Das Ende der Parabel – Ein Sachbuch als starbesetzter Spielfilm: „Der Baader Meinhof Komplex“ und die ewige Suche nach Motiven

Für Uli Edel ist die Verfilmung von Stefan Austs "Der Baader Meinhof Komplex" vor allem Erinnerungsarbeit gewesen. Der Regisseur hat ein Lehrstück über Gewalt und Schuld inszeniert, das mit dem Mythos RAF aufräumen soll. Er stellt statt der Theorien lieber die grausamen Taten minutiös dar.

Die Idylle am Strand scheint makellos. Ulrike Meinhof liest in der „Neuen Revue“, ihre Kinder tollen im Sand herum, im Hintergrund läuft Janis Joplins „Mercedes Benz“. Doch schon am Abend, als im großen Stil gefeiert wird, bekommt die Fassade der gemütlichen Gesellschaft erste Risse. Die Starjournalistin liest ihren Flugblatt-Aufruf an Farah Diba vor, die bald mit dem umstrittenen persischen Schah nach Deutschland kommen soll. Nach anfänglicher Scheu redet sich Meinhof in Rage, die ersten Freunde gucken irritiert.

Wir schreiben das Jahr 1967, und dies ist der Beginn von Uli Edels „Der Baader Meinhof Komplex“. Zweieinhalb Stunden dauert seine Verfilmung von Stefan Austs RAF-Bestseller, und danach scheint jegliche Idylle sehr weit weg zu sein.

Das Drehbuch zu dem Monumentalwerk hat Bernd Eichinger geschrieben, und es gibt kaum eine Rolle, die nicht prominent besetzt ist. Jan Josef Liefers und Ffeino Ferch, Bruno Ganz und Hannah Herzsprung, Jasmin Tabatabai und Anna Thalbach spielen Nebenfiguren, Alexandra Maria Lara darf als Petra Schelm bei einem Verhaftungsversuch den schönsten Tod sterben; fast in Zeitlupe fällt sie nach einem Kopfschuss vornüber. All die Namen bei dieser Produktion schreien nach Aufmerksamkeit, doch der Film widersteht der Versuchung, sich wichtigzutun. Er dokumentiert die Taten der RAF, statt sich mit ihren Theorien auseinanderzusetzen. Er beschreibt die Jahre 1967 bis 1977 – nicht nur den Terrorismus, auch die gesellschaftliche Stimmung. Er bildet ab. er kommentiert nicht. Und wirkt genau deshalb umso unmittelbarer – weil die individuelle Schuld plötzlich viel deutlicher wird und der Film sich also der RAF-Argumentation, dass die Taten vom Kollektiv begangen wurden, widersetzt. Widersetzen muss, denn: Geschossen werden kann nur aus einer Pistole, und irgendeiner muss auch die Bomben basteln und deponieren.

Stefan Aust, der den „Baader Meinhof Komplex“ 1985 schrieb, hat jahrelang gehofft, dass Bernd Eichinger einmal auf den Gedanken kommen würde, das Buch zu verfilmen. Als er zum 30-jährigen Jahrestag der Schleyer-Entführung eine Dokumentation für die ARD vorbereitete, wurde schon überlegt, ob man diese zumindest mit nachgestellten Szenen komplettieren sollte – ein Plan, von dem Aust Eichinger erzählte, als er ihn zufällig in Berlin auf einer Party von Sabine Christiansen traf, im „Borcherts“ natürlich. Da fiel bei dem Produzenten der Groschen, NDR und ARD beteiligten sich prompt auch am Filmprojekt, und plötzlich ging alles ganz schnell.

Dass sich ausgerechnet Uli Edel, der seit vielen Jahren in Amerika lebt, an diesen Film gewagt hat, liegt vor allem an der gemeinsamen Vergangenheit mit Eichinger. Sie haben in den 8oer Jähren zusammen „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ und „Letzte Ausfahrt Brooklyn“ gedreht. „Der Baader Meinhof Komplex“ orientiert sich nun, ähnlich wie der Drogenfilm „Christiane F.“, strikt an der Realität manchmal fast irritierend genau. Er basiert auf Audiobändern, Berichten und Interviews. Edel sprach mit einigen Ex-Terroristen und anderen Informanten, um über bestimmte Sachverhalte Genaueres zu erfahren.

Dass das Thema RAF immer noch bleischwer auf den deutschen Gemütern liegt, war dem Regisseur dabei sehr bewusst. Die Debatte um die Begnadigung von Christian Klar im vergangenen Jahr hat das mehr als deutlich gemacht, doch der Terrorist der „zweiten Generation“ spielt hier keine so große Rolle. „Das wird vielleicht ein anderer Film“, sagt Edel lakonisch. Klar wuchs nur fünf Kilometer von Edels eigenem Heimathaus auf, die Mütter kennen sich, viele von Edels Freunden gingen mit Klar zur Schule. Eine seltsame Koinzidenz.

Dem Film gelingt der Spagat zwischen Spannung und Realitätsanspruch, weil sich Edel wohl sehr schnell darüber klar war, dass er keine Spekulationen zulassen würde, keine Motive deuten wollte. „Der Baader Meinhof Komplex“ ist eher ein Lehrstück, dass die wichtigsten Stationen der RAF-Geschichte beleuchtet – wie ein Schulfilm, der allerdings weder langweilig noch moralinsauer ist. Juni 1967: Der persische Schah besucht Berlin, der Student Benno Ohnesorg wird bei einer Demonstration von einem Polizisten erschossen – Februar 1968: Rudi Dutschke spricht beim Vietnam-Kongress -April 1968: Baader und Ensslin initiieren zwei Kaufhausbrände in Frankfurt, werden später verhaftet. Mai 1970: Befreiung Baaders durch Meinhof und andere, die sogenannte Geburtsstunde der RAF – Bombenanschläge, Banküberfälle, Verhaftungen – ab Januar 1973: Hungerstreiks gegen die angebliche Isolationshaft im Gefängnis-Mai 1975: Beginn des Prozesses in der „Mehrzweckhalle“ der JVA Stammheim- Mai 1976: Selbstmord von Ulrike Meinhof in ihrer Zelle – Morde an Generalbundesanwalt Siegfried Buback, Bankier Jürgen Ponto – Oktober 1977: Entführung des Lufthansa-Flugzeugs „Landshut“, 17. Oktober 1977: Befreiung der Geiseln in Mogadischu, Selbstmord von Baader, Ensslin und Raspe in Stammheim- Ermordung von Hanns Martin Schleyer.

Dann ist die Geschichte zu Ende, Bob Dylan darf noch „Blowin‘ In The Wind“ singen. How many deaths will it take till he knows that too many people have died?

Schon die Decknamen, die Ensslin einst in Stammheim erfand, verraten, dass diese Tragödie am Ende nur Verlierer hervorbringen konnte. Sie stammten aus Melvilles „Moby Dick“: Baader war der egozentrische Kapitän „Ahab“, Ensslin sein „Smutje“, Holger Meins der gefügige Steuermann „Starbuck“, Jan-Carl Raspe der nützliche „Zimmermann“. Der Wal galt als Symbol für den übermächtigen Staat, der zerstört werden muss. Eine Parabel, die dem Wesen der RAF sehr nahe kam: Im Kampf gegen den Leviathan drehen die Protagonisten langsam durch.

Eines der Kernprobleme von Uli Edel war: Wie viel Vorwissen über die RAF kann man voraussetzen? Was muss, was soll erzählt werden? „Ich war bisher immer mein eigenes Publikum und habe Filme so gemacht, wie ich sie gern gesehen hätte. Dieser war eine Ausnahme. Es war ein unglaublich hilfreicher Schlüssel für mich, als mir klar wurde, ich will diese Geschichte meinen beiden Söhnen erzählen, die heute so alt sind, wie ich damals war, 20 und 21 Jahre alt. Es war an meinem 21. Geburtstag, als Dutschke angeschossen wurde. Meine Söhne sind in Amerika aufgewachsen, Afro-Amerikaner. Sie kannten die Baader-Meinhof-Geschichte nicht. Ihnen wollte ich erzählen, was damals passiert ist, wie wir gefühlt haben, welche Hoffnungen und Träume wir erst hatten und wieso es am Ende so viele Tote gab.“ Die Söhne durften den Rohschnitt als Erste sehen. „Sie waren total fassungslos, dass dies in den Siebzigern in Deutschland möglich war und wollten alles darüber wissen. Sie haben sich auch gleich im Internet informiert. Ich kann nur hoffen, der Film würde bei vielen Jugendlichen eine solche Reaktion auslösen.“

Man kann sich vorstellen, dass es Stefan Aust, der für sein Buch jahrelang recherchiert hat, nicht leicht gefallen sein kann, zu akzeptieren, dass im Film vieles nur angerissen oder sehr verdichtet dargestellt wird. Zehn Jahre in Spielfilmlänge zu erzählen-ein schier unmögliches Unterfangen. Dass den Beteiligten sehr gut geglückt ist, wie der Autor findet: „Man kann sich gar nicht vorstellen, was man alles in zweieinhalb Stunden erzählen kann! Wir konzentrieren uns dabei auf die drei Hauptfiguren: Baader, Meinhof, Ensslin. Dadurch fallen automatisch eine Menge Szenen und Ereignisse weg, die mit diesen Personen nicht direkt zu tun haben. Der Rest musste so verschränkt werden, dass man die Entwicklung dieser Personen und die Eskalation von dem, was sie Politik nannten, was wir Terrorismus nennen, verstehen kann.“

Aust lobt die „sehr große Ernsthaftigkeit“, mit der Eichinger und Edel an das Thema herangingen, das Vertiefen in die Materie, in Ermittlungsakten und Zeugenberichte. Die Schauspieler absolvierten indes vor den Dreharbeiten ein zweiwöchiges Schießtraining und machten ihre „Hausaufgaben“, wie Nadja Uhl das nennt. Sie bekamen viel Doku-Material zur Verfügung gestellt, und erinnerten sich zwangsläufig an die eigenen Empfindungen in der damaligen Zeit – naturgemäß alle anders. Uhl, 1972 in Stralsund geboren, hat die Baader-Meinhof-Gruppe „zum ersten Mal über die Nachrichten wahrgenommen, über diese Fahndungsplakate. Die fand ich total beängstigend, diese dunklen Gesichter“.

Da Brigitte Mohnhaupt, die 1982 wegen neunfachen Mordes verhaftet und im März 2007 entlassen wurde, seit fast 2ojahren mit keinem Medienvertreter spricht, war Uhl auf ihr eigenes Gespür angewiesen, was die Rolle betrifft. „Ich würde mir nie anmaßen zu behaupten, dass ich weiß, wer Brigitte Mohnhaupt ist. Ich habe sie nie getroffen. Ich habe mir einen künstlerischen Freiraum geschaffen, um diese Rolle zu gestalten – aus den Fragmenten, die über sie bekannt sind. Es ist eine Interpretation, und das schützt uns beide. Sie kann sich dem jederzeit entziehen und sich davon distanzieren. Ich glaube auch, je

größer die Annäherung an die real existierende Person ist, desto enger wird der Spielraum, desto größer die Begrenzung. Es geht ja nicht nur um Fakten. Der Film hat seine eigenen Gesetze, die uns Schauspielern eigene Spielräume gestatten.“

Uhl spricht davon, dass Mohnhaupt eine „eisige Qualiät“ in die RAF gebracht habe, und so legt sie die Rolle auch an: In keinem Moment spürt man einen Zweifel, höchstens Zorn über das Misslingen mancher Mission. Die Szene, in der sie Ponto erschießen muss, war für Uhl die schwierigste: „Töten zu spielen war für mich eine sehr spezielle Erfahrung. Ich fand das sehr grenzwertig, einen Tag lang einen Menschen zu erschießen… Ab einem gewissen Punkt muss man einen Selbstschutz entwickeln und sich sagen: Ich muss jetzt nicht hundertprozentig in die Figur, in ihr Leben hineingehen. Ich habe versucht, sie emotional zu spielen, aber sie möglichst kühl, analytisch zu betrachten.“

Bei Moritz Bleibtreu, 1971 in München geboren und also auch von frühkindlichen Assoziationen zur RAF geprägt, sieht das alles ein bisschen anders aus. Er wirft sich ohne große Analyse in die Rolle und kommt Andreas Baader so instinktiv näher, als man sich das vorstellen konr te. Wenn er aufgekratzt am Steuer eines geklauten Wagens sitzt, zu den Riffs von The Who durch die Gegend rasend seine Geliebte Gudrun Ensslin anpc belt oder im jordanischen Lager mil Palästinensertuch und Lederhose wk ein Urlauber aussieht, dann kann mar für kurze Momente verstehen, waruir so viele diesem charismatischen Proleten auf den Leim gingen. Anfangs mag der Terrorist dadurch fast zu harmlos wirken, doch im Laufe des Films wird er immer aggressiver, düsterer.

Ein kurzer Dialog über die Figur Andreas Baader:

Wie schwer ist es, jemanden zu spielen, der den Zuschauern so bekannt zu sein scheint?

„Wenn du Mick Jagger spielen sollst, dann ist das natürlich unglaublich schwer, weil jeder glaubt, den irgendwie zu kennen. Aber bei jemandem wie Baader – da ist das differenzierter, weil es nun mal kein existentes Bild- und Tonmaterial von ihm gibt. Es gibt entweder Bild- oder Tonmaterial, aber nicht beides zusammen. Aber natürlich macht man nicht nur für die Figur, sondern für die ganze Geschichte viel Recherche. Was dann irgendwann dazu führt, dass man das beim Spiel alles wieder vergisst. Am Ende ist das Spiel immer Interpretation.“

Was für ein Mensch war Baader deiner Meinung nach?

„Er muss wohl ein Mensch gewesen sein, der extrem selbstverliebt war, sehr narzisstisch. Jemand, der aber vor allem – und ich glaube, das ist es, was ihn ausgemacht hat — in dieser sehr theoretischen Zeit sagte: Ich rede jetzt nicht, sondern ich mache etwas. Ich bin Proll, ich bin kein Intellektueller, ich will nicht Dutschke sein.“

Nur haben auch Ulrich Tukjur, Sebastian Koch und Frank Giering schon Baader gespielt. Schaut man sich deren Filme lieber nicht an, bevor man selbst in die Rolle steigt?

„Man kann sich die anderen Schauspieler ruhig anschauen. Das verhält sich wie am Theater: Hamlet ist auch eine Million mal gespielt worden, aber jeder spielt ihn anders – darum geht es ja gerade. Man kann das nicht vergleichen.“

Abei‘ tendiert man nicht dazu, die reale Figur einfach so exakt wie möglich zu imitieren:

„Film ist eine Behauptung. Je mehr man versucht, etwas bloß nachzuspielen, umso größer ist die Chance, dass man an der eigenen Behauptung zweifelt, und das darf man nicht tun. Dann denkt man nur noch dauernd Sachen wie: Oje, der war ja Linkshänder, dann muss ich das auch machen! Aber wenn ich mit links nicht schreiben kann, übe ich das nicht sechs Monate lang, weil es nie richtig flüssig aussehen wird. Sicher wird es Leute geben, die genau solche Details kritisieren. Aber dann sage ich: Guck Dokumentarfilme! Das ist meine künstlerische Freiheit. Ich bin keine Computeranimation, sondern ein Schauspieler.

Natürlich kann man alles ganz genau machen und minutiös nachstellen. Aber wir machen doch hier nicht Malen nach Zahlen. Das mochte ich schon als Kind nicht, fand ich total langweilig. Wenn da ,blau‘ stand, habe ich es rot angemalt – oder eben so, wie ich es schön fand. Warum soll ich so einen vorgezeichneten Papagei anmalen, wenn ich mir dann nicht zumindest die Freiheit nehme, ihn farblich so zu gestalten, wie ich das für richtig halte?“

Und dann fasst er am Ende des Gesprächs, als es darum geht, warum er sich selbst nicht so gern im Kino anschaut, zusammen, ¿was sein Berufsverständnis ausmacht: „Routine und Eitelkeit sind die größten Feinde. Man sollte immer versuchen, sich die Wahrhaftigkeit zu bewahren und instinktiv zubleiben.“

Martina Gedeck ist berühmt für ihren Instinkt, ihre Intensität und Wandlungsfähigkeit. Auf dem Papier sah es aus, als würde sie im „Baader Meinhof Komplex“ tatsächlich ihre „Traumrolle“ fanden können, und doch: Johanna Wokalek als Gudrun Ensslin spielt sie, ohne mit der Wimper zu zucken, an die Wand. Wokalek stellt die verblendete Pastorentochter mit einer grausamen Wucht dar, zu der sich keiner der anderen Beteiligten aufschwingen kann, ohne sich auf bloße Nachahmung zu verlassen. Das ist vielleicht der Vorwurf, den man Gedeck machen kann: Man merkt ihr in jeder Minute an, wie genau sie Meinhof studiert hat, wie sie deren Sprachduktus, ihre Bewegungen imitiert. Zumindest am Anfang fängt sie das Drama der innerlich zerrissenen Journalistin virtuos ein, und die berühmte Szene, in der Meinhof bei der Befreiung Baaders aus dem Fenster springt – der sogenannte „Sprung in den Untergrund“ – ist eine der bewegendsten, weil man da ihr Dilemma fast körperlich spürt, während sie später nur noch eine Hülle zu sein scheint.

Für Edel war dieser Sprung einer der entscheidenden Eckpfeiler im Film: „Es wird ja immer noch diskutiert: Hat sie diesen Sprung geplant? Hatte sie ihn vorbereitet oder entstand das aus dem Moment heraus? Ich glaube, es war beides. Sie hat mit dem Gedanken, sich aus der Gesellschaft, aus ihrem Umfeld loszulösen, schon länger gespielt. Sie hat bestimmt überlegt: Was wäre, wenn…? Aber als sie es dann tatsächlich gemacht hat, war es eine spontane Entscheidung. Wir wissen auch, dass Baader sie deshalb fürchterlich beschimpft hat. Sie hätte ja der Bewegung, wenn man sie so nennen will, viel mehr geholfen, wenn sie in der Legalität geblieben wäre.“

Eichinger hat natürlich recht, wenn er sagt, der Film sei deshalb so schwer zu inszenieren gewesen, weil es bei dieser Geschichte „keine Helden, keine Identifikationsfiguren, keine klaren Sympathieträger“ gibt, doch kommt die Figur der Ulrike Meinhof ja immer noch am ehesten an diese Vorstellung heran: Zumindest Mitleid konnte man manchmal empfinden für diese Frau, die ihre Villa, ihren journalistischen Anspruch und schließlich auch ihre Kinder verlässt, um sich einer Gruppe anzuschließen, deren Leitfiguren sie bald ablehnen und regelrecht drangsalieren. Wie aus Idealismus Fanatismus wird, wie aus einer Unruhestifterin eine Mörderin werden konnte – diese ewigen Fragen machen Meinhof zur herausragenden

Figur in dieser Konstellation, und Gedeck vergibt die Chance, den Mythos wirklich menschlich zu machen.

Für Uli Edel, 61, war dieser Film ,auch ein Stück Erinnerungsarbeit“. Er hatte keinerlei Kontakte zur RAF, die Zeit aber sehr intensiv erlebt. „Mir war wichtig, dass ich ein wenig von diesen Gefühlen, die ich damals empfunden habe, beim Zuschauer wieder auslösen kann. Zum Beispiel, wie ich den 2. Juni inszeniert habe: Das steht natürlich schlaglichtartig für die Gesellschaft, wie sie damals war. Wie die Polizei, die Obrigkeit reagiert hat. Wie überrascht die rebellischen Studenten waren. Es war absolut bodenlos und grundlos, was die Polizei da getan hat. Oder dieser Moment, wenn Dutschke in der TU diese Rede gegen den amerikanischen Imperialismus hält

dass man in den wenigen Sekunden, die ich dafür hatte, schlagartig ein Gefühl für die 68er bekommt.“

Auf jeden Fall schreckt der Film nicht davor zurück, auch die Gewalt der anderen Seite zu zeigen. Die Polizei sieht bei den Demonstrationen gegen den Schah-Besuch wie ein Haufen schießwütiger Schläger aus, auch die Verhaftung von Holger Meins ist extrem brutal. Aust bestätigt den Realitätsgehalt der Bilder: „Ich habe immer gesagt: Der Polizeibeamte, der den Studenten Benno Ohnesorgerschossen hat, hat einen wesentlichen Anteil am Aufkommen des Terrorismus in der Bundesrepublik Deutschland. Das ist keine Frage. Und die Polizeieinsätze damals waren wirklich völlig inakzeptabel. Man kann die Geschichte nicht verstehen, wenn man das nicht auch zeigt – den Anlass dafür, warum Leute in den Untergrund gegangen sind.“

Beim Dreh waren einige Polizisten vor Ort, die vor 40 Jahren tatsächlich dabei waren. Edel, neugierig wie immer, befragte sie, was damals gelaufen ist: „Selbst für sie war die Gewalteskalation in ihren Reihen nur schwer erklärbar. Es gibt über jenen Tag sehr viel Dokumentarmaterial. Die meisten Bilder sind nach diesem Material inszeniert

die berittene Polizei, die Jubelperser, alles. Man glaubt es kaum, was da ablief, aber so war’s.“

Gewalt ist das große Thema von Uli Edel. Er sieht die drei Kinofilme, die er mit Bernd Eichinger gemacht hat, als eine Art Trilogie: „Der Film .Christiane F.‘, der von jener Gewalt spricht, die wir uns selbst zufügen. ,Letzte Ausfahrt Brooklyn‘, der von sozialer Gewalt spricht. ,Der Baader Meinhof Komplex‘, der von politischer Gewalt handelt.“ Doch was soll dieser Film nun bewirken? Wie wird er rezipiert werden? Stefan Aust hat da wenig Illusionen: „Sicher werden einige dem Film vorwerfen, dass er die RAF glorifiziert. Andere werden sagen, er degradiert die Revolutionäre zu Terroristen. Das kenne ich schon vom Buch.“ Jede Art von Öffentlichkeit verstärkt natürlich den Nimbus, und doch:Je mehr Wissen, desto weniger blinde Faszination. Aust erhofft sich dies: „Dass die Zuschauer von der Geschichte dieses Landes mehr verstehen, als sie vorher verstanden haben. Dass sie ein Gefühl dafür kriegen, wie Terrorismus entsteht. Wie er funktioniert. Wie Leute funktionieren, die sich in eine solche Lage begeben. Wohin es führt. Ich glaube, der Film macht außerordentlich deutlich, was sich in dieser Zeit abgespielt hat. Deutlicher als alles, was ich bisher gesehen habe.

Er geht eben auch ein ganzes Stück hinaus über das, was man in einer Dokumentation schaffen kann.“

Möglicherweise verlassen die Zuschauer nach zweieinhalb aufregenden, anstrengenden Stunden das Kino mit höchst widersprüchlichen Gefühlen. Uli Edel stellt sich das so vor, und er hofft, dass diese Geschichte noch lange nicht zu Ende ist, wenn der Abspann gelaufen ist. „Es wird ja sehr viel über die RAF geschrieben, aber merkwürdigerweise sind auch sehr viele Fragen immer noch nicht beantwortet. Noch immer ist nicht bekannt, wer Buback ermordet hat oder wer Schleyer erschossen hat. Von den zehn Morden der dritten Generation ist nur einer wirklich geklärt. Das ist ein Skandal.“

Und dann bezieht er doch eindeutig Stellung, auch wenn der Film das nicht tun will: „Dieses Schweigen über die RAF-Taten versucht der Film zu durchbrechen. Mit welcher maßlosen Brutalität vorgegangen wurde, kann man etwa bei der Schleyer-Entführung sehen. In den Körpern der Opfer wurden bis zu 25 Einschüsse gefunden. Auf die vier Begleiter wurden 119 Schüsse abgegeben. Das übersteigt erst mal das Vorstellungsvermögen, man denkt an übertriebene Mafiosi- oder Gangster-Filme. Ich habe beteiligte Ex-Terroristen befragt: Wo hast du gestanden? Hast du die Leute angesehen, die du erschossen hast? Da kommt die Antwort: Ich kann mich nicht erinnern, jemanden getroffen zu haben. Das sind dieselben Verdrängungsmechanismen wie bei unseren Nazi-Vätern. In der Erinnerung haben sie sich die Dinge so zurechtgelegt, damit sie damit weiterleben können. Man kann das schon damit vergleichen, wie ich als 13-Jähriger meinen Vater gefragt habe: Was hast du im Krieg gemacht? Hast du Menschen getötet? Damals habe ich auch keine Antwort bekommen von meinem Vater, der als Berufssoldat beim Russlandfeldzug dabei war. Er hat geschwiegen wie alle Väter meiner Generation. Bis zu seinem Tode.“

Nadja Uhl fasst den Kern dieser Parabel, die eben doch eine Moral hat, so schlicht wie ergreifend zusammen: „Totschweigen und Verdrängen bringt nichts. Die jüngere Generation wird immer alles hinterfragen. Und deshalb sage ich: Guckt, was in den Köpfen der Kinder passiert. Die reagieren. Immer. Die Rechnung kommt, ganz bestimmt.“

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