Coldplay: In England geboren, gut für die Welt

Coldplay sind so etwas wie die musikalische Version von Barack Obama: Sie beherrschen die ganz große Show, fuhren ein ehrfürchtiges Leben im Schatten ihrer Vorbilder und halten die Träume von Selbstverwirklichung und einer besseren Welt am Leben. Und das alles ist wichtiger als all ihre Songs.

„Hier sind Coldplay und ‚Viva La Vida’…!“ Die ankündigenden Worte Thomas Gottschalks gehen in die Startakkorde n von Coldplays aktuellem Welthit über. Der Titelsong ihres aktuellen Albums, Nummer eins in Großbritannien und den USA, stampft durch die Offenburger Baden-Arena und löst die unvermeidliche Reaktion des deutschen TV-Publikums auf jegliche Art musikalischen Stimulus aus. Vollautomatisiert wird mitgeklatscht, auf die eins, auf die zwei, auf die drei, auf die vier. Klappklappklappklapp. Im Ausland hat sich für dieses Kaprizieren auf den 4/4-Takt der spöttische Terminus „German „Clap“ etabliert.

Coldplay bei „„Wetten, dass…?“. Sie wissen in diesem Moment, dass sie ab jetzt – bei über zehn Millionen, mehrheitlich zumindest im Kopf mitklappklappenden Zuschauern – unmöglich noch tiefer im Mainstream ankommen können. Coldplay wissen aber auch, dass sie nie behauptet haben, Indie oder gar Punkrock zu sein. Und sie wissen, dass sie hier einen Job zu erledigen haben. Und den erledigen sie verdammt gut. Trotz widriger Umstände: Nach knapp anderthalb Minuten löst sich der Filzkopf von Schlagzeuger Will Champions Trommelstock und donnert ihm in die Gesichtsmitte. Blutend spielt er weiter, keine Sekunde gerät er aus dem Takt.

Das ist es, was die Massen an dieser Band so schätzen: Nicht nur das heroische Weiterspielen unter Schmerzen, wie sie es bei Campino, Noel Gallagher und meinetwegen GG Allin lieben, sondern und insbesondere das Im-Takt-Bleiben. In einer Welt, die für jeden erkennbar aus den Fugen gerät, stellen Coldplay eine wichtige Konstante dar. U2 hatten diese Position vor zwanzig Jahren inne, doch mit ihrer steigenden Experimentierlust kehrte ihnen das Publikum den Rücken. Erst mit den versöhnlichen Rückbesinnungsklängen des laufenden Jahrzehnts kehrten sie zurück. Coldplays Musik hat ihre Fans noch nie herausgefordert. Gut, Kritiker mögen sich abgewandt haben. Spätestens mit dem Hype, den die Veröffentlichung ihres dritten Albums „„X&Y“ begleitete, flossen die Verrisse nur so aus den Fingern (Geschichte wiederholt sich eben doch, siehe Oasis‘ „„Be Here Now“). Und das ja gar nicht mal so zu Unrecht. Selbst Chris Martin gestand später: „Wir waren größer als wir gut waren“. Doch die Fans bewiesen Loyalität, kauften sogar Mediokres wie die Single „„Speed Of Sound“ in obere Chartsränge. „X&Y“ wurde zum weltweit bestverkauften Album des Jahres 2005.

Das System Coldplay

Zusammenhalt ist ein weiterer Schlüsselbegriff fürdas Verständnis des anhaltend und kommerziell extrem gut funktionierenden Systems „„Coldplay“. Da wünscht Martins solidarische Ehefrau Gwyneth Paltrow so manchem Kritiker ihres Mannes „„extremes Elend und körperliche Leiden“ an den Hals, da entschuldigt sich Martin selbst für Fehltritte innerhalb des Lagers: „„Der Song ‚Trouble‘ handelt davon, wie schlecht wir teilweise Menschen behandeln, die wir eigentlich lieben. Mir ging das so mit einigen Leuten aus der Band. Der Song behandelt jene Phase, in der ich mich wie ein Schwachkopf benahm.“ Noch dazu besteht die Gruppe in ihrer jetzigen Form seit zwölf Jahren (anfangs noch unter dem Namen Starfish). Niemand wollte oder musste das Schiff bisher verlassen. Einzige Ausnahme: Will Champion, den kickte Martin einst während Aufnahmen zur EP „The Blue Room“ (1999) aus der Band, holte ihn aber reumütig zurück und arbeitete mit dem Rest der Band im Zuge dessen Grundregeln aus, die die Band fortan von solchen Tumulten fernhalten sollten: Coldplay haben eine Demokratie zu sein, mit gleichberechtigten Mitgliedern, die ihre Einkünfte gleichmäßig untereinander aufteilen. Auch dies dürfte ein Grund für die Popularität dieser Combo sein: Sie gibt den Glauben an die Gerechtigkeit zurück. Daran, dass der Schuldenerlass für die ärmsten Länder der Welt durchaus realisierbar ist und dass weltweiter Handel kein Synonym für Ausbeutung sein muss. „Make Trade Fair“, der Name einer Kampagne der Entwicklungshilfsorganisation Oxfam, prangte als Schriftzug jahrelang auf Martins Handrücken. Dem bald einsetzenden Spott der Kritiker setzte er einen Cameo-Auftritt als Unterstützer des Charity-Festivals „ZombAid“ in der Splatterkomödie „Shaun Of The Dead“ entgegen.

Denn Bestseller hin, Megastar her: Martin und seine Kollegen haben ein Auge für die Zeichen der Zeit, hören auf den Rat von außen. Besonders wenn er von ihren persönlichen Helden kommt, unter deren Scheffel sie nur allzu gern ihr eigenes Licht stellen (Martin lud während des Live8-Gigs Duettpartner Richard Ashcroft mit den Worten „Hier kommt der beste Sänger der Welt“ auf die Bühne). Bevor sich Brian Eno an die Produktion ihres vierten Albums „Viva La Vida Or Death And All His Friends“ machte, ließ er die Band ungeniert wissen: „„Eure Songs sind zu lang. Ihr seid zu repetitiv und verwendet zu oft dieselben Tricks, und groß ist nicht unbedingt gut. Ihr setzt zu oft dieselben Sounds ein. Eure Texte könnten besser sein.“ Coldplay schluckten, verdauten und heraus kam eine Platte, die die Kritiken sanfter ausfallen, drei weitere Grammys nach England wandern, die Rekordzahl von 6,8 Millionen Menschen zu Kunden und Arenen zum Platzen voll werden ließ.

Größer, immer größer

Neben den wiedervereinigten und -erstarkten Take That (vorerst noch ohne Robbie Williams) sind Coldplay die größte britische Band. Und eine der sehr wenigen dieses Jahrzehnts, die ihr Level nicht nur halten, sondern beständig erhöhen konnte. 2000 erschien das Debüt, zwei Jahre später katapultierte sich der Nachfolger aus dem Stand in die amerikanischen Top Ten, 2005 verfolgt die Welt ihren Auftritt beim Benefizbombast Live8, und heute können sie sich HipHop-Superschwergewicht und Langzeitbuddy Jay-Z als Supportact leisten. The Darkness kamen und implodierten, die Kaiser Chiefs schrumpfen sich momentan in kleineren Hallen als zuletzt gesund, und Oasis können seit Jahren keinen neuen Fan hinzugewinnen. Coldplay wachsen immer noch. In den Madison Square Gardens dieser Welt, in der iPod-Werbung, auf den „Bravo Hits“-Compilations, in den Armen ihrer so verehrten Idole, im Studentenfunk, im Morning-Show-Radio. Coldplay geben dem Wort „„Superstar“ seine Bedeutung zurück. Sie verkaufen in Zeiten, in denen für Tonträger kein Geld mehr ausgegeben wird, 50 Millionen Alben. Sie lassen an Superlative, an das Erreichen des ganz Großen glauben. Hot Chip und Portishead mögen die wahren Innovatoren heutiger Popzeit sein, Damon Albarn mag die besseren, Antony Hegarty die intensiveren Songs schreiben. Coldplays Hauptfunktion ist eine andere: Sie bewahren einer hoffnungslosen Welt ein kleines Stück Hoffnung. Das ist ihnen zu schwülstig? Hey, Sie lesen einen Artikel über Coldplay – eine Band, die zu Redaktionsschluss plante, ihr kommendes Live-Album an von der Finanzkrise gebeutelte Fans zu verschenken.

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