Das Psycho-Duo der Stunde

DREIUNDZWANZIG Jahre und schon ein Shootingstar: Nicolas Jaar, Universitäts-Absolvent, Produzent und DJ, sitzt backstage im Berliner Club Berghain, wo er gleich auf der Bühne stehen wird, zusammen mit seinem Tour-Gitarristen Dave Harrington.

Zusammen sind sie Darkside. Zwei Jahre haben sie an einer Platte gearbeitet. Jetzt ist sie da. Und die beiden New Yorker in Berlin, um den Deutschen „Psychic“ vorzuspielen: eine düstere Sammlung aus glühendem Postrock und Downbeat-Elektro, die mal luzide esoterisch klingt und mal dreckig-krautig. Das Cover: eine Kristallkugel, die aussieht wie eine große Qualle mit gallertigen Glubschaugen. „Für uns ist das eine eigene kleine Welt. Ein sicherer Kosmos, ein geschützter Ort, der allen offen steht“, sagt Jaar.

Willkommen im Darkside-Universum, das noch unberührt ist von der laut Jaar „chaotischen, dreckigen Welt da draußen“. Der Musiker meint: Entfremdung, Bestechlichkeit, Orientierungslosigkeit. Freiheiten, die wir alle haben und die oft so groß sind, dass sie uns gefangen halten. Auch von einer nagenden Unsicherheit spricht Jaar – ausgerechnet er, der das Glück hat, so dunkelblaue Augen und dazu schwarze kontrastierende Locken zu haben, und der das Berühmtsein von seinem Vater kennt, dem chilenischen Künstler Alfredo Jaar.

Der Erfolg hat dem Junior bisher aber offenbar nicht viel anhaben können. Er lümmelt im Kapuzenpulli in einem Sessel, und stützt sich auf seine Wasserflasche. Müde sei er, sagt Jaar entschuldigend. Anstrengend, so eine Tournee: wenig Schlaf, viele Reisen und Interviews. „Das ist nicht so, wie viele denken, von wegen, Mädchen, tolle Hotels, Rock’n’Roll. Wir sind keine Bohemiens. Das ist ein harter Job.“ Aber natürlich auch: „Der beste Job der Welt“, der ihn zum Star gemacht hat, schon vor drei Jahren, als er sein erstes Album, „Space Is Only Noise“, herausbrachte.

Dabei hat Jaar eigentlich alles falsch gemacht. Mit 17 begann er, Sounds zusammen- und das Tempo seiner Stücke so herunterzuschrauben, dass sie kaum mehr tanzbar waren. Die Clubs spielten ihn trotzdem, Jaar wurde weltweit zum Namen in der House-und Technoszene. Er versuchte immer weiter, Erwartungen zu enttäuschen – und die Welt liebte sein Debüt, die Musikplattform Pitchfork wählte es zum besten Album des Jahres. Und jetzt: „Psychic“, mit einem Elfminüter als Opener. Ein Abschreckungsversuch? Nur auf dem Papier. Denn das orchestrale Stück groovt sich bald ein, Beats schleichen sich ein, formen Jaars digitalen, looptauglichen Markenzeichen-Sound, irgendwo zwischen Star Wars und Pink Floyd. Klavier, Synthesizer, schamanisch tönende Trommeln und Gitarre sind kunstvoll komponiert. Das klingt in Teilen sperrig, insgesamt aber luzide. Und irgendwie ausgeklügelt, nachdenklich bis philosophisch, irgendwie fast schon – ja, deutsch.

Plötzlich ist Jaar hellwach, richtet sich in seinem Sessel auf. „Deutsch? Herrlich! Das find ich genial. Da sind wir noch nicht draufgekommen!“ Die beiden erzählen aufgeregt wie Pfadfinder vor dem ersten Zeltlager. Manche verglichen ihre Musik mit Coldplay, andere hielten sie für einen Blues-Abklatsch. „Ich glaube, unsere Musik ist wie ein Rorschachtest, dieser Tintenklecks-Test aus der Psychologie“, sagt Harrington: „Jeder sieht etwas anderes darin. Und was er sieht, hat viel mit ihm selbst zu tun -beeinflusst aber auch unsere Arbeit.“ Ebenso wie all die anderen Einflüsse, die das Duo im Lauf der Jahre aufgesogen hat. Jaar interessiert sich für Erik Satie und Afrobeat, Ricardo Villalobos und äthiopischen Jazz, Multiinstrumentalist Harrington verehrt den Experimentalmusiker John Zorn, bringt Erfahrungen aus Film und Theater mit. Eine Mischung, die stets für eine Überraschung gut ist.

Schon im Frühjahr erregten die beiden Aufsehen – mit einem Remix des neuen Daftpunk-Albums „Random Access Memories“. Sie hätten den Daftpunk-Hit „Get Lucky“ gehört, die Erkenntnis: dark und daft liegen nur einen Buchstaben voneinander entfernt. „Uns war gleich klar: Wir müssen unter dem Namen Daftside irgendwas machen. Erst dann kam die Idee, das Album zu remixen“, sagt Harrington.

„Random Access Memories Memories“ ist nicht einfach der Hipster-Abklatsch eines Spitzenalbums. Es ist ein Stück ganz neuer, zeitgenössischer After-Hour-Musik geworden: Hier das hedonistische Original, dort der Remix, auf dem schon die dunkle, psychedelische, vor allem aber ganz individuelle Seite von Darkside herausklingt, die auch „Psychic“ bestimmt.

„Das kommt irgendwo aus dem Innern“, sagt Jaar. Und dieser tiefe innere „drive“ bringe immer neue Ideen hervor, die ihn oft auch selbst überraschten. „Ich weiß eigentlich nur, dass ich nichts über Musik weiß. Aber ich lerne. Was ich schon gelernt habe: Die Musik ändert sich mit dir, immer weiter.“ Darin ist er sich mit Harrington einig, der aktuell von G-Dur schwärmt: „Ich fand den Akkord immer langweilig. Jetzt habe ich ihn neu entdeckt, ich bin richtig verliebt in G-Dur. Man entdeckt eine riesige Welt in einer kleinen Welt. Mit vielen Schichten, die man nach und nach entblättern kann.“ Die Jungs sind auf der Suche, sie klingen melancholisch. Aber dabei haben sie vor allem auch Spaß, den sie teilen wollen: „Join us in the bubble. Just feel it!“

Und das tut zumindest ihr Berliner Publikum in der Berghain-Show. Taucht ein in das beatgetriebene, psychedelische Sounduniversum von „Psychic“, eine eigene kleine Welt.

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