Der geniale Durchschnittstyp: Zum 60. Geburtstag von Bryan Cranston

Mit der Darstellung des zum Drogenbaron mutierten Chemielehrers in „Breaking Bad“ schrieb Bryan Cranston Fernsehgeschichte. Doch der wandlungsfähige Schauspieler wurde viele Jahre lang unterschätzt, bis er den Durchbruch feierte.

Es gibt eine Szene aus „Breaking Bad“, die haben TV-Zuschauer wohl nie zu Gesicht bekommen. Sie befindet sich auf der DVD- und Blu-ray-Box zur letzten Staffel der epochalen Spannungs-Serie als „alternatives Ende“. Zu sehen ist, wie Bryan Cranston nach all den Erlebnissen als gewissenloser Drogenbaron in Albuquerque in seiner Rolle als Hal aus „Malcolm Mittendrin“ neben seiner Ehefrau Lois erwacht und ihr schweißgebadet von seinem Traum erzählt. Plötzlich fangen beide wie wild an zu lachen und machen sich über die schwachsinnige Vorstellung lustig, dass er, der unreife, halbstarke, ängstliche Familienvater, tatsächlich zu solchen Taten fähig wäre.

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Diese kleine Sequenz, in der Cranston über diese beiden ausdrucksstarken Männerfiguren sein Talent zum Komischen und zum Wutentbrannten spiegelbildlich einander gegenüberstellt, ist paradigmatisch für das Können dieses begabten Schauspielers, der sich absurd viele Jahre lang mit Nebenrollen in TV-Serien über Wasser hielt (so entführte er als Irrgewordener ausgerechnet Agent Mulder in der sechsten Staffel von „Akte X“) und auch im Kino in Filmen wie „Der Soldat James Ryan“ oder „Argo“ eher am Rande brillierte.

Durchschnittliches Gesicht, einprägsame Stimme

Dem in Kalifornien geborenen Cranston dämmerte allerdings schon recht früh in seinem Leben, dass er auf die große Bühne musste. Nach dem College spielte er in  zahlreichen Theaterproduktionen mit, konnte sich davon aber kaum seinen Lebensunterhalt finanzieren. Seine einprägsame, warme, vielfarbige Stimme, die auch in „Breaking Bad“ mehr als einmal für Gänsehaut sorgt, öffnete ihm allerdings die Tore zu den Synchronstudios. So sprach Cranston allerhand Fernseh- und sogar Animé-Figuren ein. In Erinnerungen geblieben ist davon wenig.

Mit „Malcolm Mittendrin“ gelang dem wegen seines durchschnittlichen Äußeren wohl nie für Charakterrollen ausgewählten Schauspieler dann aber doch noch der Durchbruch – mit 54 Jahren und erneut in so etwas wie einer Nebenrolle. Doch den bis zum Rande der Lächerlichkeit verplanten und sexsüchtigen Hal, der nie und nimmer das Zeug zum Familienoberhaupt hat (diese Funktion nahm ihm die jähzornige Übermutter Lois, gespielt von Jane Kaczmarek, ab), gab Cranston so nuanciert und mit einem unwiderstehlichen Hang zur Albernheit, dass darin der Autoritätsverlust einer ganzen Generation von Männern spürbar wurde.

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Auch wenn die zurecht allseits gelobte AMC-Reihe „Breaking Bad“ natürlich einen völlig anderen Ton anschlägt – und doch zunächst mit dem Bild des jämmerlichen Allerweltsamerikaners spielt, der es sich in seiner Alltagshölle gemütlich gemacht hat -, setzt Cranston mit seiner Darstellung des Walter White dort an, wo er in der langlebigen, gewitzten Sitcom aufgehört hat: Das Bild des untersetzten Trottels, der in Unterhose durch die Wüste rauscht, prägt die Aura dieser Figur. Doch Showrunner Vince Gilligan hatte anscheinend einen Plan, wie er sich das schauspielerische Talent Cranstons zunutze machen konnte, um innerhalb von 62 Episoden die wohl ambivalenteste Darstellung eines Verbrechergenies auszugestalten, die das Fernsehen bis dato gesehen hatte.

Eine Figur, die ihre Skrupel genauso verliert wie ihr Haupthaar

So verliert White mit der fortschreitenden Handlung und dem sich anbahnenden Erfolg als Meth-Kocher bis hin zu seiner Entwicklung als über Leichen gehender Drogenboss von New Mexico schrittweise jede Hemmung. Am Eindrucksvollsten lässt sich diese Entwicklung in der mit existenzphilosophischer Dringlichkeit inszenierten Episode „Die Fliege“ aus der 3. Staffel studieren, in der White geradezu wahnsinnig wird darüber, dass ein ins Labor hineingeratenes Insekt den Herstellungserfolg seines ansonsten lupenreinen Produkts gefährden könnte. Hier zeichnet sich schon in Cranstons herben Gesichtszügen die ganze Grimmigkeit, der bis zum Rande der Neurose reichende Pedantismus ab, der einen begabten Chemiker ohne die richtige Aufgabe zu einen depressiven Lehrer verwandelt, allerdings mit dem richtigen Voraussetzungen die Grundlage zum Bösen schafft.

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Natürlich mögen die abgründigen Drehbücher, die Verknappung des Figurenkarussells auf nur wenige, nicht immer einfach zu deutende Charaktere ihren Teil zum Erfolg der Serie beigetragen haben, doch es ist vor allem Cranston zu verdanken, dass der Zuschauer nie sein Interesse an dieser moralisch hochkomplexen Figur verliert, die mehr als einmal alle Sympathien für das eigene schurkische Meisterwerk aufgrund ihres narzisstischen Antriebs zur Perfektion aufs Spiel setzt.

Inzwischen hat Bryan Cranston auch den Sprung zu den großen Kinohauptrollen geschafft. Vor wenigen Tagen hätte er für seine Darstellung des genialen Autors Dalton Trumbo sogar die Möglichkeit gehabt, einen Oscar zu gewinnen. Doch der Mime nannte sich schon beim Interview auf dem roten Teppich den „glücklichsten Verlierer“ des Abends und gratulierte Leonardo DiCaprio vorauseilend zu der ersehnte Trophäe. Dieser von zärtlicher Ironie durchdrungene Humor kennzeichnet seinen pragmatischen Hang zum eigenen Handwerk und dürfte die geheime Grundlage für Cranstons Wandlungsfähigkeit sein. Heute, am 7. März, wird der Spätberufene 60 Jahre alt.

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