Breaking Bad, Staffel fünf: Terminally badass

Elektrisierend, grotesk, intim, satirisch, paranoid, komisch: Die US-amerikanische TV-Serie Breaking Bad von Akte-X-Produzent Vince Gilligan ist alles auf einmal - und kommt tatsächlich damit durch. Nun startet die fünfte, finale Staffel. Forums-Userin Kristina Ruhnke freut sich vor.

Atmen ist in den bizarren ersten Minuten von Breaking Bad nicht vorgesehen. Wir sehen einen Mann mittleren Alters mit Gasmaske und Unterhose bekleidet, der panisch einen Wohnwagen durch eine wüstenartige Landschaft lenkt, neben ihm ein jüngerer Mann mit Gasmaske, ohnmächtig (oder tot?). Im Kofferraum werden zwei weitere leblose Menschen auf dem Boden zwischen allerlei Equipment hin und her geschleudert. Das Auto gerät vom Weg ab und kommt schließlich zum Stehen. Der Mann steigt aus und spricht keuchend eine Abschiedsbotschaft an seine Familie in eine Handkamera. Von weitem sind Sirenen zu hören, der Mann holt hektisch einen Revolver aus dem Wohnwagen, läuft zurück auf die Straße und richtet den Revolver in Richtung der sich nähernden Polizeiautos – und Cut zu den Opening Credits. Was ist passiert?

Drei Wochen zuvor: Walter White (Bryan Cranston) führt eine unauffällige Existenz als Chemielehrer mit kleinen Geldsorgen in einer durchschnittlichen Mittelschichts-Familie am Rande von Alberquerque, New Mexico, als er bei einer ärztlichen Untersuchung eine erschütternde Diagnose erhält: Lungenkrebs im Endstadium. Statt mit der Familie über Behandlungsmöglichkeiten zu beraten, behält er die Nachricht für sich.

Als Walter eines Tages einen Fahndungseinsatz von Schwager und Drogenfahnder Hank begleitet, trifft er auf seinen ehemaligen Schüler Jesse Pinkman (Aaron Paul), der vom Tatort flüchtet. Unter dem Eindruck der Geldsummen, die bei Hanks Job im Spiel sind, beschließt Walter, seine chemischen Fähigkeiten zu nutzen, um in die Drogenproduktion einzusteigen und mit dem schnellen Geld seiner Familie nach seinem Tod ein finanziell sorgenfreies Leben zu ermöglichen. Er überredet Jesse, mit ihm zusammen im großen Stil Crystal Meth zu produzieren und vertreiben. Doch die Unerfahrenheit der beiden fordert ihren Tribut und die zunehmende Verstrickung in die Drogengeschicke der Region stellt Walters Leben bald akuter in Frage als die tatsächliche Krankheit.

Breaking Bad ist die eigenwilligste, Genre-verweigerndste unter vielen herausragenden Fernsehserien, die in diesem Jahrtausend in den USA eine goldene Serien-Generation einleiteten. Eine Generation, die in Punkto Ergründung einer amoralischen Gesellschaft und Explizität ihrer hässlichen Fratze neue Maßstäbe setzt. The Sopranos und The Wire öffneten zu Beginn der Nullerjahre beim Pay-TV-Sender HBO die Türen, durch die jüngere Serien wie Breaking Bad oder Mad Men inzwischen sogar amerikanisches Free-TV erreichen konnten (beide Shows laufen beim freien Kabel-Sender AMC). Was diese und eine Hand voll andere jüngere Serien eint, ist, dass sie allesamt elementare moralische Fragen aufwerfen, sie aber dankenswerterweise nicht dezidiert für den Zuschauer beantworten möchten.

Breaking Bad – laut Vince Gilligan vermutlich die allerletzte auf 35-mm-Film gedrehte TV-Serie – ist unter diesen Shows diejenige, die sich am nächsten an die Schmerzgrenze des Zuschauers heran wagt. Sie setzt ihn permanenter Hassliebe gegenüber den Hauptcharakteren aus und hat tatsächlich den Nerv, der Spannung und grotesken Gewalt, dem ganzen furchtbaren Schauer auch noch Humor und Menschlichkeit beizumischen. Genau genommen tut es so viel mit dem Zuschauer – die Nerven kitzeln, zum Lachen bringen, abstoßen, Fingernägel kauen und enthusiastisch Zitate merken lassen – dass sie normalerweise an irgendeinem Ende die Balance verlieren müsste. Dass dies nicht geschieht, ist vor allem dem schlüssigen Script, den vieldimensional gezeichneten Hauptcharakteren sowie dem durch die Bank großartigen Cast zu verdanken – und insbesondere Hauptdarsteller Bryan Cranston.

Mit ihm hat Vince Gilligan einen Schauspieler gefunden, der vom galligen Schurken-Blick bis zum weichen, liebenden Familienvater-Lächeln alle Nuancen beherrscht und deren Vereinbarkeit glaubhaft verkörpern kann. Cranston und Gilligan hatten sich bereits sechs Jahre zuvor bei Dreharbeiten zu einer von Gilligan geschriebenen Folge von The X-Files (Akte X) getroffen, in der Cranston als Hauptfigur gastierte. Gilligan zur damaligen Wahl von Cranston: „Wir brauchten jemanden, der angsteinflößend und ein bisschen abscheulich sein konnte, aber gleichzeitig eine dabei mitschwingende Menschlichkeit besaß.“ Diese außergewöhnliche Qualität in Verbindung mit einem willkommenen Komik-Talent, von dem er sich durch Cranstons zwischenzeitlichen Ausflug ins Comedy-Metier in Malcolm in the Middle (Malcolm mittendrin) überzeugen konnte, waren es, an die Gilligan wieder dachte, als er Cranston um Mitarbeit an seinem Projekt bat.

So wenig wie für Breaking Bad einzelne Genre-Schubladen greifen, so stark sind auch die filmischen Einflüsse ein post-modernes Potpourri aus Film-Strömungen und -Elementen des 20. Jahrhunderts. Vom Film Noir hat die Serie die zentralen Fragen, die um Schuld und Verhängnis kreisen, die nichtlineale Erzählweise mit Rück- und Vorausblenden und einen gewissen grundlegenden Pessimismus. Dieser nimmt wiederum oft die Form vom Zynischen und Makaberen an, ein Black Comedy-Kennzeichen. Auch das MTV-Zeitalter hat Breaking Bad eingesogen und verwendet regelmäßig Mittel wie übersteuerte Farben, unübliche Kameraperspektiven und Schnitttechniken, Zeitraffer und musikvideohaften Einsatz von Musik.

Die unbarmherzige Dürre der Landschaften wiederum, Walters grimmige Outlaw-Aura, die extremen Close-Ups zwecks Furchenstudium und die teils stark überzeichnete Coolness referenzieren Sergio Leones C’era una volta il West  (Spiel mir das Lied vom Tod) und Sergio Corbuccis Filme der Sechziger.

So mutet Breaking Bad insbesondere in den Szenen, die im Grenzbereich zu Mexico spielen, ein wenig an wie ein Update des Italo-Western, ins 21. Jahrhundert transferiert. In einer Bar-Szene scheint ein mexikanischer Drogenboss direkt Clint Eastwood und Eli Wallach in Il buono, il brutto, il cattivo (Zwei glorreiche Halunken) zu zitieren, als er mit heiserer Stimme zum Barkeeper spricht: „There are two kinds of men in this world. Those who drink and those who pour.“ („Es gibt zwei Sorten von Männern: die, die trinken, und die, die einschenken.“) Auch die eine oder andere Bar-Schlägerei mit klassischer anschwellender Western-Dramaturgie ist in jeder Staffel obligatorisch.

Fünf Jahre und viele Darstellerpreise für Cranston später geht die Serie nun in die fünfte und letzte Staffel, hierzulande ab Oktober im Pay-TV (Sky AXN) zu sehen. Doch um die Zukunft des US-amerikanischen Serienformats muss man sich so schnell nicht sorgen.

Die Autorin ist Mitglied des Rolling Stone Forum und Redakteurin des unabhängigen Popkulturmagazins get happy!? Mehr über die amerikanische Fernsehserie „Breaking Bad“ finden Sie ab 27. September in der dritten Ausgabe von get happy!? (www.gethappymag.de).

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