Debbie Harry in Stücken: Miss Thompson mit Kittel im MOCA

Ärztekongress in Hollywood? No, no! Miss Thompson schaute im Kittel beim Dinner von Deborah Harry von Blondie und Performance-Künstlerin Marina Abramovic vorbei. Serviert wurde: Debbie Harry in Stücken.

Kirsten Dunst, Will Ferell und Tilda Swinton müssen in den Kittel. Dita van Teese, Rachel Zoe, Gwen Stefani, Dasha Zhukova genauso. Jeder muss in den Kittel, heute Nacht. Performance-Star Marina Abramovic hat das so bestimmt. Zusammen mit Deborah Harry aka Blondie hat Abramovic das jährliche Dinner vom „Museum of Contemporary Art in Los Angeles“ – kurz MOCA –  erdacht und ihre Ideen eisenhart durchgeführt. Gast Pamela Anderson brauchte keinen Kittel. Pam war schlau, wie immer. Sie trug eine Kittelversion, ein weißes Schürzenkittelkleidchen, sehr mini. Hollywood unterwarf sich heute Abend der Kunst. Einer fremden Kraft. Ausnahmsweise. Sonst unterwirft es sich höchstens sich selbst und sagt allen anderen, die von ihm Unterwerfung verlangen, ein herzliches „Fuck you!“

Am Eingang trotzdem kurze Verwirrung, Fassungslosigkeit. „Bitte ziehen sie das an. Möchten sie Größe S?“  Rachel Zoe, die Style-Königin von Amerika findet das Kittelding nicht lustig (Sie braucht Größe 0, Small ist zu groß.) Rachel ist bisschen entsetzt. Wie der ein oder andere Hollywood-Gast heute Nacht hat sie sicher Stunden, Tage, Wochen ihr Kleid für heute Abend überlegt. Die Rückenfreien heute Nacht haben am Rücken gefeilt, gescrubbt und gearbeitet, damit er im Yves Saint Laurent Kleid gut rüberkommt.  Der Bronzeton auf dem Rücken war über Monate überlegt. Für einen Rücken, den ich beim Begrüßungscocktail sah, tat es mir besonders leid. Er schimmert golden, jeder starrte ihn an. Der Rücken war schon ohne seine Vorderseite ein Star.

Dieser Rücken und alle anderen sollten also den Abend in  einem „Made in China“-Doktorkittel verbringen? Ganz genau.  Frau Abramovic trägt selbst einen. (Später wissen wir warum.) Sie sieht im Kittel fantastisch aus, sie könnte im Bond-Film mitwirken. Ihr Haar liegt zur Seite, streng. Sie wäre Dr. No als Frau. Marinas Kittelidee entwickelt sich jetzt. Sie ist gut.

Nach ein paar Minuten hat der Kittel gute Laune verbreitet. Hedi Slimane fühlt sich wohl, Dita von Teese erregt darin Ärztinnen-Fantasien, der Kittel an den Hollywoodkörpern sorgt für Entspannung im Wettbewerb zwischen den sehr Dünnen. Tisch 6. Da muss ich hin. Kurzer Halt am Tisch 7. Marina hat sich dafür folgendes ausgedacht. Unter dem Tisch sitzen Jungs oder Mädchen, deren Köpfe durch den Tisch ragen.  Mit dem Kopf soll man nicht sprechen. Augenkontakt geht. Marina hat Anweisungen auf den Teller gelegt.

Also Tisch 6, da sieht die Lage anders aus. Bei uns liegt eine Nackte mit einem Plastikskelett obendrauf. Man kann sie von allen Seiten sehen. Sie dreht sich. Sie ist hübsch. Sie starrt an die Decke, sie sieht ein wenig tot aus. Später wird sie einschlafen.

Die Mannschaft von Tisch 6 schaut sich kurz in die Augen. Zur Sicherheit. Wir sehen alle dasselbe, richtig? Ein Typ von Tisch 7 sagt, er beneidet das Mädchen nicht. (Nackte und Nacktsein in den USA behandeln wir jetzt nicht, es würde zu lange dauern.) Eine MOCA Geldgeberin vom Sechser-Tisch hat kein Mitleid mit dem Körper.  „So ist das, wenn man Performance Künstler werden will. Sie hat es sich ausgesucht.“

Der Junge neben mit, circa 21, kommt auf die Nackte nicht so gut klar. Seine Mutter ist ein Supermodel aus den 90ern.  „Ich habe mit Köpfen auf dem Tisch gerechnet, aber mit Nackten auf dem Tisch, das schaffe ich nicht.“  Nach ein paar Minuten ist die Nackte nicht mehr  interessant.

Marina Abramovic verliest auf der Bühne ihr Manifest. Künstler sollen sich nicht selbst zu Idolen machen, Künstler sollen niemals denken, Selbstmord-Ideen und Depression führen zu guter Kunst. Oder machen irgendwie Sinn. Der ideale Moment, um Debbie Harry raus zu schicken. Als Beweisstück. Debbie singt Hits, Hollywood wirft ein paar Kittel von sich, als Debbie in einem roten Fummel auf und ab läuft.  „Warte erstmal mal, bis zum Dessert“, flüstert jemand am Tisch 6.

Es lohnt sich wirklich. Debbie und Marina werden als Kuchen reingefahren. Nackt. Der Debbiekuchen ist von innen rot, der Marinakuchen braun, ihre Gesichter sind so echt. Marinas Nase ist groß, Debbies Mund wirklich heiß. Debbie und Marina haben auf diesen Moment gewartet. Debbie schneidet richtig fest in ihren Kuchenbauch, Marina nimmt sich ihre Brust vor. Sie haben Spaß sich zu zerschneiden. „Soll man das wirklich essen?“, eine Frau im goldenen Kleid steht unentschlossen vor dem Teller mit Debbies Zehen.

Ein kleines Los Angeles-Trauma kommt dazwischen: Debbies kaputter Dessert-Körper erinnert an die „Schwarze Dahlie“, eine der berühmtesten Frauenleichen in der Geschichte von LA. Ihr Körper war unangenehm zerstückelt. Doch Debbie hat daran nicht gedacht. Sie will jetzt mal ein Stück von sich selbst essen, ihr eigenes Idol zerstören, wie Marina es verlangt. Weg damit. Marina Abramovic hatte Debbie Harry und sich selbst in dieser Nacht verwandelt, vor den Augen Hollywoods. Das war imposant.

Doch Debbies kaputter Kuchenkörper ist nicht so leicht aus dem Kopf zu bekommen. Ich fuhr zurück durch Downtown. Niemand war auf der Strasse. Die Ecken dunkel, nur ein paar Ampellichter und ich. Ich hatte noch einen unangenehmen Marzipannachgeschmack im Mund. Er stammte von Debbies Bauchnabel.

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