Der Hausmeister

Mit "House Of Leaves" hat Mark Z. Damelewski ein irrwitziges Kultbuch geschrieben. Ein Gespräch zur deutschen Ausgabe

Fangen wir beim Anfang an. Die Einleitung von „Das Haus. House Of Leaves“ kommt sofort zur Sache: „Ich habe immer noch Albträume. Oft sogar – so oft, dass ich mich langsam dran gewöhnt haben müsste. Hab ich aber nicht“, schreibt da ein gewisser Johnny Truant. „An Albträume gewöhnt man sich nicht.“

Dann beschreibt der Tätowierer – nach dem sich später eine reale US-Metalcore-Band benannte -, wie er auf abertausend Blättern und Zetteln, sogar bekritzelten Briefmarken, die von einem gewissen Zampanö verfasste Abhandlung über einen Film fand: „Der Navidson Record“ wurde vermutlich von niemandem je gesehen, vom blinden Zampanö schon gar nicht, doch seine Abhandlung füllt die nächsten 600 Seiten des Buches. Auf Seite 27 dann die erste Fußnote zu einer Fußnote: „Um möglicher Verwirrung vorzubeugen, werden die Anmerkungen von Mr. Truant in einer Schriftart (Courier) abgedruckt, jene von Zampanö in einer anderen (Times). Außerdem möchten wir hier festhalten, dass wir Mr. Truant nie persönlich kennengelernt haben. Sämtliche Fragen zur Veröffentlichung wurden postalisch oder in seltenen Fällen per Telefon geregelt. – Die Herausgeber.“

Falls das so klingt: „House Of Leaves“ von Mark Z. Danielewski ist weder prätenziöse, als Prosa getarnte Konkret-Poesie noch eine Beschäftigungstherapie für Fantasy-Leser. Der Roman ist eher, nun ja, ein Haus, das man bewohnen kann. Und das haben so viele versucht, seit das Debüt des damals 34-jährigen Ex-Literaturstudenten im Jahr 2000 in den USA erschienen ist, das es heute oft als sogenanntes Kultbuch bezeichnet wird, als Beispiel für radikale Typografie und Handlungsführung. Weil solche Bücher manchmal länger brauchen, gibt es „House Of Leaves“ erst jetzt auf Deutsch (Klett-Cotta, 29,90). „Es ist ein schwieriges Buch, ohne Frage“, sagt Mark Z. Danielewski. „Es provoziert Vorurteile, wie auch mein neuer Roman ,Only Revolutions‘. Beide Bücher behandeln nicht explizit Rassismus oder Homosexualität oder so; vielmehr vermitteln sie – dem Auge – etwas total Fremdes. Man sieht das Buch, es ist dick, drinnen läuft der Text kreuz und quer über die Seiten, so dass mancher sagt: .Mir fremd, damit will ich nix zu tun haben.‘ Das ist der erste Impetus, den man Fremdem gegenüber hat. Es ist also eine Übung, eigene Vorurteile zu überdenken-ganzeinfach, indem man sich mit einem Buch befasst, das anders aussieht als die anderen. Dann wird man mit Freude feststellen- hoffe ich -, dass es ein wundervolles Buch ist. Es gibt eine Menge Leute, die gern etwas lesen, das sie herausfordert und aufrüttelt. Für die schreibe ich.“

So wie in fast jedem Film kommt diese Prämisse auch in „Das Haus“ recht früh: „Viele bahnbrechende Entdeckungen sind unbeabsichtigte Nebeprodukte von Experimenten oder Erkundungen.“ Was jeder gleich versteht, der im Gestrüpp der Pop-Moderne zwischen dem Bates Motel aus „Psycho“ und dem Overlook Hotel aus „The Shining“, zwischen Soundgarden und „Naked Lunch“ hin- und hervagabundiert. Wie „Zettels Traum“ von Arno Schmidt? Nein. Griffiger.

Das Buch ist eine Sensation, durch die Verschachtelung der Kulturgut

Stimmen, aber auch typografisch zieht es einen mit in den Wahnsinn. Nicht nur, weil es verblüfft, dass Mark Z. Danielewski die Arbeit daran zehn Jahre lang durchgezogen hat, sondern weil es sogar einen Verleger fand. Joyce on amphetamines“, so lautete das Verdikt im „Observer“. „Ein Roman, durch den die meisten anderen bedeutungslos werden“, sagte Bret Easton Ellis. „Man kann sich vorstellen, wie Thomas Pynchon, J.G. Ballard, Stephen King und David Foster Wallace vor Danielewskis Füßen niederknien, sprachlos vor Bewunderung, überrascht, lachend, hin und weg.“

Die Zukunft hat begonnen, und „Das Haus“ ist ein Paradebeispiel für den von Jeff Noon kurz nach dem Millennium eingeforderten Post-Future-Roman. Nicht die Weigerung zu erzäh len, sondern ein Umgang wie bei einem DJ. Oder Cutter. „Die Arbeit des Kameramanns, auch des Cutters und des Regisseurs haben mich stark beeinflusst. Mein Vater hat viel beim Film gemacht „No Exit“, bei dem Tad Danielewski Regie führte, wurde igölfür einen Goldenen Bären nominiert, die Red.), und schon als wir Kinder waren, hat er uns bewusst gemacht, dass bei Filmaufnahmen, auch in den Nachrichten zum Vietnam-Krieg, immer jemand hinter der Kamera ist.

Dass stets jemand entscheidet, was wie gezeigt wird. ,Das Haus‘ begann im Grunde mit Essays, in denen ich versuchte, die Grammatik von Film – mit Close-ups, Ausschnitten, auch Soundtrack – auf Erzählweise mit Wörtern zu adaptieren.“

Analog dazu ist das Buch weniger von „Finnegans Wake“ oder verzettelten Aibträumen beeinflusst als von den multiplen Stories in „Pulp Ficton“, den Zwillingen in „The Shining“, gefangen im verwunschenen Overlook Hotel, wo unsichtbar eine Mommy wie aus „Psycho“ wirkt, wo die Angst vor der Angst an „The Blair Witch Report“ erinnert. Und das Nichts nach außen gekehrt wird wie in „Mulholland Drive“. Wie also würde Danielewski eine Verfilmung besetzen?

Bei den genannten Referenzen muss er lachen: „Genau deshalb bin ich gegen eine Verfilmung: Ich habe ganz bewusst nicht präzisiert, wie die Charaktere aussehen. Ob Truant aussieht wie Kevin Costner oder Bruce Willis. Der Film soll im Kopf des Lesers ablaufen, jeder soll das hineininterpretieren, was er in sich selbst trägt.“

Und nach einem kurzen Zögern sagt er etwas, das der amtliche Beweis dafür ist, dass Mark Z. Danielewski mehr ist als ein mit Gimmicks protzender Trickspieler. „Vorstellungskraft ist für das Funktionieren einer Gesellschaft notwendig. Und wir dürfen diese Gabe nicht vernachlässigen, wir müssen in Übung bleiben. Solange man seine Vorstellungskraft aktiviert, ist man prinzipiell dazu fähig, sich auszumalen, wie es ist, jemand anders zu sein. Von da kommt Empathie, und das ist der Kleister, der Gesellschaften zusammenhält. Filme nehmen viel von dieser Fähigkeit. Deshalb ist Lesen sehr, sehr wichtig.“

Ein Moralist? Ein Erbe Poes, also Edgar Allans. Zugleich der Bruder Poes, denn so nennt sich seine Schwester, die Sängerin, mit der er sogar schon auf gemeinsamer Tour war. Post-Future-Romancier? Er selbst sagt es so: „Ich mache keine süßen Schoko-Riegel, ich mache Energy Bars. Nicht für den kleinen Appetit zwischendurch. Meine Leser sind Leute, die sagen: ,Ich will die Ärmel hochkrempeln, ich will diesen Berg besteigen, den Fluss aufwärts schwimmen. Ich will was machen, das mir einen Kick gibt.'“

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