Aus unserem Blog: „Geboren, aber sowas von – Lady Gagas neue Single“

Joachim Hentschel über Lady Gagas neue Single "Born This Way", die kürzlich bei den Grammys ihre Uraufführung erlebte.

Lady Gaga ist nicht blöd oder schlecht deshalb – aber mein bisheriger Eindruck war doch, dass die Musik in ihrem Pop-Cluster (neben optischem Style, Sprüchen und Auftrittspraxis) die kleinste Rolle spielt. Und dass sie das auch völlig ungezwungen signalisiert: die Videos mit irrsinniger Exzellenz, großen Regisseuren und Ideen. Die Songs dagegen gefällig, geradezu demonstrativ unoriginell, von der ganz breiten Mode inspiriert, eher hingeschludert.

Seit kurzem können wir „Born This Way“ hören, die neue Single. Im Prinzip der erste Gaga-Track, den sie im vollen Bewusstsein ihrer Allmacht als Ikone produziert hat. Aber noch ohne Video. Fühlt sich komisch an, so, als wäre man plötzlich blind.

Weil wir also zur Abwechslung mal nur über die Musik reden können: Ist „Born This Way“ nun der Schritt nach vorn, hinein ins Exquisite, den Lady Gaga nicht braucht, aber vielleicht trotzdem gehen will?

Nein, ist er nicht. Während sich ihre sprichwörtliche Nemesis Madonna oft die dollsten neuen Produzenten ins Studio setzte und den Eindruck erweckte, in den Clubs und Stuben werde das ganze Jahr über nur der Boden für ihren nächsten größten Auftritt bereitet, lässt Gaga da ganz locker. Lustigerweise erinnert „Born This Way“, und das ist am Premierentag sicher schon vielen aufgefallen, überdeutlich an eine von Madonnas besten Singles, das von ihr selbst und Stephen Bray produzierte „Express Yourself“. Wohlgemerkt von 1989. Lady Gaga und ihre Co-Produzenten Fernando Garibay und DJ White Shadow (beide sagen uns nichts) haben ein Post-Acid-Big-Beat-Neunziger-Disco-Feeling dazugemischt, was den Song nur noch eingängiger, brecher- und hymnenhafter macht als das fast melodiegleiche Madonna-Stück.

Ein Hit, zweifellos. Den man in Schleife hören kann. Den man seiner Friseurin zum 40. Geburtstag mitbringen will, weil dann die Bodenplatten beben werden. Nicht im Geringsten eine taktische Single oder ein Rätsel, wie es ein Batman-Bösewicht an Gagas Stelle stellen würde. Viele werden stolz drauf sein, „Born This Way“ zu mögen, weil sie es als guilty pleasure empfinden. Aber es ist nicht schwer.

Aber was doch noch höchst interessant ist, und dazu braucht man den Madonna-Vergleich nochmal (und dazu ist er vielleicht sogar erwünscht): „Express Yourself“ verstand man damals als Ermutigung an die Mädchen der Welt, sich sexuell nichts aufzwingen oder vorenthalten zu lassen. „Born This Way“ dagegen ist in seiner Weltumarmung und Ermutigung, seinem Waffen- und Weckruf derart allumfassend, dass sich hier eben nicht nur die Schwulen und Lesben, Unterdrückten und Zusammengefalteten, Männer und Frauen, Beknackten und Erleuchteten angesprochen fühlen werden, sondern auch alle, die noch übrigbleiben. Sogar die ägyptischen Freiheitskämpfer können dieses Lied besetzen, falls sie mögen. Und wenn ich mich nicht täusche, brauchen wir „I Will Survive“ von Gloria Gaynor nun nie mehr, was ein weiterer Grund zur Freude ist.

Weil Lady Gaga nun direkt zu ihren Leuten, ihren Monstern und Halbinteressierten spricht. Sie legt die kalte Gurkenmaske ab, durch die sie ihre Lieder bisher gesungen hat. Und steigt hoch, zum Ausguck mit dem Megafon. Obwohl sie keine Message hat außer: Liebt euch selbst. Sie bläst den Kanal frei. Großartige Performance. Ich würde Geld dafür ausgeben.

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