den Indianergesängen, ebenso wie bei Neil Young etwa, ist immer das Organische, Emotionale, Intuitive beim Singen. Man fühlt etwas dabei, hat eine Verbindung dazu.“

Mit ihrem runden, jugendlichen Gesicht – eben jenem „Kid Face“ -, das ihrem Album seinen Namen gibt, könnte die kleine 26-Jährige glatt noch als Teenager durchgehen. Ihre Stimme aber belehrt den Hörer eines Besseren, sobald sie zum ersten Ton ansetzt.

Eigentümlich balanciert sie ihren Gesang zwischen Elan und Verletzlichkeit: zwischen der warmen Kraft einer Bonnie Raitt und der seltsam spröden Gebrochenheit einer Joanna Newsom. Die Stimme zittert und bebt wild, heult und seufzt, steigert sich und bricht wieder ein – so viel passiert im Gesang, dass Produzent John Vanderslice gut daran getan hat, die Instrumente im Hintergrund zu zähmen. Sacht gleiten die Arrangements zwischen filigran gezupften Akustikgitarren und Klavierakkorden dahin. Sie lassen Raum für Crains Ringen mit den Einflüssen: „Kid Face“ ist Americana und Südstaaten-Landstreicher-Folk, ein bisschen Country-Blues und ein bisschen Songwriter-Pop.

Nach „Songs In The Night“ und „You (Understood)“ ist es ihr bisher bestes, ihr raffi niertestes Album und zugleich ihr ehrlichstes. Im Gegensatz zu den Vorgängern, auf denen sie zum größten Teil noch eigene Kurzgeschichten verarbeitete, ist „Kid Face“ „komplett autobiografisch“, sagt sie. „Late in the night/ I’ve learned to tell the truth sometimes“, singt sie in „Taught To Lie“ über die ängstlichen ersten Schritte, mit denen sie ihr Versteck hinter fiktionalen Fetzen verließ. „Ich habe Geschichten und Figuren immer schon geliebt. Das war immer Teil meiner Songs. Früher waren sie für mich fremde Rollen, in die ich hineinschlüpfte, heute sind sie real.“

Ihre neuen Songs sind wie Tagebucheinträge. Es sind Selbstgespräche voller Vorwürfe und Reue für begangene Fehler, aber auch voller Beschwörungsformeln für die Zukunft.

Der Song „Never Going Back Again“ etwa ist eine Art Selbstvergewisserung eines auseinandergehenden Liebespaares, niemals zurückzuschauen: „I had a deal with man and God/One let me down and one did not/So I made my way back home“. Und natürlich geht es ums Erwachsenwerden, um das Suchen nach sich selbst: „I’m almost young this year/ Now that I’m older“, besingt sie in „Paint“ ihre eigene Sicht auf den Schwebezustand der Twentysomethings. Die Heimat, von der die alten Folksongs erzählen – bei Crain ist sie flüchtig. Niemals aber ungreif bar.

40% Landstreicherin

25% Neil Young

25% Powwow

10% Bonnie Raitt

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