Chaos & Prätention im Hinterstübchen

Kürzlich gab Sir Paul McCartney der britischen Zeitschrift „Mojo“ ein Interview, in dem er wieder der nette Kerl war. Yessir, es ist ein bißchen schade, daß er damals für seine eigenen Lieder nicht so viel Geld geboten hatte wie Michael Jackson, der später ins Telefon fistelte, das sei halt geschäftlich. Dabei hatten sie sich bei „The Girl ls Mine“ und „Say Say Say“ noch so gut verstanden. Nun hofft Sir Paul, daß sein damaliger „mate“ einen fairen Prozeß bekommen hat. „I was able to miss most of it“, freut sich McCartney. Na, das mit den Liedern sei nicht so schlimm: „Man kann nur drei Mahlzeiten am Tag essen.“ Von dieser Gedankenschärfe sind die meisten Überlegungen des netten Kerls. Dylans „Chronicles“ gelesen? „Mmm. l liked it.“ Als Muhammad Ali ihm ein altes Beatles-Foto mit der Widmung „My man Paul. Muhammad“ schickte, bemerkte er plötzlich, daß zwei weitere Kerle darauf zu sehen sind: „John and George. Oh. Fuck.“

Ein Fuck war es auch, als McCartney anläßlich eines Live-Aufgusses von Beatles-Songs erkennen mußte, daß hinter „Yesterday“ noch immer „Lennon/McCartney“ stand, obwohl seine alleinige Urheberschaft doch längst bekannt ist. Deshalb stellte er den toten Partner jetzt nach hinten. „It’s just sad“, so Paul bei dem Gedanken an die beiden verstorbenen Freunde. Der genialische Linkshändige hofft bescheiden, daß ihm vielleicht noch ein paar Songs wie „The Long And Winding Road“ gelingen mögen, wenn schon kein „Yesterday“ mehr. Nach einer langen Schaffenskrise versucht McCartney seit „Flaming Pie“, das alte Feuer wieder zu entfachen. Mal kehrte er mit dem nostalgietrunkenen „Run Devil Run“ in seine Jugend zurück, wie Lennon es mit „Rock’n’Roll“ getan hatte, dann ließ er sich vampiristisch von jungen Leuten zu dem schwungvollen „Driving Rain“ inspirieren. Derweil starb seine Frau, er verliebte sich wiederum, heiratete, wurde noch einmal Vater und ging auf Tournee wie lange nicht mehr, und jetzt mag er auch gar nicht mehr aufhören. Denn nirgendwo ist es so schön wie auf der Bühne, wenn Michael Douglas und Jack Nicholson ihm aus dem Auditorium huldigen und er inmitten von Duftkerzen in der Kemenate seine Lieblingsrolle spielen darf: den netten Kerl, der nebenbei noch schnell ein Telefon-Interview gibt und zu jedem Spaß bereit ist. Sind die Kameras nicht eingeschaltet, sitzen Assistenten beim Interview, will McCartney keine privaten Fragen zulassen, reagiert er indigniert, wenn man nach der Berechtigung von Ticket-Preisen um 250 Dollar fragt. Freilich: Ein Konzert von McCartney ist jeden Cent wert, gemessen an Celine Dion oder „Pomp, Duck And Circumstance“. Denn es ist ja kein Konzert, sondern Selbstvergewisserung, magische Reise in die Vergangenheit und das zweitgrößte Musikspektakel der Welt (nach den Auftritten der Rolling Stones), und diese Ausgabe wird niemand bereuen. Aber der Bursche, der sich so gern an die Penny Lane erinnert, ist eben doch nicht mehr so bodenständig, wie er sich selbst weismachen will. „Chaos And Creation In The Back Yard“, weithin als meisterliches Alterswerk erkannt, ist in Wahrheit voll McCartneyscher Sentimentalität und Larmoyanz, die Songs ähneln allesamt seinen Beatles-Stücken seit „Eleanor Rigby“. Seine angebliche Auseinandersetzung mit dem Altern besteht in der Reminiszenz „There was a time when every day was young“. In „At The Mercy“ säuselt er „I’ll use the time to think about myself“. Auch in dieser Zeitschrift gelten solche Banalitäten als „ehrlich“ und „berührend“, ich glaube McCartney kein Wort davon. Sein alter Kumpel John glaubte Paul auch nicht und schrieb ein Lied darüber. Später klingelten Paul und Linda zur Weihnachtszeit anbiedernd an Johns Wohnungstür im Dakota Building. Sie waren am Portier vorbeigekommen, ohne daß der Alarm geschlagen hatte. John und Yoko waren zu Recht ängstlich, als die beiden Clowns auf der Matte standen und ein Weihnachtslied sangen. Ein Beobachter schreibt, man habe sich anschließend nett unterhalten. Lennon war vermutlich froh, als der nette Bursche wieder weg war.

Am 9. Oktober wäre Lennon 65 Jahre alt geworden. Es besteht nicht die Gefahr, daß dieser Termin womöglich vergessen wird. Wiederum erscheint eine Best-Of-Edition, am Broadway wird Lennons Leben verkitscht, „Walls And Bridges“ und „Some Time In New York City“ werden neu aufgelegt, Alben, die damals vor allem Lennons Rückkehr in die Realität, in die Stadt, in die Mechanismen des Rock-Business markierten. Er soff mit Harry Nilsson, sang mit Elton John und zankte mit Todd Rundgren, den er in einem offenen Brief „Sodd Runtlestuntle“ nannte. Lennon hatte in einem Club angeblich eine Kellnerin geschlagen, woraufhin Rundgren ihn einen „fucktng idiot“ nannte. Lennon sei „kein Revolutionär“. Aber weshalb bloß sollen Revolutionäre keine Kellnerinnen schlagen? Laut Lennon war Rundgren sowieso nur beleidigt, weil er ihn nicht erkannt hatte.

Nein, Lennon war kein netter Kerl. Er war der Kerl, der „Watching The Wheels“ sang und „Nobody Told Me“. Happy Birthday.

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