Der dunkle Ritter

Noch einmal sang Neil Diamond seine großen Lieder über die Kraft der Liebe, den Zauber der Frauen und das Leben eines Solitärs

MÜNCHEN, OLYMPIAHALLE. Es gibt, von Susan Sontag bis Milan Kundera, viele schöne Theorien über den Kitsch. Am berühmtesten ist Umberto Ecos Definition von der Überhöhung des Kitsches in „Casablanca“ – durch tausend Klischees. In diesem Sinne übersteigt und transzendiert auch die Kunst des Neil Diamond den Kitsch. Gegen Ende seines Konzerts in München sitzt er an einem Bistro-Tisch mit Deckchen und einer Weinflasche. Eine Sängerin aus dem Chor klagt „You Don’t Bring Me Flowers“ – den Part von Barbra Streisand -, und Diamond erhebt sich langsam, geht auf sie zu, singt seine Passage. Am Ende singen beide, innig vereint, und tanzen zur Musik des Orchesters bis ans Ende des Lichts. Ja, das ist Hollywood, das ist Las Vegas, das ist Amerika! Es ist Kitsch, es ist unvergesslich.

Neil Diamond ist einer der letzten Titanen des Show-Geschäfts, und zugleich ist er einer der letzten großen Singer/Songwriter. Seine ersten Aufnahmen machte er vor einem halben Jahrhundert, dann verkaufte er als Komponist im Brill Building die ersten Lieder, „I’m A Believer“ wurde ein Hit für die Monkees, dann folgten von 1967 an die meisten der Stücke, für die er berühmt ist: „Girl, You’ll Be A Woman Soon“, „Solitary Man“, „Sweet Caroline“. Zu Beginn der Siebziger war er ein Superstar, trug Glitzerkostüme und distanzierte sich von der Westküsten-Songschreiber-Szene und den Hippies. Er war ein Romantiker, und er war ein Grübler. In seinem besten Song, „I Am… I Said“, macht er eine große, eine lebensentscheidende Sache aus seinem Umzug von New York nach Los Angeles, von der einen zur anderen Küste. Diese Geschichte, die das Stück sowieso erzählt, schickt er im Konzert manchmal voraus.

1976 produzierte Robbie Robertson „Beautiful Tiqise“, Diamonds Hommage an den Straßenlärm und die Atmosphäre seiner Heimatstadt New York. Bald danach trat er in San Francisco beim letzten Konzert von The Band auf, neben den Gegenkultur-Giganten Bob Dylan, Van Morrison, Neil Young. Mit „Dry Your Eyes“ behauptete Diamond sich.

Die zweite Häutung geschah im Jahr 2005, als Rick Rubin „12 Songs“ produzierte, ein Album ohne Schlock, ohne Streicher, ohne Chöre, ohne Show. Das neue Album, „Home Before Dark“, variiert diese späte Rehabilitation — Diamond ist so froh darüber, dass er für das Booklet sieben Seiten über den einsamen Kampf des Songschreibers verfasste und über das Glück, ein Publikum zu haben.

Das Münchner Konzert beginnt mit Neil und seiner Gitarre: „One More Bite Of The Apple“. Schon vor dem vierten Stück, ausgerechnet „Sweet Caroline“, versagt der kleine Mann im Ohr, durch den Diamond seinen Gesang hören soll. „Ich selbst habe mich oft genug gehört“, versetzt er trocken, während ein Techniker unter seinem Jackett herumfummelt. „You’ll get entertained, one way or another.“ Dann spielt Diamond das Lied auf der akustischen Gitarre, obwohl 14 Musiker hinter ihm bereitstehen. Und wiederholt es mit Band, als die Kalamität endlich gelöst ist. „Holly Holy. „Beautiful Noise“. „Do You Know What I Mean“.

Und dann kommt das Konzert in Schwung, wobei die überladenen Hüftschunkel-Songs nie Diamonds Stärke waren. „Home Before Dark“ wird eingestreut, „Solitary Man“, „I Am.. I Said“ wird sofort beklatscht, „Song Sung Blue“ vom Publikum mitgesungen, auch „I’m A Believer“. Bei „Brooklyn Roads“erzählt er noch einmal die Geschichte von seiner Kindheit in Armut, Schwarzweißfotos und Amateurfilme erscheinen wie im Zeitraffer auf den Videowänden – schwupps, schon ist da der junge Autor. Am intensivsten ist der Vortrag von „Hell Yeah“, dem Rechenschaftsbericht von „12 Songs“. Am Ende faltet Diamond die Hände, breitet die Arme aus, steigt die Rampe zum Bühnenhintergrund hinauf, Nebel wabert auf. Als Zugabe bringt er „Cracklin‘ Rosie“ und die alte „Brother Love’s Traveling Salvation Show“ (das Schiebe-Podium wird zur Kanzel) – ein Showstopper, aber leider auch ein unpassend ironischer Abschied. Vielleicht für immer.

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