Der Besuch bei der alten Dame

Yoko Ono hält als offizielle Lennon-Botschafterin Hof, um die Welt sicherheitshalber persönlich an das große John-Lennon-Jubiläumsjahr zu erinnern. Von Maik Brüggemeyer

Eine abgedunkelte Hotelsuite am Kurfürstendamm. Auf dem Sofa hockt Yoko Ono – barfuß, blaue Jeans, schwarze Trainingsjacke mit „Berlin“-Schriftzug, Sonnenbrille. „I love Berlin“, sagt sie Begrüßung – da wär man wohl auch allein drauf gekommen. Doch die Künstlerin hat lieber unter Kontrolle, was die Leute so denken. Wäre ja doof, wenn sie etwa das große John-Lennon-Jubiläumsjahr – 70. Geburtstag im Oktober, 30. Todestag im Dezember – verpassten. Deshalb ist die 77-Jährige auf Reklamereise für allerlei neue CD-Veröffentlichungen mit alter Musik – und natürlich für den Weltfrieden, der ist immer „im Gepäck“, wie man so schön sagt.

„Diese Welt ist wirklich auf einem sehr guten Weg, und wir können sie sogar noch besser machen“, sagt sie bestimmt. „Es ist so einfach, sich immer auf die schrecklichen Sachen zu fokussieren, die auf der Welt passieren. Die Menschen sind so deprimiert, weil ihr Journalisten immer all diese Schreckensmeldungen verbreitet. Wir sollten uns mehr auf die schönen Dinge konzentrieren.“ Dürfte mit den 24 Millionen Dollar, die ihr das Lennon-Erbe im Jahr einbringt, ein bisschen leichter sein, diese Übung im positiven Denken. „Imagine six apartments/ It isn’t hard to do/ One is full of fur coats/ The other’s full of shoes“, hat Elton John mal gesungen und John&Yoko gemeint.

Ono ist ziemlich misstrauisch gegenüber Journalisten. Was man ihr auch nicht verdenken kann. Im Begleittext zu der vor zwölf Jahren erschienenen „John Lennon Anthology“ schrieb sie, sie sei nach Lennons Tod von der Presse zur „professional widow“ gekürt worden. Spricht man sie darauf an, wird sie ein bisschen ungehalten, aber die zugewiesene Rolle spielt sie dann doch weiter und verkündet die Botschaft vom heiligen John. Ein bisschen seltsam ist das schon, wenn man bedenkt, dass sie einst alles dafür tat, auch an der Seite des weltgrößten Popstars als gleichberechtigte Künstlerin wahrgenommen zu werden – und das ja durchaus mit einiger Berechtigung, denn ihre 70er-Jahre-Alben sind ja in der Tat um einiges spannender als die ihres Gatten. Damals interessierte sich allerdings niemand für ihre Kunst, weil sie ja im Verdacht stand, die Beatles auseinandergebracht zu haben (was die Fab Four immerhin davor bewahrte, eine Rock’n’Roll-Zirkusnummer zu werden).

War diese eigensinnige Frau, die sich in den Sechzigern nackt in Museumsfoyers legte und sich auf der Bühne die Kleider vom Leib schneiden ließ, wirklich die gewesen, die John Lennon gerufen hatte, als er alle Masken fallen ließ und in den Charts um Hilfe rief – „Help! I need somebody/ Help! Not just anybody“?

„Er war einfach einer der vielen Künstler, die man damals traf“, erinnert sich Ono an das erste Treffen 1966. „Ich wusste nichts über ihn. Aber er war sehr attraktiv, sonst hätte ich mir auch gar nicht die Mühe gemacht, mich mit ihm zu unterhalten. Und er hat alles, was ich ihm erzählte, gleich verstanden. Das war ungewöhnlich, die meisten Typen waren damals etwas schwer von Begriff.“ Sie ahmt ein Lachen nach.

Der Gründungsmythos von John&- Yoko besagt ja, dass sie in einer Nacht im Mai 1968 zusammen ein paar Geräusche aufnahmen und am Morgen erstmals miteinander schliefen. Ein halbes Jahr später erschien „Unfinished Music No.1: Two Virgins“. Auf dem Albumcover waren sie nackt. Dann stiegen sie für den Weltfrieden (nackt?) in einen Sack und entblößten ihre Seelen auf den Alben der Plastic Ono Band. „Wenn du all die Traurigkeit und die schlechten Gefühle unter den Teppich kehrst, werden sie zu Krebs. Wenn du sie ans Licht lässt, verschwinden sie“, sagt Ono. Den zweifelnden Blick des Interviewers versucht sie mit einem mantra-artig wiederholten „it is true, it is true“ abzuwenden. Es ist jedenfalls ohne Zweifel diese emotionale Nacktheit, die an Lennons (und Onos) Werk auch heute noch fasziniert.

Schon mit dem leichtgewichtigen „Mind Games“ ging der Vorhang der Lennonschen Seelenstripshow 1973 allerdings langsam zu, und zwei Jahre später war der nach dem lost weekend geläuterte John zum Hausmann geworden. Vielleicht konnten Nachbarn ihn im Dakota manchmal leise singen hören: „And now my life has changed in, oh, so many ways/ My independence seems to vanish in the haze.“

Während Lennon Brot buk, kümmerte sich Ono um die Geschäfte. Auch über seinen Tod hinaus sorgt sie sich um sein Werk, bringt seine Musik in immer neuen Konfigurationen heraus. „Nun erscheint eine fantastische neue Edition, sie heißt, The Signature Box‘ und enthält alle Alben, die John als Solokünstler veröffentlichte“, beginnt sie gegen Ende unseres Interviews die Ausführungen zu den jüngsten Veröffentlichungen. „Dann gibt es noch eine thematische Box mit dem Titel, Gimme Some Truth‘, die ist wirklich faszinierend. Da sind die Songs geordnet nach politischen Liedern, Liebesliedern, Liedern über sein Leben und den Liedern, die seine musikalischen Wurzeln zeigen. Wirklich unglaublich spannend! Und für die jungen Leute, die Johns Musik noch gar nicht kennen, gibt es die Hits auf einer CD. Das ist ein guter Startpunkt. Außerdem …“

Gerne hätte man ihr in die Augen gesehen, während ihres Vortrages. Mit jeder Minute, die dieses kurze Interview dauert, rückt John Lennon als Künstler und Mensch in weitere Ferne. Es ist offensichtlich, Yoko Ono – die übrigens in diesem Jahr in New York von der Frauenzeitschrift „Glamour“ als „Woman Of The Year“ ausgezeichnet wurde – ist mittlerweile vor allem eine gewiefte Verpackungskünstlerin. Nacktheit spielt in ihrem Werk schon lange keine Rolle mehr – lassen Sie sich von der nun erscheinenden stripped down version des letzten zu Lennons Lebzeiten erschienenen Album „Double Fantasy“ nicht täuschen.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates