Das ist Kunst

Da ich damals in Japan lebte, kannte ich Rammstein lange nur aus „Spiegel“-Artikeln, in denen immer stand, sie seien die bösen Buben. Einen Zugang zu ihrem Werk habe ich dann über die Texte gefunden. Trotz der bisweilen etwas platten Schüttelreime, die dem starren musikalischen Rahmen geschuldet sind, haben mich die Bilder fasziniert, die Till Lindemann entwirft. In vollem Umfang hat sich mir die Faszination Rammstein schließlich bei einem ihrer Konzerte erschlossen. Eine sehr beeindruckende Inszenierung, die von der Dramaturgie und vom Aufbau her eher an das Theater oder die moderne Oper erinnert als an ein Rockkonzert.

Das Rammstein-Projekt „Mein Herz brennt“ basierte auf einer Idee des Komponisten und Produzenten Sven Helbig, der die Texte der Band in einen anderen Kontext überführen wollte. Einige Komponisten wurden gebeten, Demo-Versionen einzureichen, und ich habe diesen „Wettbewerb“ gewonnen. Es ging uns darum, Lindemanns Texte ähnlich zu behandeln wie die Werke von Goethe, die ja auch von Schubert, Mahler und anderen vertont und musikalisch gedeutet worden sind.

Die Rezeption vom Rammstein ist teilweise fehlerhaft, da sie einem rocktypischen Verlangen nach Authentizität geschuldet ist. Christopher Lee hat einen blutrünstigen Dracula gespielt, ist aber privat ein netter älterer Herr. Natürlich muss man Rammstein ernst nehmen, aber wer eine direkte Verbindung herstellen will zwischen den Inszenierungen und der Bildsprache und den Musikern selbst, wer also Rückschlüsse aus dem Werk eines Künstlers auf sein Privatleben zieht, der irrt. Was Rammstein machen, ist Kunst, und als solche sollte man sie rezipieren. Die Band spielt mit Symbolen, um zu provozieren, was heutzutage jeder Regisseur in der Oper macht. Für mich ist Provokation eine ganz wichtige Aufgabe von Kunst. Das regt zum Nachdenken an.

Natürlich wird es ihnen auch Spaß gemacht haben, die Leute mit diesen Riefenstahl-Bildern zu provozieren. In gewisser Weise war das natürlich auch ein Marketing-Coup, es ging sicher auch darum, Aufmerksamkeit zu erzeugen. Aber sie darauf zu reduzieren, wäre stark vereinfacht. Man kann das geschmacklos finden, aber warum sollte Kunst denn immer geschmackvoll sein?

Aus der Perspektive der sogenannten Klassischen Musik kann man sie natürlich am ehesten mit Wagner vergleichen. Es gibt aber einen Unterschied: Wagner ist zurecht umstritten. Nach allem, was wir wissen, war er ein perverser Antisemit, das hatte nichts mit Kunst zu tun. Seine Musik darf man aber natürlich trotzdem hören und spielen. Aufgezeichnet von Torsten Groß

TORSTEN RASCH studierte an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber in Dresden. Für seine Rammstein-Interpretation „Mein Herz brennt“ wurde dem Komponisten der Klassik-Echo verliehen.

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