Das lyrische Reinheitsgebot

Seit Ende der 80er Jahre führte der amerikanische Dichter und Songwriter David Berman eine popmusikalische Randexistenz. Nun tritt er mit seinen Silver Jews endlich ins Licht

David C. Berman, Songwriter und einziges ständiges Mitglied der Silver Jews, ist in freudiger Erwartung. Am Abend spielt er sein erstes Konzert in einem Land, das ihm sehr ans Herz gewachsen ist. Denn er ist ja selbst ein Dichter und Denker. Er wird sich später fürs Hamburger Publikum ordentlich in Schale werfen, im um den hageren Körper schlackernden grauen Anzug auf die Bühne treten. Zu unserem Treffen erscheint er aber noch in Jeans und Country-Hemd – um seinen Hals baumelt ein kleiner silberner Davidstern.

In Deutschland höre man auf seine Texte und verstehe sie auch, meint Berman. „Nicht so wie in England. Da erscheint nicht ein einziger Journalist zum Pressetermin“, schimpft er, senkt den Blick und schaut der Wahrheit über sich und die Welt in die Augen. Es ist, als trage er einen komponierten Text vor. So wie Allen Ginsberg, dem er stimmlich und optisch etwas ähnelt, sein „Kaddish“ oder „America“. Er redet sich in einen Rausch wie Bob Dylan, als er in „Dont Look Back“ dem Reporter des „Time Magazine“ gegenüber sitzt. Manchmal hält er inne, empfängt von mir ein Stichwort oder lauscht in die Stille.

Wir wollen im Verlauf des Artikels immer wieder hineinhorchen in diesen langen Sermon. Doch zwischendurch werde ich die Geschichte des neben Bill Callahan alias Smog wohl begnadetsten Songdichters seiner Generation erzählen.

„Mit der Rockmusik ist es wie mit der Geschichte. Wir sind in einer Retro-Schleife. Die Geschichte ist vorbei, und wir sitzen nur noch herum und warten: Sollte das alles nicht irgendwo hinführen? Die Reifung der Menschenliebe steht nicht mal auf dem Plan. Rock’n’Roll führt niemanden irgendwo hin. Als ,Astral Weeks‘ rauskam oder die Beatles begannen, mag man noch gedacht hüben, es sei ein Aufbruch — aber weit gefehlt.“

Ende der Achtziger arbeitete David Berman als Museumswärter im New Yorker „Whitney Museum of American Art“ an der Upper East Side. Als er eines Tages aus dem Fenster schaute, fiel sein Blick auf ein Schild: „Silver Jewelry“ stand dort. Doch irgend etwas verdeckte die letzten vier Lettern. Er las: „Silver Jew“. Eine Epiphanie.

Und der neue Name seiner Band, zu der neben ihm noch seine beiden Freunde gehörten, mit denen er eine Wohnung in Hoboken/New Jersey teilte: Stephen Malkmus und Bob Nastanovich. Die drei hatten sich an der University of Virginia in Charlottesville kennengelernt und bereits gemeinsam unter dem Namen Ectoslavia Musik gemacht. Schon da war Berman der Sänger, Texter und Chef gewesen. Eines Tages hatte er seine Freunde einfach aus der Band geworfen, weil er keinen Noise Rock mehr spielen wollte, sondern richtige Songs. Doch sie hatten sich bald darauf wieder versöhnt und beschlossen, es noch einmal gemeinsam zu versuchen. In New York.

Etwa zur gleichen Zeit gründete Malkmus mit einem Freund aus Kindertagen — Scott Kannberg — eine neue Band: Pavement. Deren erste EP „Slay Tracks (1933-1969)“ erschien 1989. Wenig später wurden sie vom neu gegründeten Label Drag City aus Chicago gesignt. Auch die Silver Jews kamen kurz darauf dort unter. Während Pavement aber bald durch die Decke gingen, blieben die Platten der Silver Jews — die auf einem Walkman aufgenommene EP „Dime Map Of A Reef‘ und das ebenfalls LoFi-ige Mini-Album „The Arizona Record“ein Geheimtipp. Wohl vor allem, weil Berman sich aufgrund seines fehlenden Selbstvertrauens nicht in der Lage sah, die Songs live zu spielen. „Jeder versteht, warum Maler oder Schriftsteller nicht auf Tour gehen oder ständig Zeit mit anderen Malern und Schriftstellern verbringen wollen. Aber Musiker hängen andauernd mit Musikern rum.“

Als 1994 „Starlite Walser“, das erste in einem Studio aufgenommene Album der Silver Jews, erschien, wurde die Band von vielen als Nebenprojekt der erfolgreichen Pavement — bei denen mittlerweile auch Nastanovich eingestiegen war—kategorisiert. Doch abgesehen von dem historischen Fehler in dieser Annahme hatten die Bands musikalisch und inhaltlich wenig gemein. Pavement standen eher in einer britischen The Fall-Tradition, die Silver Jews spielten äußerst eigenwillige Americana. „There is a house in New Orleans/ Not the one you’ve heard about/ I’m talking about another house.“ („New Orleans“) Malkmus trat bei den Silver Jews meist hinter den poetischen Texten des Eigenbrötlers Bermans zurück, spielte lyrisch und leise einige seiner schönsten Gitarrenparts. „Beiior ein Musiker überhaupt gelernt hat, einen Songzuschreiben,hat er schon viel zu viel Anerkennung für das erhalten, was in jungen Jahren einfach aus ihm herausgeflossen ist. Und wenn es dann aufhört, aus ihm herauszufließen, weiß er nicht, wie man überhaupt einen guten Song schreibt. Er ist gefangen. Hilflos. Das ist der Grund, warum viele Musiker es nach einigen Jahren nicht mal mehr schiffen, einen Song zu schreiben, der so gut ist wie der schlechteste auf ihren ersten paar Alben. Ich nenne es das Paid-Westerberg-Syndrom.“

David Berraan hatte in der Abgeschiedenheit jenseits von Tourneen und Musikgeschäft—jede Menge Zeit, das Songhandwerk zu erlernen. Er orientierte sich vor allem an klassischen Country-Songs, die er für ihr Sentiment und ihre konzise Sprache bewunderte. Das gänzlich ohne Pavement-Beteiligung entstandene „The Natural Bridge“ und die Nachfolger „American Water“ (wieder mit Malkmus und Nastanovich) und „Bright Flight“ (begleitet von Teilen des Lambchop-Kollektivs) gingen diesen Weg sehr überzeugend weiter. Die durchweg positiven Kritiken und begeisterte Kollegen wie Will Oldham oder Lambchops Kurt Wagner sorgten dafür, dass sich die Alben der Band auch ohne Tourneen insgesamt an die 250 000 Mal verkauften. Bermans 1999 veröffentlichter erster Gedichtband „Actual Air“ wurde sogar in wenig Lyrik-affinen Lifestyle-Magazinen wie „News“ besprochen und vom kleinen Verlag Open City bereits mehrfach neu aufgelegt. In diesem Band findet sich auch das autobiografische Poem „Self-Portrait at 28“, in dem Berman aus seinem Dichterdasein erzählt: „You see there is a window by my desk/ 1 stare out when I am stuck/ Though the outdoors has rarely inspired me to write/And I don’t know why I keep staring at it.“ „Meine Selbstzweifel war alles, was ich hatte. Ich war immer versucht, einfach nur noch ein Dichter zu sein, weil die Leute da ein Problem mit mir hüben gönnen. Aber wenn man ein Sänger ist und nicht besonders schön singt, ist das etwas anderes. Die Singstimme eines Menschen ablehnen, bedeutet in vielerlei Hinsicht, die Person .selbst ablehnen.“

Nach der Veröffentlichung von „Bright Flight“ 2001 geriet Berman in starke Depressionen und suchte Zuflucht in Alkohol und Schlimmerem. 2003 versuchte er sich mit einem Cocktail aus Crack, Alkohol und dem Psychopharmakum Xanax umzubringen, überlebte, machte eine Entziehungskur und entdeckte – welch Ironie – den jüdischen Glauben für sich. „Tanglett’ood Thimbers“, aufgenommen unter anderem mit Malkmus, Will Oldham und Lambchop-Mitgliedern, reflektierte 2005 diese dunkle Zeit: „I could not love the world entire/ There grew a desert in my mind/ I took a hammer to it all/ 1 took a hammer to it all/ 1 saw God’s shadow on this world.“ („There’s A Place“) Kurz nach Veröffentlichung des Album kündigte Berman, der mittlerweile in Nashville lebte, die allererste Tour der Silver Jews an. Zur Live-Besetzung der Band gehörte neben Lambchop-Keyboarder Tony Crow auch Bermans Frau Cassie.

Die ausgiebige Konzertreise durch die USA habe ihm erst gezeigt, wie viele Leute die Musik der Silver Jews über die Jahre schätzen gelernt hätten. Viele von ihnen seien weitaus jünger gewesen, als er sich vorgestellt hatte, berichtet Bermann. Plötzlich habe er seine Zuhörer nicht länger als harte Kritiker und Spiegelbilder seiner eigenen Unzufriedenheit gesehen, sondern als Schüler.

„Frauen, die niemals Vertrauen in sich hatten, beginnen mit 40 plötzlich, sich selbst zu akzeptieren: Ich bin fett, ich bin lesbisch-na und?, so gesehen bin ich nun-mit 41 Jahren-eine fette Lesbe.“

Die positiven Erfahrungen auf der Tour wirkten sich auch auf das neue Album „Looout Mountain, Lookout Sea“ aus. „Ich schrieb die Lieder aus meiner Erfahrung, die Außenwelt vor Augen“, sagt Berman. Und das Vor-Augen-Haben sollte man durchaus wörtlich nehmen. Denn jahrelang hatte er mit seinem rechten Auge kaum noch etwas gesehen. Bei einer Schlägerei Ende der Neunziger wurde die äußere Haut des Auges in Mitleidenschaft gezogen. Sie wölbte sich kegelförmig nach außen wie ein Hügel (ein „Lookout Mountain“?), so dass er die Welt nur noch verschwommen (die „Lookout Sea“?) wahrnahm. Von dem Geld, das er 2005 auf der Tour verdiente, konnte er sich die nötige Operation leisten, um den Schaden zu beheben.

„Ich wollte, dass die Leute etwas mitnehmen, wenn sie die Songs hören. Wenn man einen Radiohead-Song hört, mag der ja schön sein und alles, aber ich nehme nichts von ihm mit. Er perlt von mir ab wie Wasser.“

Immer wieder überarbeitete Berman die Texte, versuchte Schönheit in sprachlicher Schlichtheit zu finden, erfand für seine Schüler, Kritiker und geneigten Zuhörer immer neue Aphorismen, Epigramme, memorable Sprüche. Getrieben von seinen hohen Ansprüchen an Originalität und Reinheit.

„Die Reinheit meiner Texte ist mir sehr wichtig. Das Ziel ist, etwas zuschreiben, das sich anhört, als hätte es schon mal jemand gesagt, aber einer hat es bisher gesagt. Ich google manchmal die Zeilen, die ich geschrieben habe, um sicherzugehen, dass sie noch niemand verwendet hat. Die Wendung ,abridged abyss‘ aus ,What Is Not But Could Be If‘ fand ich in einem Aufsatz über Andre Malraux aus den Fünfzigern. Da habe ich lange überlegt, ob ich sie trotzdem vertuenden kann. Aber insgesamt gibt es mehr Google-zero-hit-phrases auf dem Album, als du dir vorstellen Rannst.“

Lyrisch und musikalisch kam Berman seinen klassischen Country-Vorbildern wohl niemals so nah, wie auf „Lookout Mountain, Lookout Sea“. Es sei ihm bei der Arbeit immer wieder in den Sinn gekommen, aufgrund der technologischen Entwicklungen könnte dies die letzte Chance sein, ein richtiges Album zu machen. Er wäre nicht böse, falls dies nun wirklich seine letzte Platte sei. grinst Berman. „Ich hätte früher nie gesagt, ich sei mit einer Sache, die ich geschaffen habe, glücklich. Aber mit diesem Album bin ich äußerst glücklich. Nun spiele ich diese Lieder live und bin überrascht, dass ich hier bin und die Dinge sind, wie sie sind“, lächelt Berman und fügt noch einen Aphorismus an. „Ich fühle mich wie der Beweis dafür, wie falsch ich mit meinen Selbstzweifeln all die Jahre lag. I’m the example I needed to see.“ Das hat so noch keine r gesagt. Ich hab’s mit Google überprüft.

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