Der Bart ist ab

Die Eels sind die Lieblingsband der Schwermütigen. Doch nach dem Tod seiner Familie und einer Trilogie des Abschieds greift Mark Everett nun nach dem Glück. Und lässt sich rasieren

Die Geschichte ist alt, doch man kann sie nicht als gut bezeichnen, denn das wäre unanständig und morbide: Mit 19 Jahren findet Mark Oliver Everett, im Folgenden E genannt, seinen Vater, den vor allem quantenmechanisch hochbegabten Physiker Hugh Everett III, tot im Bett. Vierzehn Jahre später tötet Everetts seelisch kranke Schwester Liz, die gern schrieb und ebenso gern Neil Young hörte, sich selbst. Ihr Abschiedsbrief kündet von der Hoffnung, in einem Paralleluniversum ihren Vater wiederzutreffen, dessen letzter Wunsch es war, dass seine Asche einfach mit dem Müll entsorgt werden möge. Im schaurigen Eels-Song „Elizabeth On The Bathroom Floor“ verlieh E der Schwester anhand ihrer Tagebucheinträge nachträglich eine Stimme, die keinen Aufschub, keinen Ausweg mehr erlaubte: „‚Cause I think that I am going/ To a place where I am always high/ My name’s Elizabeth/ My life is shit and piss.“

Beim bewölkten Eels-Debüt „Beautiful Freak“ machte man sich Sorgen – „Electro-Shock Blues“ aber war dann eines der deprimierendsten Alben seit der Kreuzigung auf Golgatha. Ebenso Thema der Leidensplatte: Everetts Mutter Nancy, die zwei Jahre nach ihrer Tochter an Lungenkrebs stirbt. Ein Jahrzehnt nach diesen Leichenliedern lässt E das brillante und natürlich autobiografische Buch „Things The Grandchildren Should Know“ (im Deutschen gewohnt dümmlich „Glückstage in der Hölle: Wie die Musik mein Leben rettete“ genannt) folgen: Selbstauskunft, Tatsachenbericht, Welterklärung. Davor und danach veröffentlichen die Eels weiter regelmäßig Alben, zum zarten Schmelz und der milden Melancholie kommt bald der schroffe Blues, der wilde Waits-Rock, den viele Menschen beim Hören von Eels-Platten gerne wegskippen. Dazu Comic-Relief-artige, beinahe fröhliche Platten wie „Daisies Of The Galaxy“ oder Doppel-LPs mit 33 Songs („Blinking Lights And Other Revelations“).

Ein widersprüchliches Werk, über das mit Mark Oliver Everett zu sprechen sein wird. Erschreckenderweise nicht in Amerika, sondern in London, zum Glück aber nur zwei Tage und im recht gemütlichen South Kensington, das mich angenehm an den Hamburger Stadtteil Bergedorf erinnert. Bei der Begrüßung deutet E sofort auf meinen Terroristenbart, um belustigt „I used to look like that!“ auszurufen. Heute ist er bartlos, wirkt listig und gewitzt, gibt schnelle, zackige und meist kurze Antworten auf von mir umständlich und lang formulierte Anliegen. Auch wenn eine einzige Frage vielleicht ausgereicht hätte: E, wie hältst du das aus?

Mein liebstes Eels-Album ist, auch nach all den Jahren, noch immer „Beautiful Freak“. Gleichzeitig habe ich die leise Ahnung, dass dir genau diese Platte heute am wenigsten bedeutet, du sie vielleicht fehlerhaft und stark verbesserungsfähig findest.

So ist es. Besonders mit den rockigeren Songs bin ich heute nicht mehr zufrieden. Kennst du die beiden Soloplatten, die vor „Beautiful Freak“ rauskamen? Da sucht auch jemand nach seiner Stimme, hat sie aber noch nicht gefunden. Erst bei „Electro-Shock Blues“ hatte ich den Eindruck, mich auf dem richtigen Weg zu befinden.

Stimmst du mir denn zu, wenn ich sage, dass der neue Song „The Turnaround“ zum Besten gehört, was du jemals verfasst hast?

Lustig. Ein Freund von mir meinte letztens auch, dass das sein liebster Song auf der neuen Platte wäre. Und ich meinte: ‚Hm, das ist vielleicht der, den ich am wenigsten mag!‘ Und er sagte: ‚Das wird der Lieblingssong von allen werden.‘ Vielleicht habe ich ja auch einfach keine Ahnung von dem, was ich tue.

„On The Ropes“ ist auch ein tolles Stück, bei dem ich an den frühen Neil Young denken musste. Deine Schwester hat einen großen Teil ihres Lebens mit Neil verbracht. Was bedeutet er dir?

(Seufzt) Gibt es irgendetwas an Neil, das man nicht lieben könnte? Neil Young ist großartig. Seine Stimme ist … es hat weder vor ihm noch nach ihm wieder jemanden gegeben, der so singt, wie er. Was mich nach wie vor am meisten erstaunt, ist die hohe Wertschätzung, die seine Musik in der Öffentlichkeit genießt. Denn auf dem Papier würde man denken: Der gemeine Musikhörer kann doch unmöglich mit einer derart ungewöhnlichen Stimme zurechtkommen. Aber das ist eben seine ganz besondere Qualität: Er ist von einer anderen Welt.

Stimmt mein Eindruck, dass es sich bei dem neuen Album „Wonderful, Glorious“ eventuell um das positivste aller Eels-Alben handeln könnte?

Ich denke, wenn es bei dieser Platte eine spezifische Botschaft gibt, dann die, dass wir alle uns ein wenig anstrengen müssen, um ein besseres Leben zu führen, physisch und mental. Eine Menge im Leben ist Glück. Aber man kann nicht bloß rumsitzen und aufs Glück hoffen.

Vor allem, wenn man kein Glück hat.

Dann muss man umso härter arbeiten!

Kam eigentlich schon mal jemand auf dich zu und fragte, ob der Albumtitel „Wonderful, Glorious“ ironisch gemeint ist? Also jemand, der möglicherweise nicht darauf geachtet hat, dass bereits das Titelstück ein Liebeslied ist?

Ja, und aus irgendeinem Grund passiert mir das öfter in Deutschland. Wenn ich mal was Lustiges oder Ironisches schreibe, verstehen sie es nicht. Und wenn ich nicht lustig und ironisch bin, denkt man, ich wär’s. Gerade heute kam schon mehrmals die Vermutung: Hey, „Wonderful, Glorious“, das soll sicher ironisch sein! Ich verstehe nicht, wie jemand, der die Platte gehört hat, auf so etwas kommen kann.

Es gibt ja sogar Leute, die behaupten, es wäre kitschig, ein Lied über seinen besten Freund zu schreiben, so wie du es jetzt mit „You’re My Friend“ getan hast. Ist das gegebenenfalls ein Lied über deine Frau?

Ich habe keine Frau!

Entschuldigung.

Vielleicht ist es ja ein Song über meine Band. Das sind ziemlich gute Freunde.

Eine Album-Trilogie, die aus „Hombre Lobo“, „End Times“ und „Tomorrow Morning“ bestand, ist abgeschlossen. Zudem hast du an einer wirklich großartigen BBC-Dokumentation über deinen Vater mitgearbeitet. Und du hast ein Buch geschrieben, das beinahe jeder mochte, mit dem man darüber sprach. Welches von diesen Dingen hat dir am meisten geholfen, mit den familiären Schickssalsschlägen umzugehen?

Das hat alles geholfen. Das Buch zu schreiben, hat mich schon enorm erleichtert. Die Dokumentation war eine großartige Erfahrung, weil ich vorher keine Ahnung hatte, wer mein Vater wirklich war. Ich bin kein Mensch, der gern in der Vergangenheit lebt, und nun muss ich das auch nicht mehr, weil ich mich einmal für eine lange Zeit sehr intensiv damit auseinandergesetzt habe.

War es nicht unglaublich hart, dieses Buch zu schreiben und mit all dem Leid noch einmal konfrontiert zu werden?

Ja. Es war das härteste Projekt, an dem ich jemals gearbeitet habe. Ein ganzes Jahr lang dazusitzen und seine eigene Vergangenheit aufzuwärmen – sehr schwierig. Es gab definitiv Tage, wo ich morgens voller Schrecken aufwachte und dachte: Oh nein, ich bin zurück im Jahr 1998, einem der schlimmsten Jahre meines Lebens. Deshalb ist die Erfahrung, wenn man endlich damit fertig ist, umso bereichernder. Mir hat auch niemand bei dem Buch geholfen. Ich habe das komplett allein gemacht. Und ich plane ganz bestimmt kein neues Buch. Es war zu hart.

Glaubst du, es ist wichtig, seine eigene Familiengeschichte zu kennen, um ein erträgliches Leben leben zu können?

Gute Frage. Ich weiß es nicht. In meinem Fall hat es definitiv geholfen. Mein Vater war immer ein Mysterium für mich. Obwohl ich unfassbar lange im selben Haus wie er gewohnt habe, hat er nie ein Wort über seinen Job verloren. Nun, nach der Dokumentation, ist er zwar immer noch irgendwie ein Enigma, aber jetzt verstehe ich ihn besser als je zuvor.

Bei Everett spielt neben verletztem Stolz, Phantomschmerzen verschiedenster Ausprägung und gescheiterten Beziehungen die Familie auch immer eine Rolle, auf allen Eels-Alben nach „Electro-Shock Blues“. Und zwar nicht dergestalt, dass es weitere Lieder über verstorbene Familienmitglieder gab (oder irgendetwas, das an Updike oder Franzen erinnert), sondern in dem Sinne, dass man sich selbst eine neue Familie sucht – auch wenn es nur eine imaginierte ist. Meine neue Familie bestand fast zwei Jahre lang aus verschiedensten Comic-Charakteren, die ich in den Graphic Novels von Debbie Drechsler, Joe Matt, Seth, Chester Brown und Adrian Tomine fand. Da ich das „Electro-Shock Blues“-Booklet schon seit über zehn Jahren nicht mehr in Händen hielt, bin ich völlig überrascht, als E mich daran erinnert, dass exakt diese fünf Comiczeichner für sämtliche der kleinen Geschichten im Begleitheftchen verantwortlich waren.

Ich versuche, ihm die „Black Hole“-Reihe von Charles Burns ans Herz zu legen, doch E mag keine Bücher über sexuell übertragbare Viren, die Highschool-Schüler dauerhaft entstellen. Stattdessen frage ich Everett, ob er zu Zeiten von „Souljacker“ (unkontrollierter Bartwuchs, Kapuzenpulli, Hund) regelmäßig Probleme an Flughäfen bekam.

Doch, schon. Vor allem habe ich vor vier Jahren Probleme in dem Park da unten (deutet aus dem Fenster) bekommen.

In Kensington Gardens?

Yep. Die Polizei hat mich aufgegriffen. Jemand hatte mich als mutmaßlichen Terroristen gemeldet. Ich hatte damals diesen langen Bart und bin nur im Park spazieren gegangen. Irgendeine stockkonservative Person hat mich angezeigt, nur weil ich so aussah, wie ich aussah. Anscheinend sind hier eine Menge Botschaften in der Nähe, und man hatte Angst, dass ich eine dieser Botschaften in die Luft jage. Fünf oder sechs englische Polizisten, alle bewaffnet, so etwas hatte ich noch nie zuvor erlebt. Letztendlich zeigte ich ihnen den Schlüssel zu meinem Hotelzimmer und sagte: „Ich bin ein Rocksänger, kein Terrorist.“ Sie nahmen meine Personalien auf und ließen mich gehen, aber ich hatte den ganzen Rest der Woche Angst, dass sie urplötzlich mein Zimmer aufbrechen.

Hast du dich in deiner Eigenschaft als Eels-Chef schon einmal ähnlich hilflos gefühlt? So hilflos, dass du alles hinwerfen wolltest?

Es gab eine Menge solcher Momente. „Souljacker“ war ein großes Debakel. „Daisies Of The Galaxy“ war ein großes Debakel. „Blinking Lights And Other Revelations“ war ein großes 
Debakel. „Electro-Shock Blues“ auch. Bei all diesen Platten trat man mir mit einer großen Abwehrhaltung entgegen. Die Plattenfirma, das Management. Das Label, auf dem ich damals war, wollte sich „Blinking Lights“ nicht einmal anhören, geschweige denn veröffentlichen. Ich fühlte mich sehr einsam und es war sehr hart, mit der Arbeit fortzufahren. Damals dachte ich oft: „Okay, this isn’t gonna happen.“

Es ist dann doch noch passiert, und nun sitzt dieser Mann, den man nicht sonderlich sympathisch, schon gar nicht aber unsympathisch finden mag, hier und spricht. Man weiß genau: Er würde heute kein einziges Interview geben, hätte man ihn nicht sanft dazu gezwungen. Und jetzt müssen wir raus aus diesem Hotel und runter auf die kalten, nassen Straßen Londons. Mantelwetter, nicht Jackenwetter.

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