Arne Willander – Hinter den Deichen

Natürlich standen die tollen Konzerte - Wilco! - im Vordergrund. Nicht zuletzt lebte der dritte ROLLING STONE Weekender aber von den Geschichten am Rand. Einige erzählen wir hier - mit prominenter Unterstützung.

Die Autobahn, die durch Mecklenburg-Vorpommern führt, kann man als eine der faszinierendsten, ja geheimnisvollsten des Landes bezeichnen: Sind die Vororte von Berlin erst überwunden, so begegnet dem Reisenden kaum je eine der lukrativen Raststätten, die einst zur Nemesis des Verkehrsministers Krause wurden. Diese Autohöfe verbinden weiträumig eine Tankstelle (mit Knackwurst im Heiz-Zylinder und Auto-Zubehör) mit den Gourmet-Cafés eines, wie man früher sagte: Hamburger-Bräters (gerade sind japanische Wochen, es gibt Hackfleisch mit Wasabi) und Getränke-Depots, in denen eine kleine Flasche Eistee 3,70 Euro kostet.

Dann wieder: Autobahn. Grüne, platte Landschaft. Hier und da ein Haus, ein Dörflein, ein Baumarkt. Weil wir die letzte Tankstelle verpasst haben, verlassen wir bei einer Ortschaft die Autobahn. Zunächst: nichts. Doch dann, in der Mitte eines Kreisels, das verheißungsvolle Schild: „Saunaclub, Relax‘ – 500 Meter“. Aber bevor wir dieses Elysien bestimmt sinnlicher Genüsse erreichen, fahren wir bei einer Tankstelle mit zwei Zapfsäulen vor, die aussieht, als hätte Edward Hopper sie gemalt. Die Tankstellenfrau drückt ihre Nase ans Fenster ihrer Bude, als wir wie der Bauarbeitertrupp in „Spur der Steine“ aussteigen. Croissants gibt es hier in der Butter- und der Marzipan-Variante. Misstrauisch verfolgen uns die Augen der Pächterin: Wie schnell ist ein Bahlsen-Kuchen, eine Flasche Tequila-Bier in der Tasche verschwunden!

Später gelangen wir mit einer Busladung kregler Ausflügler in ein Rasthaus, wo die Schlange zum Klo die Schlange zur Essensausgabe schneidet. Unvermutet treffen wir in diesem Krähwinkel einen der größten Köche, ja Gewürzkenner der Gegenwart: Alfons Schuhbeck empfiehlt uns das Putenschnitzel in Würzpanade an Kartoffel-Gurken-Salat! Dankbar schieben wir das Tablett dem muffigen Chef (und Schuhbeck-Stellvertreter!) entgegen. Alfons, sonst nur am Münchner Platzl und in Fernsehstudios zu erleben, hat sich für Automobilisten diese raffinierte Mahlzeit ausgedacht, die den Metabolismus nicht belastet! Gerührt erinnern wir uns an seine Maxime, dass nur gute Zutaten ein bekömmliches Essen garantieren, und suchen 8,70 Euro zusammen. Diese Puten, das steht fest, hatten ein glückliches Leben.

Vor Weissenhäuser Strand dann der Truppenübungsplatz, ein Relikt aus dem Kalten Krieg. Es ist immer eine seltsam romantische Überlandfahrt, diese Reise zum Weekender an die Ostsee. Gerade hier, wo Ost und West strukturschwach und bleich zueinanderfinden, begreift man deutsche Identität als etwas Bleischweres und zugleich Tröstliches – wie in einem Wim-Wenders-Film: Wir sind umgeben von Vergangenheit im Lauf der Zeit.

Arne Willander ist Executive Editor der deutschen Ausgabe des ROLLING STONE.

Kristina Ruhnke über delektable Pizza, Jogi Löw und schwedische Wilco-Fans

Freitag. Highlight-Tag laut jedem, der mit dem Zeitplan vertraut ist. Einen ersten potenziellen Höhepunkt verpasst man direkt, weil man sich im Dschungel-Restaurant beim Essen drei Mal zu oft von den bizarren Varieté-Auftritten der ausgestopften Dschungelbewohner irritieren lässt. Aber The Notwist seien ohnehin eher für den Kopfhörer daheim, wie mir sogleich versichert wird. Wesentlich spannender seien da doch Portugal. The Man – der Baltic-Festsaal wird allerdings auch erst stark verspätet erreicht, da man auf dem Weg vom Dschungel-Restaurant an zu vielen Plattenständen, Plastikpalmen, Redakteuren und anderen bekannten Gesichtern vorbei muss.

Im Zelt haben derweil Death Cab For Cutie begonnen, kein must-see, eine klassische Festival-Gelegenheits-Band, bei der man später erwartungsgemäß unisono von „ganz hübsch“ sprechen wird. Daher wird die Zeit genutzt für eine aufwärmende Pause vor dem Appartement-Fernseher, wo Jogi Löw seine Mannschaft gerade in einer gefühlten 1-7-2-Formation gegen darüber hocherfreute Ukrainer herumirren lässt, in der Halbzeit entscheide ich mich dann doch noch rechtzeitig für die erprobte Fünfer-Formation der Fleet Foxes. Dort lauscht die Menge überwiegend andächtig, wirft sich lediglich hin und wieder bei den Crowd-Pleasern kurze wissende Blicke zu.

Dann endlich, 23:30 Uhr: Wilco, die Offenbarung. Who wants to see the light? Erwartungsgemäß fast jeder. Mit allen dank langjähriger Konzerterfahrung zur Verfügung stehenden Mitteln der Cleverness schaffe ich es dennoch bis in die dritte Reihe, mittig. Wird auf dieser Höhe Jeff himself stehen oder doch nur der etwas unscheinbare Bassist, dessen Namen man sich immer noch nicht merken kann, obwohl er doch als Einziger schon von Anfang an dabei ist? Unsanft aus dieser Gedankenwelt holt mich flugs eine Gruppe aufgekratzter Schweden, die sich eben in den ersten Reihen lautstark über die überraschende norddeutsche Frostigkeit (das Wetter war gemeint) ausgetauscht haben und nun fragen, ob ich mich nicht vor sie stellen wolle zwecks besserer Sicht. Kaum will ich freudig innerlich dazu ansetzen, Blanche DuBois zu rezitieren, wird allerdings klar, dass die vermeintlich gutherzigen schwedischen Wilco-Fanatiker weder gutherzig noch besonders große Wilco-Fanatiker sind, sondern es in erster Linie auf meine Tasche abgesehen haben.

Die Ereignisse überschlagen sich, schon stehen Wilco leibhaftig auf der Bühne, nehmen vom Zelt-Publikum vorerst keine Notiz und beginnen ihr Set denkbar unorthodox mit einem Zwölfminüter („One Sunday Morning“), dem spröden „Poor Places“ und einem Achtminüter („Art Of Almost“). Jeff Tweedy und seine Musiker leiden 2011 ganz offensichtlich nicht unter Gehemmtheit und schnell wird auch klar, warum: Als Live-Band haben Wilco ihren Zenit erreicht, homogener und gewaltiger klang man nie, könnte man nicht klingen. Wer um 1:40 Uhr, nach dem Abschluss „Shot In The Arm“ und „Heavy Metal Drummer“, behauptete, schon lebensbejahendere Erlebnisse gehabt zu haben, muss wohl am Nachmittag im Badeparadies gewesen sein.

Klar wird auch im dritten Jahr wieder, dass ein festivalspezifisches Syndrom auch vor dem verhältnismäßig beschaulichen RS Weekender nicht haltmacht: das Verlieren und plötzliche Wiederfinden von Bekannten. Wenngleich man sich hier immerhin nicht vor sich hin vegetierend in Duschwagen-Schlangen wiedertrifft, sondern mit Country-Platten unterm Arm beim Italiener. So wird neben den soeben beigewohnten Auftritten auch gleich die Mozzarella-Pizza besternt (allenfalls delektabel), bevor man sich wieder für einige Stunden aus den Augen verliert.

Was bleibt nun vom dritten Weekender? Erinnerungen an famose Konzerte, das bunte, gesittete Treiben in der Passage sowie zwei Vorsätze fürs nächste Jahr: Wintermantel einpacken und von schwedischen Wilco-Fans fernhalten.

Kristina Ruhnke war eine von 4.000 Besucherinnen und Besuchern des dritten ROLLING STONE Weekenders. Sie ist außerdem aktive Nutzerin und Moderatorin des RS-Forums.

Jörn Schlüter über die musikalischen Höhepunkte des Wochenendes

Natürlich! Wilco waren die Besten. Man hatte sich kaum vorstellen können, dass die komplexen Liedgebilde von „The Whole Love“ so direkt auf die Bühne übertragbar sein würden. Aber sie waren es – es gab Momente bei diesem fabelhaft klingenden, gelöst wirkenden, musikalisch vollendeten Auftritt, da wollte man Szenenapplaus geben. Es geht bestimmt noch besser, aber wir wissen nicht, wie.

Zwei Stunden später schlurfte Gitarrist Pat Sansone während der Aftershow-Party durchs rappelvolle Witthüs und ließ sich von denen beglückwünschen, die ihn erkannten. Da war der Freitag schon fast zu Ende, an dem neben Wilco zum Beispiel auch die Fleet Foxes gespielt hatten. Die fremdelten auf der Bühne und führten ihre rätselhaften Lieder so perfekt auf, dass man sich als Zuhörer unbeteiligt fühlte. Trotzdem soll man lieber genießen als klagen: Kaum jemand singt derzeit die amerikanische Erinnerungsmusik so gut wie die Fleet Foxes.

Samstag: Richtig gutes Konzert von Thees Uhlmann, der seine reflektierte deutsche Sprache nun auf tollen Springsteen-Rock anwendet. Nebenan auf der kleinen Bühne des Witthüs spielte derweil die tolle Susanne Sundfør, deren skandinavische Feenmusik geradezu magisch wurde. Die andere Frau des Tages war Amy LaVere: Neben der Sängerin am Kontrabass stand ein vermutlich doppelt so alter Mann an der Gitarre, der den rumpligen Tennessee-Country-Jazz-Rock mit der Brillanz der alten Schule spielte. Danach schnell rüber ins Zelt, wo Elbow die Welt umarmten. Früher flüsterten die Briten versteckt wie eine Peter-Gabriel-Gedächtnis-Band, nun soll diese Musik alle miteinander verbinden. Manche Melodie war zu viel des Guten, doch Elbow krönten den Weekender mit einem großen Gefühl. Es war ein schönes Ende.

Der Autor und Musiker Jörn Schlüter schreibt seit den 90er-Jahren für die deutsche Ausgabe des ROLLING STONE

Guy Garvey über Alkohol, Bowling und ein besonderes Konzert

Als wir das Angebot bekamen, beim Weekender zu spielen, hatten wir sofort Lust, weil wir dachten, es könnte vielleicht so ähnlich sein wie das All-Tomorrow’s-Parties-Festival – und tatsächlich herrschte beim Weekender eine ähnlich entspannte Atmosphäre.

Wenn wir auf Tournee sind, beginnen unsere Tage im Allgemeinen mit einem Kater, so auch der Samstag unserer Anreise. Das ist mit den Jahren natürlich nicht leichter geworden, wir gehen ja alle schon auf die 40 zu. Aber zum Glück sind wir nicht die Art von Band, deren Bühnenshow eine herausragende körperliche Verfassung erfordert, da wir die ganze Zeit nur auf einem Fleck stehen.

Am Vortag hatten wir in Kopenhagen gespielt, was uns auf dem Weg nach Deutschland in den Genuss einer schönen Überfahrt mit der Fähre gebracht hat. Dadurch wurden dann auch die Köpfe wieder frei. Der Tag beim Weekender begann für uns mit einem schönen Spaziergang an diesem herrlich ruhigen Strand, auf dem wir einige Freunde trafen: Zunächst den Musiker Josh Pearson, den ich ewig nicht gesehen hatte. Mit seiner alten Band Lift To Experience waren wir früher oft auf Tour. Wir sind sind bis heute gute Freunde geblieben, schaffen es aber wegen der vielen Tourneen nicht allzu oft, uns zu treffen. Außerdem war unser guter Freund John Niven beim Weekender. Die beiden zu treffen, war eine Überraschung für mich, weil ich mir niemals im Vorfeld unsere Tourpläne ansehe. All die Städte zu sehen, in denen wir auftreten werden, würde mir, glaube ich, Angst machen.

Vor der Show gingen wir zum Bowlen, ruhten uns ein bisschen aus und schauten einen Film. Anschließend wurde getrunken. Die Stunden vor den Konzerten sind mit einer Rampe vergleichbar: Man bringt sich kontinuierlich in die richtige Stimmung, um dann pünktlich zur Show voll da zu sein. Es ist eine Kunst, genau den richtigen Alkoholpegel zu erreichen, um ein gutes Konzert spielen zu können – es darf ja auch nicht zu viel sein.

Das Besondere an unserem Auftritt war, dass wir hier unser komplettes Programm spielen konnten. Der Schwerpunkt lag bei den letzten beiden Alben, außerdem hatten wir bewusst ein paar ältere Songs im Programm. Als Geschenk an unsere treuesten Fans. Die Diskussion um die Setlist ist bei uns stets die Hölle. Alles, was in dieser Band passiert, wird streng demokratisch entschieden, was bei fünf Leuten kein besonders großer Spaß ist. Es bleibt jedenfalls nicht sehr viel Raum für Spontaneität.

Die Show selbst war großartig. Zwar waren wir nach dem langen Tag alle schon ein bisschen müde und auch einigermaßen angetrunken, aber wir waren bester Laune und fühlten uns sehr willkommen. So spielten wir eine schöne, warme Show. Die Reaktionen der Leute waren so charmant wie das ganze Festival. Man merkte, dass das Publikum hier sich wirklich für Musik interessiert.

Guy Garvey ist Sänger der britischen Band Elbow, einer der diesjährigen Headliner des Weekender-Festivals.

Ein Weekender-Alphabet von Thees Uhlmann

A. Meine Klavierspielerin Julietta Hill war neben einer Horde von Kindern die jüngste Besucherin des ROLLING STONE Weekenders!

B. Die Aura von Menschen, die an den Ständen im Foyer Schallplatten verkaufen, erinnert an eine Mischung aus Störtebeker & Jeanne d’Arc!

C. Der Bass bei Death Cab For Cutie war so basslastig, dass meine Nasenhaare vibriert haben und deswegen die Nase gejuckt hat. Das Konzert war sehr gut.

D. Rockmusik an einem Ort zu sehen, an dem sonst keine Rockmusik stattfindet, ist erfrischend, lustig, inspirierend.

E. Der Bühnenaufgang zum Baltic-Festsaal war so flach, dass ich mir beim Runter- und beim Wiederraufgehen den Kopf gestoßen habe. Pockpockpock.

F. Mit meiner Band und meiner Crew nach dem Konzert in unserem Backstageroomhotelzimmer zu sitzen, war eine der schönsten Partys des Jahres.

G. Wette eins: Der Elbow-Sänger wird in 15 Jahren in der englischen Politik aktiv sein, und er wird seinen Job sehr gut machen.

H. Der lauteste Platz des Festivals war nicht die Hauptbühne beim Free-Jazz-Noise-Part von No-twist, sondern die kompletten 48 Stunden an einem der Stände in der Galerie. Die ganze Zeit Soul-Musik in der Lautstärke eines startenden Starfighters.

I. Mein Schlagzeuger Max Perner aus Wien zeigte sich beeindruckt von der Freundlichkeit und Offenherzigkeit der Norddeutschen. O-Ton: „Ist ja wie im Burgenland hier!“

J. Es dauert zehn Minuten bis zum Strand. Am Ende des Piers liegt ein Lenkdrachen auf dem Grund der Ostsee, die dort circa 40 cm tief ist. Es sieht dort aus wie in der ersten Einstellung eines „Tatorts“, der in Schleswig-Holstein spielt.

K. Da ich kein Auto besitze, lieh ich mir den Opel Corsa meiner Mutter aus. Zum Dank wollte ich ihr aus dem Edeka am Weissenhäuser Strand ein Glas Sanddornmarmelade aus dem Silicon Valley der deutschen Sanddornproduktion mitbringen. Vier Tage später sah ich exakt das gleiche Glas Marmelade im Supermarkt um die Ecke in Berlin.

L. Menschen, die den ROLLING STONE Weekender besuchen, sind höflich, individuell, markenresistent, interessiert und they dont take no shit from anyone, glaube ich!

M. Ich schrieb dem Chef vom Hotel, in dem ich geschlafen habe, am Mittwoch nachts um halb eins eine E-Mail, dass ich mich auf meine Anreise am Freitag freue. Er schrieb um viertel vor eins zurück: „Moin, dann mal gute Fahrt!“ Ich liebe so was!

N. Wenn es mein Terminplan erlaubt, fahre ich nächstes Jahr auf jeden Fall wieder hin.

O. Wette zwei: Beim ROLLING STONE Weekender wird an einem Wochenende weniger Kokain genommen als in einem Berliner Techno-Club in einer halben Stunde.

P. Ich habe Nudeln mit Tomatensauce in einem Restaurant gegessen. Sie schmeckten so absurd neutral, dass es ein großer Spaß war, sie zu essen.

Q. Und dann hat dieser Florian Ostertag doch tatsächlich einfach einen Song nur auf der Schreibmaschine gespielt!

R. Ich genoss es beim RSW sehr, dass ich für meine Freunde Bier holen gehen konnte, was nicht länger als drei Minuten dauerte, und meine Freunde von diesem Bier keine Kopfschmerzen bekamen. Besucher von Konzerten in Berlin wissen, was ich meine!

S. Das Zelt ist ein wenig zu groß und der Raum, der aussieht wie ein Tanzschulenübungsraum aus den Achtzigern, ist viel zu klein. Selbst bei vermeintlich unbekannteren Bands warteten Kohorten auf Einlass!

T. Nächstes Jahr gibt es in der Spielhalle ein Airhockey-Turnier. Anmeldungen bitte an airhockey@ghvc.de

U. Kinder unter zwölf Jahren gehören nicht vor die Boxen eines Rockkonzertes. Entweder gehören sie nach hinten oder hinter die Bühne. Aber nach hinten kann man sie von der Bühne aus nicht schicken. Das schickt sich nicht.

V. Ein Wochenende ist immer gut, wenn man Menschen nach fünf Jahren wiedertrifft und sich freundestrahlend mit ihnen unterhält.

W. Die Bands erwarten nicht, dass man verrückt tanzt, und das Publikum erwartet nicht, dass man bis zum Anschlag entertaint wird. Herrlich!

X. Einschub: Gerade fertig mit Vorprogramm. Die Beatsteaks spielen in Linz: die sind wie eine Mischung aus Charlie Sheen (Old School) & Dalai Lama (Karma School).

Y. Ich traf einen Menschen, der einen ¥-Schein dabeihatte, um ihn für einen japanischen Freund unterschreiben zu lassen.

Z. Die Elefanten, wenn man da reingelatscht ist!

Der Tomte-Sänger Thees Uhlmann trat mit seiner Band beim RS Weekender auf. Sein erstes Soloalbum ist vor einigen Wochen erschienen.

Joachim Hentschel über Privat-heit, Flashmob-artige Spontanpartys und Quadrophenia

Privatheit ist doch sonst das Erste, was man aufgibt, wenn man ein Festival betritt. Alles muss hier allen gehören, alles ist für alle Augen bestimmt. Wie freie Liebe, bloß ohne Sex. Und wenn Leute mit Mitte 30 zum ersten Mal im Leben sagen, dass sie sich langsam zu alt fürs Hurricane oder fürs Melt fühlen, dann meinen sie damit natürlich nicht, dass sie ab sofort keine Strokes oder Sigur Rós mehr hören wollen oder sie das bisschen Nieselregen aufregt. Sondern genau das: dass sie die Vorstellung nicht mehr ertragen, ein langes Wochenende lang allzu öffentlich zu sein.

Beim ROLLING STONE Weekender fühlt sich das anders an. Vielleicht weil man hier praktisch im Festival wohnt, in Appartements, nicht unter dünnen Zeltplanen. Vielleicht wegen des Umgangstons oder der Gewissheit, niemals gezwungen zu sein, jemandem beim Zaunpinkeln zuzuschauen. Außenstehende verwechseln das oft mit Gesetztheit und Provinzialität. Aber im Kern ist es ja nichts anderes als die Sehnsucht, auch im Gemeinschaftserlebnis noch eine Spur dieser Intimität zu behalten, die bestimmte Musik so schön macht.

Da ist nicht nur der Typ, der beim Fleet-Foxes-Auftritt mit geschlossenen Augen im Dunkel des Hauptzelts steht. Oder die junge Frau, die am Samstagmittag allein durch die sonnige Passage läuft, im einen Arm ihr Baby, im anderen ein „Complete Stax Singles“-Boxset. Oder die Jungs in den Daunenjacken, die nachmittags draußen am Deich ihre Plastikkiste mit Geschirr und Kaffeekannen abgestellt haben, ein „Beacon Run Chapter Kiel“-Banner ans Holz des Stegpfostens pinnen (eine Allman-Brothers-Referenz, die man nicht unbedingt verstehen muss) und darunter auf dem Plattenspieler The Who laufen lassen. Ein ganzes Wohnzimmer, mitten am Strand. Ob das eine Privatdisco ist? „Das is‘ keine Disco“, sagt einer von ihnen, leicht unwirsch, „das is‘, Quadrophenia‘, Mann!“

„Escapism is much more powerful“, wird Sänger-Cake John McCrea am Samstagabend von der Bühne herunter sagen, nachdem er mit dem Publikum eines dieser Wechsel-Singspiele gespielt hat, „you’re not really angry!“ Natürlich hat er recht, natürlich ist dieser Weekender 2011 kein Ort der Aggression und des extrovertierten, dionysischen Musik-Erlebens. Und so sehr manche sich auch zwischendurch wünschen, dass es auf einer Bühne noch mal richtig pfeffern solle: Es ist gut, dass es das nicht tut. Die Ambient-Mammuts Explosions In The Sky sind in der Hinsicht schon der Gipfel. Sie spielen mit ohrenbetäubenden Drones den Baltic-Festsaal halb leer.

Die beste Szene ereignet sich dann in der Samstagnacht, noch während des Elbow-Konzerts zum Abschluss. In der Passage hat der vordere Plattenhändler den Handel eingestellt, die Boxen aufgedreht, „Venus“ von Shocking Blue läuft, dann „The Loco-Motion“ von Little Eva, und dann noch mehr. Und die Passanten bleiben stehen und fangen zu tanzen an, auf dem Schachbrettboden, in Allwetterjacken und Kapuzenpullis, sexy und unsexy, zehn, fünfzehn Junge und Alte. Durch die Scheiben scheint das eisblaue Licht vom Zelt herein, die Wipfel der Zierpalme bewegen sich ein bisschen.

Nicht-Musik-Orte in Musik-Orte verwandeln, völlig außerhalb der Reihe: Einem semi-privaten Weekender-Herbstfrische-Publikum traut man das vielleicht nicht zu, aber es wird gemacht.

Joachim Hentschel ist stellvertretender Chefredakteur des deutschen ROLLING STONE.

John Niven über unerwartete Höhepunkte, volle Kühlschränke und die Katerfahrt zum Flughafen

Als ich zu einer Lesung beim „ROLLING STONE Festival“ eingeladen wurde, erwartete ich das, was jeder englische Autor beim Wort Festival erwarten würde: Schlamm bis zum Abwinken, Regen, Zelte und amorphe Menschenmassen. Was für eine angenehme Überraschung, bei meiner Ankunft festzustellen, dass ich mich in einer behaglichen Feriensiedlung wiederfand – mit einem warmen Bett, sauberen Handtüchern und einem Kühlschrank, der mit Bier, Wein und Wodka bestens bestückt war.

Die Lesung selbst war eine der gelungensten, die ich zusammen mit meinem Co-Leser Nagel (früher bei Muff Potter) jemals gegeben habe: rund 200 Leute, die uns mit offenen Armen empfingen und im weiteren Verlauf viel lachten und intelligente Fragen stellten. Und im Anschluss durfte ich dann bei einem wunderbaren, eiskalten deutschen Bier einen ganzen Stapel meiner Bücher signieren.

Ein unerwartetes Highlight des Wochenendes bestand darin, Elbow wiederzutreffen, meine alten Freunde aus England. Zwischen meiner Lesung und dem Live-Programm am Abend blieb uns die Zeit, den Ball am Rollen zu halten – im wahrsten Sinne des Wortes: Mit Josh T. Pearson und den Elbow-Jungs ging ich zunächst auf die Bowling-Bahn – was bei englischen Festivals nicht gerade obligatorisch ist -, danach an den Billard-Tisch, natürlich immer verbunden mit einer kleinen Wette. Ich erinnere mich nicht mehr, wer beim Bowling abräumte (wir hatten schon diverse Flaschen des guten deutschen Biers gekippt), aber beim Billard konnte ich Craig Potter von Elbow zehn Euro abknüpfen. Läuft doch!

Und dann war da noch die Musik. Ich hörte fast das komplette Set von Nada Surf, einen Teil von Cake (beide ausgezeichnet!) – und dann den Höhepunkt des Samstagabends: Elbow natürlich. Die Band ist in Großbritannien vermutlich erfolgreicher als in Deutschland, aber das sollte sich bald ändern, wenn sie noch mehr Konzerte spielen wie das an diesem Abend: überdimensional, hymnisch, unglaublich präsent – ein würdiger Abschluss des „ROLLING STONE Weekender“.

Nun, genau genommen war’s damit noch nicht ganz vorbei. Wir gingen in mein Zimmer und plünderten den Kühlschrank, und danach zogen wir weiter in die Disco: Ich schlürfte Champagner-Cocktails, tanzte und redete Schwachsinn, bis die Sonne aufging. Ein Wort noch an den netten Typen, der mich am nächsten Morgen zum Bahnhof chauffierte: Tut mir echt leid! Ich glaube, er war noch nie einem Menschen mit einem derart gigantischen Kater begegnet. Aufs nächste Jahr! Prost.

Der schottische Autor John Niven kam mit dem Bestseller „Kill Your Friends“ zu Ruhm. Beim Weekender las er aus seinem neuen Buch „Gott bewahre“.

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