Curtis Mayfield

Eine persönliche Erinnerung an den großen Soul Alan und Humanisten

Ohne Curtis Mayfield wären die Wailers nie zusammengekommen, Snoop Doggy Dogg hätte keine eigene Badewanne, Paul Weller würde noch immer den Pete Townshend mimen. The Roots verdanken ihm den Bandnamen, Herbie Hancock den Albumtitel „Future Shock“, Moodymann baut ihm ein House in Detroit, die Dirtbombs definieren mit seinem „Kung Fu“ den Black Rock’n’Roll des 21.Jahrhunderts, in Lagos geistert er durch den Disco-Underground der Siebziger, in Berlin erneuert ein kleines Mädchen zu einem Mayfield-Groove die Binsenweisheit, nach der alle Männer Verbrecher sind. Auch da ist Curtis Mayfield die Ausnahme, seine elf Kinder haben drei verschiedene Mütter, einer einzigen hätte er sowas niemals zugemutet. Sagte er. Der Mann, so scheint es, war nicht nur ein großer Musiker, man konnte ihn auch gernhaben. Kommt ja nicht so oft vor.

Als Curtis Mayfield am zweiten Weihnachstag 1999 nach langem Siechtum starb, da waren die Reaktionen stärker als bei anderen Musikertoden.

In den Respekt für eine ebenso bedeutende wie augenscheinlich integre Figur und das Mitgefühl angesichts seiner Leidensgeschichte mischte sich eine Wehmut, die über die Person Mayfield hinauszugehen schien: Als sei zum Ende des Jahrhunderts, ja, des Jahrtausends der letzte Vertreter einer ganzen Epoche abgetreten. Der letzte Soul Man. Aber ist das nicht die Trauer um eine popkulturelle Groß-Konstellation, die schon lange vor Mayfields Tod nicht mehr exisitierte? Waren die großen Soul-Verkündiger (und Versündiger) der Sechziger und Siebziger nicht längst von der Bildfläche verschwunden? Künstlerisch bedeutungslos wie James Brown und Aretha Franklin, unbekannt verzogen wie Sly Stone und Shuggie Otis, tot wie Marvin Gaye und Otis Redding.

Am 13. August 1990 wird Curtis Mayfield bei einem Open-Air-Auftritt in Brooklyn beinahe erschlagen. Ein Sturm reißt eine Lichttraverse aus der Verankerung, die trifft Mayfield im Genick. Er ist 48 Jahre alt und bleibt für den Rest seines Lebens gelähmt, vom Hals abwärts. Dreieinhalb Jahre nach dem Unfall habe ich Curtis Mayheld besucht, in seinem Haus in Chattahoochee/Georgia, eine Autostunde von Atlanta. Organisiert und finanziert wird die Reise von Warner Brothers, Promotion für ein Tribute-Album. Clapton, Collins, Franklin, Houston, Marsalis, Springsteen, Wonder, die Superstar-Liga tritt an, um Geld zu sammeln für Mayfields medizinische Behandlung. Aus dem Reisetagebuch:

Mittwoch, 9. Februar 1994. Der äthiopische Taxifahrer ist ratlos. Offenbar hat er Atlanta noch nicht oft verlassen. Eine Weile irren wir durchs Villenviertel im verzweigten Mündungsdelta des Chattahoochee River. Das ist mindestens so malerisch wie sein Name: Chattahoochee. Als wir das schlichte Haus dann doch gefunden haben, ist Schluss mit malerisch. Eine von Curtis Mayfields jüngeren Töchtern öffnet die Tür. Im Flur ein riesiger Rollstuhl mit komplizierten Armaturen. Aus dem Zimmer ruft Mayfield: „Oh, meine Wegbeschreibung hat dir also geholfen.“ – „Ja, bestens“, rufe ich zurück, so optimistisch und unbeschwert, wie es nur geht. Ich weiß, was auf mich zukommt.

Von einem Foto. Curtis Mayfield auf einer Bahre, wie von einer fliegenden Kamera aufgenommen, auf dem Rücken liegend, die Gliedmaßen von sich gestreckt, bewegungsunfähig seit dem Bühnenunfall. Eben am Telefon hatte er mir noch lebhaft den Weg zu seinem Haus erklärt. Vielleicht ging es ihm ja besser inzwischen?

Als ich das Zimmer betrete, weiß ich, dass dem nicht so ist. Der einst massive Körper regungslos flach auf einer Bahre. Ich will ihm die Hand schütteln, aber die liegt schlaff auf der Decke. Fahrig drücke ich einen Unterarm und murmele etwas von der Ehre und Freude, ihn zu treffen. Der Kopf dreht sich in meine Richtung, die einzige Bewegung, zu der sein Körper noch fähig ist. Das Gesicht mit den grauen Bartfusseln und den irgendwie kindlichen Augen kenne ich, die Sprechstimme ist tiefer als das Singfalsett. X-mal habe ich mir diesen Moment vorgestellt, aber hier vor dem Bett stehe, mit dem entsetzlich malerischen Blick auf den Chattahoochee-River, die Sonne spiegelt sich im Wasser, die Bäume stehen Spalier, da fühle ich mich hilflos.

Wäre das Wort nicht fehl am Platz, man müsste die Ausgangslage wohl als lähmend bezeichnen. Aus Curtis Mayfields Bett transportieren Plastikschläuche undefinierbare Bröckchen, Schleim und Flüssigkeiten in Abfallbehälter. Ich stelle mich neben das Bett, halte ihm das Mikrofon schräg vor den Mund, im Regal Buchrücken mit „The Beatles“ und „Malcolm X“, noch mehr Schläuche, die ins Nirgendwo führen.

Wer über Curtis Mayfield spricht, kommt nicht vorbei an den tränentiefen, seelchenvollen Stereotypen von der Tiefe der schwarzen Seele, von der Wärme und Herzlichkeit dieses Mannes. Eine unpfäffische Mischung aus Güte und Milde einerseits – und politischer Hartnäckigkeit, Kampf- und Widerstandsgeist andererseits zeichnet die Arbeit von Curtis Mayfield aus. Und den Menschen, nehme ich an. Man nimmt ihm alles ab, sogar gegen besseres Wissen. Wie seine Musik hat der sprechende Mayfield etwas an sich, das auch härtere Atheisten zum Glauben bekehrt. Und wenn es bloß der Glauben an die heilende Kraft der körperlichen Liebe ist.

„Was bedeutet Familie für Sie?“

„Alles! Ich wollte immer Kinder haben. Jetzt sind es elf, aber das hätte ich niemals einer einzigen Frau angetan. Sie haben drei wunderbare Mütter. Die Kinder, die noch im Haus leben, sind 11,12,14, 15, 16 und 18 Jahre alt. Ein paar sind verheiratet… und ich darf hinzufügen: Alle meine Kinder sind gute Kinder.“

„Ist das Leben der Schwarzen heute wirklich einfacher als in Ihrer Jugend, in den Fünfzigern und Sechzigern? War der Rassismus früher härter als heute?“

„Viele sagen, alles hätte sich geändert. Ich sage: Nichts hat sich geändert. Für schwarze Minderheiten und gerade für Frauen hat sich nichts zum Besseren gewandelt. Wir haben immer noch Rassismus in dieser Gesellschaft. Unsere Kinder haben erlebt, mit welch großen Hoffnungen wir angetreten sind, und dass wir damit nicht besonders erfolgreich waren. Was heute unbedingt aufhören muss, das ist die Gewalt, die Knarren und die Verbrechen, vor allem die black on black crimes“

„Ist der Rassismus im Süden heute noch ausgeprägter als im Norden?“

„Ich glaube, das hat sich verändert. Heute ist es eher so, dass der Rassismus offener und härter wird, wenn man rausgeht aus den großen Städten in die Vororte und die ländlichen Gebiete. Das hat nichts mit einem Nord-Süd-Gefälle zu tun, eher mit einem Stadt-Land-Gefälle.“

Wie seine Zeitgenossen Sly Stone, Marvin Gaye und James Brown hat Mayfield immer wieder politische Songs gemacht, oder Songs von so universaler Reichweite, dass sie politisch wurden, manchmal auch gegen die Intention ihrer Autoren. „You Can Make It If You Try“ – „What’s Going On?“ – „Say It Loud, I’m Black Im Proud“.

Keiner dieser Songs ist so tief im kollektiven Bewusstsein verankert wie Curtis Mayfields „People Get Ready“. Den Anstoß gibt der Marsch auf Washington. Am 28. August 1963 hält Martin Luther King vor einer Viertelmillion Menschen am Lincoln Memorial eine historische Rede: „I have a dream.“ Wie fast jeder schwarze Amerikaner teilt auch Mayfield Kings Traum von der Befreiung, der Erlösung vom Ende der rassistischen Diskriminierung. Wie der Baptistenpastor King entlehnt auch der Sänger Mayfield sein Vokabular der Heiligen Schrift. „‚People Get Ready‘ war das unbewusste Resultat aus den Gebeten meiner Großmütter und der Prediger, die aus der Bibel erzählten“, so Mayneld. „Religion war für mich immer sehr wichtig. Mit sieben Jahren kam ich zu den Northern Jubilees, die Gospelgruppe meiner Cousins. Meine Großmutter, Reverend Annabelle Mayfield, absolvierte gerade ihre Ausbildung zum Priesteramt. Zusammen waren wir bekannt als die Travelling Soul Spiritualists Church in Chicago. Viel von dem, was ich später getan habe, meine Texte mit den positiven Botschaften und demfoodfor thought haben diesen Ursprung.“

„Food for thought“, das sagt er oft.

„People get ready, there’s a train a-comin’/ You don’t need no baggage, you just get on board.“ Leute, macht Euch bereit, der Zug wird kommen, damit ermutigen Curtis Mayfields Impressions ihre Leute, meint der Kritiker Stanley Crouch. „Egal was passiert, tut Euch zusammen, jetzt kommt Eure Chance.“ Inspiriert von der Bibel, findet Mayfield die richtigen Worte, inspiriert vom Gospel, findet er den richtigen Ton. „People Get Ready“ wird einer der ersten Gospelhits, die den Sprung in die säkulare Welt schaffen. 1965 reicht es für Platz 14 der US-Charts, Jahrzehnte später für Platz 24 – auf der Liste der größten Songs aller Zeiten, gewählt vom ROLLING STONE. Eine Jury der Zeitschrift „Mojo“, darunter Brian Wilson und Paul McCartney, sieht „People Get Ready“ in den ewigen Top Ten.

Platzierung hin oder her: Der Song wird zur Hymne der Bürgerrechtsbewegung. Ein „We Shall Overcome“, aber mit Groove. Und der erste von vielen Songs der 60er Jahre, bei denen der bevorstehende Wandel in der Luft liegt: Dylans „Ballad Of A Thin Man“: „Something is happening and you don’t know what it is, do you, Mr. Jones?“ „For What It’s Worth“ von Buffalo Springneid: „There’s something happening here, what it is ain’t exactly clear“, bis hin zum Einhitwunder Thunderclap Newman im Sommer ’69: „Something in the air… because the revolution’s here“.

„People Get Ready“ ist die spirituelle Quelle dieser Aufbruchslieder, Mayfield hat eine neue (An-) Sprache gefunden. Der Song ist mehr als die Summe seiner Teile. Er verströmt einen Geist, den viele sich zu eigen machen. Auch Leute, die sich so gar nichts aus Religion machen, aus Jesus und der Bibel. So wird aus einem unpolitischen Gospel der politisch vielleicht folgenreichste Song seiner Epoche. Eine Selbstermächtigung. Leute, macht euch bereit, Eure Chance wird kommen, lasst den Zug nicht ohne Euch abfahren.

Anders als der wankelmütige Narzisst Marvin Gaye, der drogenverpeilte Sly Stone und der politisch naive James Brown beansprucht Curtis Mayfield die Rolle des Sprechers, Inspirators und Anstifters des schwarzen Amerika nicht nur für die drei Minuten einer Popsingle – er nimmt den Job Ernst, er übernimmt Verantwortung. Und, vielleicht seine größte Qualität: Er verliert darüber nicht seinen Humor, seinen Groove, sein Gespür für Melodien, seinen Glauben an den Fortschritt – den musikalischen, kulturellen, politischen, und – das wird ja gern vergessen – den sexuellen.

Zu seinen besten Zeiten, und die hielten länger als bei den meisten anderen, hat der Mann hat ja verführerische Musik wie am Fließband produziert. Und widerlegt, dass politische Popkunst per Definition unsexy sein muss. Die Soulmusik der Impressions hat massenhaft funktioniert, weil sie die Seelen und die Köpfe der Leute erreicht hat. Und die Körper. Politisch, spirituell und moralisch wertvolle Songbotschaften wie „I’m So Proud“, „We’re A Winner“ oder „Keep On Pushing“ haben massenhaft funktioniert, weil man dazu Dinge tun konnte, die von den Ratzingers dieser Welt als unmoralisch verdammt werden. Nur deswegen hat Mayfield geschafft, was Peter Guralnick in seiner vielgelobten Genregeschichte „Sweet Soul Music“ beschreibt: „In meinen Gesprächen mit den Menschen wurde immer wieder auf die seelische Verbundenheit hingewiesen, auf das Gefühl, Teil eines Ganzen zu sein. Niemand hat dieses Gefühl so gut beschrieben wie Curtis Mayfield, Lead-Sänger der aus Chicago stammenden Impressions.“

Der Idee des Fortschritts verpflichtet, neue Grooves spürend, Grenzen hinter sich lassend – so trennt sich Curtis Mayfield pünktlich zum Ende der Sechziger von den Impressions und ist fortan: Curtis, Sprecher im eigenen Namen, aber auch: Ansprecher. „Curtis“, nicht mehr und nicht weniger, heißt sein erstes Soloalbum, willkommen in den Siebzigern.

Es beginnt mit einem Achtminüter. Einem Antigospel. „(Don’t Worry) If There’s A Hell Below, We’re All Gonna Go“. Schon der Titel sagt unmissverständlich: Die Sechziger sind vorbei. Wir sind keine zwanzig mehr. Den Zug aus „People Get Ready“, den haben wir gekriegt, aber so manch anderer Zug ist abgefahren. Ohne uns. Und nicht immer waren die Weißen Schuld. Curtis nimmt sich Zeit, formuliert komplexe Zusammenhänge, ohne den Groove zu verlieren. Den Groove des Zeitenwandels mit seinen komplizierten Veränderungen, Verästelungen, Neuorientierungen, den packt er in einen Höllengottesdienst: „Macht Euch keine Sorgen. Wenn es eine Hölle gibt, dann werden wir alle dorthin kommen.“ Die Antwort des gläubigen Mannes auf die Schockerlebnisse der (späten) Sechziger: die Kennedy-Morde, Malcolm X und Martin Luther King, Manson-Morde, Altamont, Vietnam.

Die erste Mayfield-Musik der 1970er beginnt mit einer Kakofonie aus Stimmen und Straßensounds, dann hebt die Predigt an. Nach und nach ruft Preacherman Curtis auf: „Sisters“ (er beginnt mit den Schwestern? Wo sind die Brothers? Ist Curtis Feminist?), „Niggers“ (hallo Siebziger, da ist nichts mehr zu beschönigen. Wenn die anderen uns Nigger nennen, dann nehmen wir das mit Stolz. Haut ihnen ihre Erniedrigungen um die Ohren!), „Whiteys“ („Don’t call me nigger whitey, don’t call nie whitey nigger“ singt zur selben Zeit Sly Stone. Wenn die anderen uns Nigger nennen…), „Jews“ (völlig abwegig, aus heutiger Sicht. Spricht sehr für ihn, 1970, 25 Jahre nach dem Weltkrieg. Heute sind Juden die Lieblingsfeinde der Nation Of Islam, nicht mehr integrierbar in afroamerikanische Popmusik). „Rockers“ (was will er damit? 1970, Todesjahr von Hendrix, der, wie sich herausstellen sollte, der letzte schwarze Rocker, der von Weißen als solcher akzeptiert wurde, nix Phil Lynott, nix Prince, nix Dirtbombs. Lenny Kravitz, bitte draußenbleiben.) „If There’s A Hell Below, We’re All Gonna Go“. Mit der expliziten Anrufung von „Sisters“, „Niggers“, „Whiteys“, „Jews“ und „Rockers“ weist Mayfield sich zur Jahrzehntwende 69/70 aus als Universalist, der dem alten Traum von der Vereinbarkeit des Unvereinbaren nachhängt und doch weiß, dass am Ende alle in die Hölle kommen.

Aber Curtis Mayfield wäre nicht Curtis Mayfield, der Mann des Ausgleichs, des Friedens, der Versöhnung, würde er nicht die zweite Seite der Schallplatte eröffnen mit „Move On Up“. Für diesen Song haben sie das Wort uplifting erfunden, und weil es solche Songs in Deutschland nicht gibt, gibt es kein deutsches Wort für uplifting. Gemeinhin gilt der Mai 1971 als Geburtsstunde des politisch bewußten Autorensoul mit Massen-Appeal. In diesem Mai erscheint Marvin Gayes Album „What’s Going On?“. Die Blaupause für den neuen Sound und die neue Haltung entsteht schon im Jahr davor, sie heißt „Curtis“. Bis heute kann man sich mit dieser Platte ein Bild des zerrissenen Amerika der Jahrzehntwende machen, Songs wie „Miss Black America“ oder „We People Are Darker Than Blue“ gehören zum Kanon der afroamerikanischen (Sound-)Literatur wie die Bücher von Toni Morrison, Amiri Baraka oder Alex Haley. Dessen Welterfolg „Roots“ von 1976 nimmt Mayfield fünf Jahre vorweg – 1971 erscheint sein gleichnamiges Album. Auch in den folgenden Jahren spiegelt sich die US-Gesellschaft in den Platten von Curtis Mayfield: das Post-Vietnam-Trauma im Heimkehrer-Album „Back To The World“, die sozialen Verwerfungen auf „There’s No Place Like America Today“, Curtis serviert/borf for thought. Welthaitiger war populäre Musik selten. Schöner sowieso nicht.

„Hören Sie solche Stimmen in der Musik der Gegenwart?“, frage ich Curtis Mayfield an diesem sonnigen Februartag 1994.

„Es gibt da eine Gruppe hier in Atlanta, Speech und Arrested Development. Ich mag die Art, wie sie sprechen. Das istfoodfor thought, das gibt Hoffnungen für die Zukunft. Aber was Rap angeht, da nehmen sich die Medien lieber die Bösen vor als die Guten.“

Es liegt auch an den veränderten Konsumgewohnheiten, an der Beschleunigung, dass die Erinnerung an Curtis Mayfield heute viel lebendiger ist als die an Arrested Development. Auch, aber nicht nur.

„Wie definieren Sie Soul?“

„Soul hat nichts zu tun mit Rasse, Hautfarbe oder Glauben. Soul hat zu tun mit Kommunikation und mit Fähigkeiten, egal ob im Sport, in der Literatur oder in der Kunst. Wenn ein Mensch mit Respekt und Achtung zu einem anderen Menschen spricht – das ist Soul.“

Seinen (Bastard-)Söhnen und Töchtern der zeitgenössischen schwarzen Musik begegnet Mayfield mit einem Interesse und einer Kenntnis, die man bei den Senioren des weißen Rock selten findet. Snoop Doggy Dogg hat zwei Songs von Curtis Mayfield für seinen Bestseller „Doggystyle“ verarbeitet. Mayfield grinst.

„Da imitieren sie tatsächlich die berühmte Badewannenszene aus dem Film ,Super Fly‘, very colourfiil. Außerdem benutzen sie den Song ,Eddie You Should Know Better‘. Der hat eigentlich eine positive Botschaft. Bei Snoop klingt es eher erniedrigend und frauenverachtend. Es gibt überhaupt eine ausgeprägte Frauenverachtung im Rap. Ich denke, wir brauchen neue Grundwerte hier in Amerika, die alten sind ziemlich verbraucht. Aber natürlich ist das mit den Texten auch eine Frage von Angebot und Nachfrage. Wenn die Leute solche Texte haben wollen, dann kriegen sie solche Texte, das ist es wie mit dem Dope.“

Wenn Isaac Hayes‘ „Shaft“ der Vater aller Blaxploitation-Soundtracks ist, dann ist Mayfields „Super Fly“ die Mutter. X-fach gesamplet, gecovert, adaptiert. Hat er geahnt, dass der „Super Fly“-Soundtrack dermaßen nachwirken würde?

„Wie konnte ich? Es gab immer wieder Leute, die meinten, dass meine Musik ihrer Zeit voraus sei, und ‚SuperFly‘ verkauft sich heute noch, 23 Jahre nach seinem Erscheinen. Ich fühle mich sehr geschmeichelt, dass diese Musik heute noch so eine Bedeutung hat. Und ich bin froh über diese jungen Kids, die damals noch gar nicht auf der Welt waren und jetzt Samples von meiner Musik benutzen für ihre eigene Musik.“

„Wie war das mit der Fortsetzung von ‚Super Fly‘, das war ja ein großer Flop?“

„Als es losging mit ‚Super Fly II‘, war ich sehr aufgeregt. Das ließ aber schnell nach. Es war einfach ein schlechter Film. Das einzig Gute daran war, dass ich IceT. traf. Wir nahmen zusammen ‚Super Fly 19.90‘ auf, er war ein sehr netter, warmherziger Typ.“

„Wie stehen Sie zu Gangster-HipHop?“

„Heutzutage ist es für viele sehr wichtig, den starken Mann zu spielen und böse Sachen zu sagen, gerade gegenüber Frauen. Es hat mit den Zeiten zu tun, mit der Armut. Die Minderheiten, vor allem die Schwarzen, haben keine Jobs, viele leben unterhalb der Armutsgrenze – die haben keine andere Wahl. Glücklicherweise haben viele von den jüngeren Kids im HipHop Erfolg. Ich habe schon mit 16 gelernt, was es mit dem Urheberrecht auf sich hat. Damals habe ich mir vorgenommen, so viel wie möglich von meinen Songs zu besitzen. Denn ich habe miterlebt, wie viele meiner Zeitgenossen in den frühen Jahren ihren Preis zahlen mussten. Schlicht und einfach deswegen, weil sie keine Rechte an ihren Songs hatten. Diese Rechte lagen bei der Plattenfirma oder bei einem Verlag. Deswegen haben vor allem viele schwarze Künstler nicht das Geld bekommen, das ihnen zusteht. Fragt Chuck Berry, fragt James Brown, fragt Robert Johnson. Ich bekomme heute noch Geld für Songs, die ich vor Jahrzehnten geschrieben habe, und das hilft mir natürlich in meiner heutigen Situation.“

Über seine „heutige Situation“ spricht Curtis nicht gern. „Es gibt bessere Tage, es gibt schlechtere Tage, heute ist kein so guter.“ Sicher helfen ihm Freunde, die ihn besuchen und anrufen, seine alten Impressions-Kollegen, seine Frau Altheida und die Familie. Aber angesichts der katastrophalen Lage seine „positive vibes“ zu beschwören, oder – wie seine Plattenfirma in einer Pressemitteilung zu behaupten, er sei wieder „wie gewohnt aktiv“… ebenso gut könnte man sagen: Stevie Wonder blickt in eine strahlende Zukunft. Oder gleich Ray Charles.

Am Ende, der Rekorder ist schon ausgeschaltet, frage ich ihn, ob er jemals Martin Luther King getroffen hat. „Nein, obwohl viele von uns das Gefühl haben, als hätten wir ihn persönlich gekannt.“

Die Illusion zu stiften, dass man jemanden persönlich kennt, obwohl der am anderen Ende des Planeten lebt, das ist ja eine der großen Qualitäten von Pop. In den meisten Fällen ist es besser, es bei dieser Illusion zu belassen. Die persönliche Begegnung ist fast immer desillusionierend, weil es in diesem Geschäft nun mal nicht um Kennenlernen geht. Es geht um Tauschhandel: O-Ton gegen Artikel, Interview gegen Feature, Titelstory gegen ganzseitige Anzeige.

Künstler und Journalisten werden unter Umständen aufeinander losgelassen, die mehr mit Stier- oder Hahnenkampf zu tun haben als mit Teatime oder Trinkgelage. Auch von dieser Regel ist Curtis Mayfield die Ausnahme. „Viele von uns empfinden, als hätten wir ihn persönlich gekannt“, das gilt für viele meiner wenigen Freunde. Es passiert so gut wie nie, dass jemand, von dem man glaubte, ihn persönlich zu kennen, tatsächlich dem Bild entspricht, das man sich von ihm gemacht hat. „It’s Alright“ heißt einer der frühen, gospelsatten Hits der Impressions, und mit diesem harmonisch-sedierenden Refrain auf der Zunge verlasse ich den todgeweihten Curtis Mayfield. Scheiß Religion. Alright ist hier gar nichts. Der Mann muss noch weitere fünf Jahre, zehn Monate und fünfzehn Tage auf dem Rücken liegen, in der eigenen Scheiße, nichts bewegen außer dem Kopf. Zwischendurch wird ihm ein Bein abgesägt. Dann darf er sterben. Deutsche Zeitungen melden das in Fünfzeilern. Oder gar nicht.

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