Das Dunkle marschiert: Die Plattenbranche setzt vermehrt auf Brachialbands, die mit MYSTIK UND NIHILISMUS hantieren

Die Republik ist rot. Und die Rechten mußten draußen bleiben. In den deutschen Musikcharts aber wurde kurz vor der Wahl gegensätzlich abgestimmt Die Böhsen Onkelz belegten mit “ Viva Los Tios“ , das sich in einer Woche mehr als 250 000 mal verkaufte, den ersten Platz. „Hat man euch nicht vor uns gewarnt/ Habt ihr euch nie gefragt, wer wir sind und was wird tun“, feixen jene mit stolzgeschwellter Brust im Titelstück. „Deutschland kotzt/ Und uns gefallt’s.“ Man fragt sich da nicht nur, wer so etwas kauft, sondern auch, woher die Leute das Album haben. Die Inhaber etlicher Plattenläden zieren sich sogar, mit dem Objekt des Anstößigen unter der Theke zu hehlen. Die braunen Flecken auf den weißen Anzügen, mit denen sich die Wölfe im Schafspelz auf Fotos porentief rein darstellen, sind nicht mehr rauszuwaschen. Das Geschäft brummt trotzdem ganz ungeniert wie geschmiert.

Daß die Böhsen Onkelz bei Virgin unter Vertrag sind, der alten Firma der Toten Hosen, ist dabei nicht nur eine Pikanterie am Rande. Die Klientel der Düsseldorfer Punk-Pharisäer, die mit ihren Saufliedern sicher auch Gesinnungsfeinde erfreut haben, drängt sich inzwischen an Straßenkreuzungen S-Klasse-Fahrern auf, um die Frontscheiben zu reinigen. Und die Bluesrock-Bedenkenträger BAP sind ebenso Relikte wie der bereits abgemeldete Kohl. Dessen Wende damals und der Wechsel heute stehen unter ähnlichen Vorzeichen beziehungsweise ihrer Zuspitzung. Die Arbeitslosigkeit ist noch höher, die Börsenspekulationen der Yuppies sind im Crash eines globalen CasinoKapitalismus kulminiert, und die anschwellende neueste deutsche Welle hat neben Adäquatem auch einige Alte wieder hochgespült. „Die Flut“ von Witt dräut unheilschwanger, und nicht zufällig tanzen DAF gerade jetzt mit einer Bestof nochmals den Mussolini und Adolf Hitler. Dieser Song würde zu Rammstein passen oder jenen Bands, die zur Zeit mit nihilistischer Lust und mittelalterlich-martialischen Drohgebärden im Morast des Morbiden wühlen.

Seit Rammstein mit suspekter Symbolik an der Sehnsucht nach Schauerromantik und Sadomasospielen zündeln (und einen abgeklärt gesteuerten Fascho-Verdacht mehr als überlebt haben), holen große Plattenfirmen vermehrt obskure Brachialbands aus der schwarzen Ecke. Oomph!, V-Lenz, Das Ich, Keilerkopf oder Schwarz verkitten Metal-Motive, Rap-Randale, Gotik-Gerümpel und Elektro-Endzeitgestampfe zu krudem Komakrach. Sie sind gänzlich unpolitisch, wer jedoch mit dem Feuer spielt, macht sich verdächtig. Denn die Pose stimmt.

„Unrein“ heißt der Albumtitel von Ooomph!, auf dem sie in Stücken wie „Gekreuzigt“ oder „Unsere Rettung“ mit Mönchsgesängen und Höllengegrunze finstere Szenarien ausmalen. Das Ich keuchen auf JEgodram“ den „Schwanenschrei“, rufen „Krieger“ an und lassen einen „Blutquell“ fließen. „Mephistohaft“ raunt V-Lenz „Apokalyptische Verse“, droht er mit „Feuer!“, dem „Henker“ und „Hauch des Todes“. Es ist die alte Morbus Germania, jenes Geschwür aus Blut und Boden, Schweiß und Schwellkörper, der Faszination am Untergang und an den Mächten des Bösen, heidnischen Riten und kirchlicher Mystik, Verdammnis und Jenseitsglaube, Schmerz, Sünde und Sühne, die auch bei Wagner in düsterer Herrlichkeit tönte.

Dafür wird ein durchaus verfängliches Vokabular rezipiert. Wenn die Böhsen Onkelz von „deutschem Stahl“ grölen, V-Lenz sich Kraft wünscht, „ein Volk zu vergewaltigen, das es nicht rafft“ und Keilerkopf in „Godzilla“ mit Zeilen wie „es wird vertrimmt und zurückgeschlagen“ wüten, ist das affirmative Gewaltverherrlichung, aber so faschistoid wie das Fegefeuer. Ideologien und Kontexte sind zertrümmert und sublimiert zum postmodernen Chic und Triumphgeheul des Bizarren, auf dem sie selbstherrlich ihre Schreckensherrschaften errichten. Instinktiv statt mit Intellekt.

Im Song „Schwarze Wünsche“ rappt Lenz: „Ihr macht euch Sorgen um die Normen eurer Welt, die nicht hält, was sie verspricht, und das verkraftet ihr nicht mal ohne einmal zu versuchen, auch nur einmal zu suchen, zu sehen, wofür wir alle hier stehen.“ Eben dieser Standpunkt bleibt kryptisch. Diese technoiden Totengräber und teutschen Totschläger haben sich behaglich eingerichtet im zyklisch wiederkehrenden popkulturellen Zynismus und Zorn, wie sie mit doppeldeutigem Geraunze und Gegreine das antiautoritäre Establishment irritieren. Mißverständnisse sind einkalkuliert, die kleinste Provokation reicht zum Pflichskandal in der Presse. Danach sendet „Spiegel-TV“ Berichte über Swinger und Satansjünger oder versucht mal wieder krampfhaft, eine Dumpfbacke der DVU vorzuführen. Kasperletheater. So werden die Kinder der 68er zum Tabubruch hotten, bis sie rot im Gesicht sind.

Das Dunkle marschiert weiter, und das Echo wird noch eine Weile durch die Berliner Rotkäppchen-Republik hallen.

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