Berlinale: Die dunkle Seite der katholischen Kirche

Gibt es für die katholische Kirche einen richtigen Umgang mit dem Missbrauch von Minderjährigen? Ist jede Schuld sühnbar? Diese Fragen stellt der chilenische Regisseur Pablo Larraín in seinem sehenswerten Wettbewerbsbeitrag »El Club«. Die polnische Regisseurin Małgorzata Szumowska konfrontiert in ihrem Film »Body« Hungerkult mit Spiritismus.


El Club

Chile hat bereits mit dem Dokumentarfilm „Der Perlmuttknopf“ von Patrizio Guzmán einen beeindruckenden Auftritt bei dieser Berlinale gehabt. Guzmán zieht in seinem Film eine Linie zwischen der Zerstörung der indigenen Völker Chiles und den Verbrechen Pinochets. Nun legt sein Landsmann Pablo Larraín mit „El Club“ einen glänzenden Spielfilm nach, der sich einem anderen düsteren Thema widmet, das nicht spezifisch chilenisch, sondern universal ist, in Chile aber eine besondere Ausprägung hat: der Missbrauch von Schutzbefohlenen unter dem Dach der Kirche.

Das Thema Missbrauch ist noch vielerorts ein Tabu, bei der diesjährigen Berlinale spielt es eine wichtige Rolle. Die Panorama-Reihe wurde von Rosa von Praunheims „Härte“ eröffnet, in dem er in einem dokumentarischen Essay den Folgen von Demütigung, Missbrauch und Liebesentzug am Beispiel des Berliner Zuhälters  Andreas Marquardt nachgeht. In der gleichen Sektion stehen bei „54: The Directors Cut“ die hellen und dunklen Seiten des frivolen Hedonismus im berühmten Studio 54 im Mittelpunkt. Auch dabei kommt das Thema Missbrauch auf.

Guzmáns Klub ist eine Priester-WG in einem kleinen Fischerdorf an der chilenischen Küste, in der die gefallenen Jünger des Herrn, »die ihr Amt nicht mehr ausführen dürfen«, Buße und Reue tun sollen. Welcher Verbrechen sie sich im Einzelnen schuldig gemacht haben, wird nicht gesagt, aber es klingen neben dem Missbrauch Schutzbefohlener auch Mitwisserschaft bei den Gräueltaten der Schergen Pinochets, Kinderhandel sowie der Diebstahl von Kircheneigentum an – alles andere als Kavaliersdelikte. Nichtsdestotrotz führen sie ein recht bequemes Leben für Männer, die das Büßerhemd tragen. In ihrer vergessenen Gemeinschaft am Rande Chiles teilen sie ihr Leben mit einer Schwester, die für sie sorgt, sie trinken und scherzen miteinander, und sie befeuern beim Hunderennen die Rivalitäten im Dorf.

Als eines Morgens ein neuer Pater ankommt, ist es mit dem bequemen Dasein vorbei. Denn mit ihm taucht ein junger Mann auf, der Probleme macht. Etwa indem er sich vor dem Haus aufstellt und laut die sexuellen Übergriffen deklamiert, derer sich der neue Pater schuldig gemacht hat. Die alteingesessen Priester fordern diesen auf, den Mann mit einer Pistole zum Schweigen zu bringen, da sie ihr einigermaßen angepasstes und unauffälliges Dasein in dem Dorf in Gefahr sehen. Doch statt den Mann zu bedrohen, jagt er sich selbst eine Kugel in den Kopf.

Was in solchen Fällen passiert, geschieht auch in Larraíns Film. Ein kircheninterner Ermittler taucht auf. Diese soll nicht nur den Vorfall klären, sondern auch entscheiden, ob und wenn ja, wie es mit dem Haus weitergehen soll. Er führt Gespräche mit den Priestern, um sie ihrer Vergehen bewusst zu machen, und stößt dabei nicht nur einmal auf hämisches Lachen. Er führt auch strengere Regeln ein, um die Männer wieder auf den Pfad von Reue und Buße zu führen. Seiner persönlichen Vorstellung von Gerechtigkeit scheint das nicht zu entsprechen. Als sich die Männer einmal mehr gegen seine Vorgaben zur Wehr setzen, »weil sie ihr Leben so nicht führen wollen«, entgegnet er ihnen, dass, wenn es nach ihm ginge, sie alle ins Gefängnis kämen, er aber seiner Kirche nicht schaden wolle.

Haben wir es hier also mit einem der wenigen echten Aufklärer in den Reihen der Kirche zu tun? Mit jeder Minute, die dieser Film voranschreitet, werden die Zweifel daran größer. Denn auch über dem Ermittler, einem vermeintlichen Vertreter der »Neuen Kirche«, liegt ein Schatten, dessen Konturen durch Andeutungen, Blicke und Berührungen zwar sichtbar, aber unscharf bleiben. Zugleich wächst die Bedrohung von außen, der unbekannte Ankläger vom Beginn des Films hat vor der Priester-WG sein Lager bezogen, seine Aktivitäten drohen für Aufsehen zu sorgen. Was also tun? Während der verschwörerische Kreis der Priester versucht, die Sache gewaltsam zu lösen, schlägt der Ermittler, nicht undankbar ob der vorher aufkommenden Gewalt, den Weg der Barmherzigkeit ein.

Pablo Larraín bildet in El Club das abgrundtief perfide System der Kirche ab. Er hält seine Erzählung dabei in dem Ungefähren, in dem sich auch die Haltung der Kirche bewegt. Beim Betrachter löst dies ein überaus beklemmendes Gefühl aus, weil jede mögliche Linie zwischen Aufklärung und Vertuschung verwischt. Es gibt in diesem Film kein Gut und kein Böse, die Charaktere entziehen sich einer Einordnung und gehen vollends im jahrelang gelebten System der Kirche auf. Jeder ist hier Täter und Opfer zugleich.

Es gibt bis heute keine eindeutige Position der Kirche, was den Umgang mit Priestern betrifft, die missbraucht haben oder missbraucht wurden. Im realen Leben wie auch im Film werden sie meist der staatlichen Rechtsprechung entzogen; im geschlossenen Kreis des Klerus fehlt leider jedes Bewusstsein für das Vergehen als solches. So deckt und schützt man sich gegenseitig, um »der Kirche nicht zu schaden«. Um die zu Schaden gekommenen Menschen geht es dabei kaum. Einzelkämpfer haben in diesen Strukturen keine Chance. Dieses System mag in Chile noch um einiges stabiler sein als hierzulande, da die Kirche in Chile in die jüngere Geschichte des Landes und damit auch in die nationale Politik stark verwickelt ist.

Guzmáns Film hat jedoch leider einen folgenschweren Fehler: Er behandelt die Themen Pädophilie und Homosexualität undifferenziert nebeneinander, als gehörten sie zusammen. Nun ist es zweifellos so, dass die Kirche mit beiden ein Problem hat, aber hat das eine nicht zwangsläufig mit dem anderen zu tun.

Als Wir Träumten

Andreas Dresen samt jugendlicher Crew war am Montagabend mit seiner gleichnamigen Verfilmung von Clemens Meyers Roman „Als wir träumten“ im Wettbewerb zu sehen. Der Film, besetzt gleich mit einer ganzen Riege deutscher Nachwuchsschauspieler, erzählt in eindringlichen und schonungslosen Bildern die Geschichte des Erwachsenwerdens zwischen zwei Welten. Der Film ist ein Porträt des jugendlichen Lebens in Leipzig in den Neunziger Jahren und lenkt damit den Blick auf eine Generation, die in den zwei Welten vor und nach der Wende gleichermaßen zuhause und verloren ist.

Body

Am späten Abend präsentierte Małgorzata Szumowska ihren neuen Film „Body“ im Wettbewerb. Die polnische Regisseurin war bereits zwei Mal im Panorama vertreten, bevor sie 2013 mit ihrem eindrücklichen Wettbewerbsbeitrag über einen homosexuellen katholischen Priester den Teddy-Award gewann. Entsprechend hoch waren die Erwartungen an ihr neues Werk, in dem es um Spiritismus und Anorexie geht.

Olga (Justyna Suwała), die Tochter des Untersuchungsrichters Januzs (Januzs Gajos) kotzt sich seit dem Tod ihrer Mutter die Seele aus dem Leib. Ihr Vater steht hilflos daneben, ertränkt seinen eigenen Kummer in Arbeit und Wodka. Als er sie eines Abends bewusstlos im Bad findet, liefert er sie in eine Klinik ein. Hier trifft sie auf die Therapeutin Anna (Maja Ostaszewska), die in ihrer Freizeit als Medium aktiv ist und Kontakt zu Verstorbenen aufnimmt. Sie wird ihre Fähigkeiten nach einer Weile auch bei Olga und ihrem Vater anwenden wollen, stößt bei Januzs aber auf Widerstand.

Die Schauspieler in diesem Film agieren souverän und glaubhaft, bleiben dem Zuschauer aber dennoch fremd und unnahbar. Die Frage, was uns Małgorzata Szumowska mit diesem Film sagen will, ist nicht klar zu beantworten. Wer will, findet einen feministischen Grundton, der den absurden Körperwahn weltweit und die Auslieferung des Körpers der Frau unter klerikal-motiviere Gesetze in Polen im Besonderen kritisiert. Über diesen wichtigen Grundton hat sie jedoch die esoterisch-spiritistische Geschichte der immer anwesenden, Signale sendenden Mutter gelegt, die ihn fast verschüttet, auch wenn sich diese Geschichte als Mummenschanz herausstellt.

Wozu also das Ganze? Vielleicht um den Film mit der letzten Einstellung aus der Schublade eines mäßig gelungenen Dramas in die Schublade einer augenzwinkernden Komödie mit Tiefgang zu verlegen. Anders kann man den Fußball-Evergreen „You never walk alone“, der über die letzte Szene gelegt ist, nicht deuten.

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