Der idealistische Blues

Die kalifornischen Cold War Kids wandeln mit ihrem neuen Album musikalisch auf den Spuren von Tom Waits und beschäftigen sich in ihren Texten mit Formen des menschlichen Zusammenlebens.

Vor zehn Jahren, als Matt Maust, Bassist der bluesigen Indierocker Cold War Kids, mit dem Rucksack und seinem Bruder in Osteuropa unterwegs war, besuchte er den Denkmalpark in Budapest, eine Art Friedhof steinerner Statuen aus der Sowjet-Ära. „Wir kauften Wein und Käse und machten ein Picknick auf Stalins Fuß“, erinnert er sich. „Ich dachte: ‚Wir sind Kinder des Kalten Kriegs.‘ Jeder über 20 hat diese Zeit erlebt. Und ich finde, der Name erklärt, worum es dieser Band geht. Wir kreieren Hintergründe, in die man jedes beliebige Motiv einbauen kann.“

Als die Cold War Kids sich 2004 formierten, da imitierte ihr Leben schon mal die Trostlosigkeit des Daseins hinter dem Eisernen Vorhang. Bassist Maust, Sänger Nathan Willett, Gitarrist Jonnie Russell und Drummer Matt Aveiro wohnten in einem baufälligen Haus in Whittier, einem Vorort von Los Angeles. Sie arbeiteten für einen Klamottenladen, was sie nicht reich machte, aber immerhin mit Gratiskleidung versorgte.

„Unsere Band operiert immer schon mit einer Kommunenmentalität“, sagt Willett. „Wir mussten immer aufeinander aufpassen. Wir teilten uns die Miete. Wir waren gemeinsam absolut nichts, und dann wurden wir gemeinsam eine sehr erfolgreiche Band.“ Der Erfolg kam schnell. 2005 veröffentlichten sie ein paar EPs, und die Blogosphäre stand Kopf. Plattenfirmen standen Schlange, aber die Cold War Kids entschieden sich für das Indielabel Downtown Records (das Label von Gnarls Barkley und Art Brut), das 2006 ihr exzellentes Debüt „Robbers& Cowards! veröffentlichte.

Zu Stones-artigen Riffs und Garagenrock-Beats erzählte Willett packende Geschichten von Vergewaltigern, Säufern, Männern, die aus dem Klingelbeutel in der Kirche stahlen, Kriminellen auf Prügeltour und Sonderlingen, die auf den Tod warteten. „Alle sagten immer: ‚Ihr seid so düster’“, sagt Willett. !Aber ich glaube, wir sahen das nie so. Düster kann eine Million Sachen bedeuten.“

Auf ihrem neuen Album „Loyalty To Loyalty“ werden die Kids noch ein Stück düsterer. Viele bluesige Klagelieder. Und das rohe Gitarrenspiel, die skeletthafte Schlichtheit erinnern an „Swordfishtrombones“ von Tom Waits. „Diese Songs atmen viel mehr“, sagt Maust. Und Willetts Stories sind noch tragischer geworden. Da gibt es gibt eine Frau, die überlegt, ob sie sich von einer Brücke stürzen soll („Golden Gate Jumpers“), ein Mädchen, das von seinem gewalttätigen, tätowierten Freund besessen ist („Every Man I Fall For“), und junge Aufsteiger, die für die Karriere zu allem bereit sind („Welcome To The Occupation“). Seine Texte seien wesentlich beeinflusst von den Philosophien zweier radikal gegensätzlicher Denker, sagt Willett: von Ayn Rand (Autorin von „Der Ursprung“) und ihren Theorien zum Individualismus sowie dem aus Kalifornien stammenden Idealisten Josiah Royce, der Ende des 19. Jahrhunderts in Harvard und Berkeley lehrte und ausführte, weshalb Menschen sich loyal zueinander verhalten müssten.

„Für Royce war das Segensreichste, was man als Teil eines Stammes oder einer Stadt oder einer Zivilisation tun konnte, gegenüber den Leuten um einen herum loyal zu bleiben“, erklärt Willett. „Auf gewisse Art war seine Perspektive sozialistisch. Und in der heutigen Zeit ist es sehr hilfreich, darüber nachzudenken, wie lange unser Land schon gegen vermeintlich sozialistische Segnungen wie eine allgemeine Gesundheitsfürsorge kämpft. Die Gruppe muss nun mal auf sich selbst achten.“

Zuletzt probten die Cold War Kids für eine viermonatige Tour als Headliner und ließen es dabei ganz entspannt­ angehen. Die letzten Tage verbrachten sie am Pool von Willetts Mutter in Los Angeles. Willett ergatterte derweil bei Ebay eine Rarität: eine klassische Fender Telecaster, das gleiche Modell, das auch Jonny Greenwood von Radio­head spielt. „Ich bin ein ziemlich genügsamer Mensch2, sagt Willett. „Aber die Gitarre wollte ich mir gönnen. Ich bin total begeistert davon, ich liebe klassisches altes Equipment. Sie war ziemlich teuer, aber wir haben inzwischen ja das Glück, dass ein bisschen Geld reinkommt.“

Kevin O’Donnell

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