Apartheit auf der Bühne

"Ebony and ivory" spielten nicht immer in "perfect harmony". Dass Schwarz und Weiß letztlich doch zusammenfanden, war das Verdienst eines Klarinettisten aus Chicago: Benny Goodman.

Ob Jim Crow tatsächlich gelebt hat, ist nicht belegt. Vielleicht war er ein Sklave, der im frühen 19. Jahrhundert einem gewissen Mr. Crow gehörte. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass er lediglich als Parodie herhalten musste: eine Krähe eben, komplett schwarz. Der Komiker Thomas D. Rice jedenfalls hauchte der mutmaßlichen Kunstfigur 1828 Leben ein, vollführte in seinen Minstrel-Shows den „Jim Crow Dance“ und kultivierte damit das Bild vom kindlich sorglosen, völlig naiven, schreckhaften und letztlich verantwortungslosen Neger. Ein Klischee, das bis weit in die Stummfilm-Ära Bestand haben sollte: Der träge schwarze Mann rollt zwar lustig mit den Augen, fürchtet sich aber vor Gespenstern, er mimt zwar den eitlen Gecken, ist letztlich aber nur ein großes Kind. Rassismus der volkstümlichen Sorte. Doch Jim Crow stand auch für staatlich verordnete Diskriminierung: 1876 eingeführt und in letzter Konsequenz erst 1964 abgeschafft, sorgten die „Jim Crow Laws“ dafür, dass im Süden der USA fast alles so blieb, wie es vor dem Bürgerkrieg gewesen war. Sklavenhaltung mochte jetzt ungesetzlich sein, doch die strikte Trennung von Schwarz und Weiß zementierte die gesellschaftliche Stellung der Afroamerikaner: unten, ganz unten. Um dem Lynchmob in die Hände zu fallen, genügten kleinste Verfehlungen. Und wenn kein Anlass da war, wurde eben einer gesucht. Die reine Willkür. Billie Holiday sang 1939 ein Lied darüber: „Strange Fruit“. Was ist das nur für eine seltsame Frucht, die da am Baum hängt?

Jazz war bereits in den Zwanzigern immens populär und – schwarze Musik. Weshalb sich ein weißer Bandleader namens Paul Whiteman – welch Ironie, er hieß aber wirklich so – dazu verstieg, den Jazz in Verkennung der schwarzen Wurzeln kurzerhand als „moderne amerikanische Konzertmusik“ zu bezeichnen. Und die wurde jetzt auch von weißen Jungs gespielt. Man nahm den Jazz in Besitz und gab zumindest einem Teil des weißen Publikums das gute Gefühl, sich nicht mehr für minderwertige Negervergnügungen zu begeistern. Völlig undenkbar, dass Schwarz und Weiß gemeinsam musizierten. Noch in den vierziger Jahren musste Charlie Parkers ansonsten schwarze Band einen Trick anwenden, wenn die Tournee in den Süden führte: Der weiße Trompeter Red Rodney wurde dann kurzerhand zu einem Schwarzen namens „Albino Red“ umetikettiert. Es funktionierte offenbar.

Undenkbar auch, dass ein weißer, angelsächsischer Promoter die Belange schwarzer Musiker vertrat. Das gehörte sich nicht. Schwarze hätten in dieser Position allerdings nur verschlossene Türen vorgefunden, doch Gott sei Dank sprangen jüdische Impresarios in die Bresche. Dass sie in Diensten Schwarzerstanden, war nach landläufiger Meinung einfach nur ihr Problem. Doch als Weiße fanden sie Zugang zum Establishment, organisierten Plattenaufnahmen, Konzerte und handelten Gagen aus.

Benny Goodman, 1909 in Chicago als Sohn jüdischer Einwanderer geboren, avancierte ab Ende der zwanziger Jahre zum Wunderkind des Jazz – sein Klarinettenspiel begeisterte sogar schwarze Kollegen und Fans, die der weißen Inbesitznahme ihrer Kultur ansonsten skeptisch bis verbittert gegenüberstanden. Goodman, hochtalentiert, ehrgeizig und pragmatisch, gründete 1934 seine eigene Band – und brach dabei ein Tabu. Sein Pianist Teddy Wilson war allererste Wahl, hatte zuvor mit Louis Armstrong und Benny Carter gespielt. Wilson war schwarz. Kurze Zeit später engagierte er den Vibraphon-Virtuosen Lionel Hampton, 1939 den wunderbaren Gitarristen Charlie Christian. Goodmans Band war die erste, in der schwarze und weiße Musiker gemeinsam musizierten – zu einer Zeit, in der sogar schwarze Baseballspieler noch aus der Profiliga ausgeschlossen waren. Möglich war das nur, weil sich Goodman dank seiner immensen Popularität nahezu unangreifbar gemacht hatte. Weil er es finanziell nicht nötig hatte, durch den rassistischen Süden zu tingeln. Und gab es unter Rednecks doch einmal Ärger, dann konnte er sogar handgreiflich werden.

Dass Weiß und Schwarz zusammen musizierten, blieb aber bis weit in die fünfziger Jahre – zumindest in den USA – eher die Ausnahme von der Regel. Wobei erwähnt werden sollte, dass es auch schwarze Künstler wie Dizzy Gillespie und Miles Davies gab, die auf weiße Mitmusiker grundsätzlich wenig Wert legten. Die Verbitterung und die Furcht vor Vereinnahmung saßen tief, Jazz war Ausdruck schwarzen Selbstbewusstseins und sollte es auch bleiben.

Auch im Rock’n’Roll der Fünfziger herrschte vornehmlich Segregation – womöglich deshalb, weil die neue Musik ohnehin schon als verwerflich, minderwertig und Gefahr für das Abendland galt. Ein Chuck Berry mit weißer Begleitband hätte mancherorten wohl gewalttätige Ausschreitungen provoziert. Erst in den sechziger Jahren, als die Bürgerrechtsbewegung die Aufhebung der amerikanischen Apartheid mühsam erstritten hatte, formierten sich zunehmend Bands, in denen „ebony and ivory“ in mehr oder minder „perfect harmony“ praktiziert wurde. The Equals etwa, bei denen sogar der Bandname stimmte, The Foundations, Booker T., And The M.G.’s, Taj Mahal, Santana und Sly Et The Family Stone. Eine Sonderrolle nahm gewiss die Jimi Hendrix Experience ein: ein exaltierter schwarzer Frontmann, flankiert von zwei blässlichen Engländern in der Rolle der Begleitmusiker. Kein Zweifel, wer hier der Boss war. Black Power. Jim Crow entscheidet jetzt selbst, ob er tanzt. Oder tanzen lässt.

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