Der kleine Hunger

Literatur als Zigarrettenschachtel-Roman und Automaten-Lektüre

Durch welche Zeitung man auch blättert, überall Krampf und Krise: Vom Aufmacher über die Wirtschaftsseiten bis zur Wetterkarte. Die Deutschen sind, so schlaumeiert es aus allen Ecken, Europameister im Trübsalblasen. Die Litanei zu Schlechtwetterlage, Agenden und Reförmchen: An dieser Stelle wird sie nicht noch einmal angestimmt. Hingewiesen sei nur darauf, dass es bei der Kosten-Nutzen-Inventur von Nachkriegserrungenschaften auch den Schönen Künsten an den Kragen ging. Man denkt und dichtet über den Tod der distinguierten Literaturrezeption, greint über die „Eventisierung der Kultur“, weint über Verpoppung allgemein. Das Fernsehen ist Schuld, das Abendland auf den Hund gekommen, so der zum x-ten Mal recyclete Befund der alten Garde. Doch etwas so Altmodisches wie das gedruckte Wort kann mehr bewegen als nur das schüttere Haupt der Gralshüter.

Neue Macher treiben im Verlagswesen ihr Unwesen. Sie haben keine Angst vor Marketing und Verkäuflichkeit. Vom hohen Ross der Leit- und Leid-Kultur müssen sie gar nicht erst klettern: „Unsere Wurzeln liegen in der Comic- und Punkszene, im alternativen Literaturraum der 90er Jahre, in Sci-Fi und Pop“, so Marc Degens. Als einer der drei Su-KuLTuR-Macher ist Degens mit Leseheften einfach auf die Straße gegangen, vor allem auf Bahnsteige. Seit Anfang des Jahres kann man für 1 Euro Lesehefte ziehen – in Berliner Süßigkeiten-Automaten. Was geboten wird, ist Fun und Punk; nicht immer leichtverdauliche Kost von erfahrenen Gegen-den-Mainstream-Schwimmern wie Hel, aber auch von semi-etablierten Leuten wie Ex-„Spex“-Chef Dietmar Dath oder Enno Stahl, der schon vor Jahren im Kölner Krash-Verlag Kopfkissen-Kurzkrimis präsentierte. Alles geprägt von Punk und Postmoderne, abgeklärt und streetwise, durchaus vergleichbar mit dem Schaffen solcher Übersee-Sensationen wie Zadie Smith, Dave Eggers und dessen Lit-Zine „McSweeney’s Quarterly Concern“, das mal mit CD ankommt, dann – zusammengehalten von Gummibändern – Jonathan Lethem, Rick Moody, Haruki Murakami und andere vereinigt. Das Medium ist Teil der Message, und Marketing ist Teil des Mediums. SuKuLTuR-Verlagsleiter Frank Maleu: „Automatenaufsteller sind hart – denen geht es um Mengen und Margen. Der Vorteil gegenüber dem Fabrikanten eines neuen Schokoriegels oder Fruchtbonbons ist, dass die Kunden dazu tendieren, ein Buch zusätzlich zu der Süßigkeit zu kaufen. Der Umsatz ist mehr als nur ermutigend: Den Verlag gibt’s seit fast zehn Jahren, das erste Leseheft haben wir 1996 gemacht, doch seit Februar haben wir an die 5000 Lesehefte verkauft etwa das Zehnfache von dem, was vorher ging.“ So ein Umsatz ist auch für die Automatenaufsteller interessant: „Um Ideologie oder Kulturvermittlung geht’s denen nicht“, so Maleu, der nebenbei Jura studiert und als Steuerfachgehilfe arbeitet. Zurzeit laufen Tests auf DB-Bahnhöfen – und so kann sich vielleicht schon bald jeder ein Automatenbuch ziehen.

Mit 16 bis 24 Seiten sind die SuKuLTur-Lesehefte geradezu Wälzer mit epischen Proportionen, vergleicht man sie mit den Zigarettenromanen des Verlags blumenbar (www.blumenbar.de). Reclam arbeitete schon 1912 mit Buchautomaten, Rockoper-Dichter und Szene-Urgestein Bert Papenfuß erinnert sich an in Zigarettenautomaten vertriebene Kurzkrimis von Roth-Händle und blumenbar vertreibt nun also Zigarettenromane. In ihrem Programm setzen die Köpfe des Münchner Start-ups – Wolfgang Farkas und Lars Birken-Bertschauch auf Autoren jenseits von HandkeGrassWalser: FX Karl geht es in „Starschnitt“ um Celebrity- und Medien-Overkill, in „Memomat“ um Rock versus Pop. Marias Faldbakkens „The Cocka Hola Company“ entwickelt sich zum Szenehit, und mit Hunter S. Thompsons „Rum Diary“ (noch nicht erschienen) hat blumenbar einen Fang gemacht, der auch bei alteingesessenen Kollegen für Respekt sorgt. Jeder Kulturpessimist, der mit Abgesängen auf das Abendland seinen Zweitwohnsitz in der Toscana finanziert, müsste ihnen entgegenrufen: Ja, lest ihr denn keine Zeitung? Wie kann man in Krisenzeiten einen Buchverlag machen? Sie können es, sie machen es, und sie machen es anders – mit coolen Büchern, einer CD, auf der Sefid Sout aus Wondratscheks „Leaving Chuck’s Zimmer“ liest – und eben mit Zigarettenromanen, erzählerischen Vignetten, für die etablierte Autoren wie Maxim Biller, Doris Dörrie, Wladimir Kaminer und andere 2500 Anschläge ablieferten. Das versetzt zwar keine Zauberberge, sorgt aber für ganz andere Verbreitungskanäle des gedruckten Wortes.

Keine Ideologie, keine hehren Werte, sondern die Einsicht, dass man mit minimalem Aufwand maximale Wahrnehmung erreicht, wenn man seine Sache mit Pfiff macht

MuSlkbÜCher von Wolfgang Doebeling „Nina Simone – Break Down And Let It All Out“ (Sanctuary, ca. 28 Euro) von Sylvia Hampton und David Nathan ist eine rührend persönliche und nicht nur als solche furchtbar allmodische Biografie. Geschrieben aus dem Blickwinkel der Bewunderung. Das Autorenpaar, Schwester und Bruder, leiteten als Teenager seit den 60er Jahren den UK-Fanclub dieser launigen Diva und berichten direkt aus dem Inner Sanctum: der Garderobe. Dort pflegte die Sängerin periodisch abzuheben, durchzudrehen und zu einem Häufchen Elend zu schrumpfen. Bemerkenswert, mit welchem Verständnis und nie wankender Loyalität prekäre Situationen erklärt und entschuldigt werden. Trauerfälle, Scheidung, der ewige Kleinkrieg mit dem Finanzamt, alles muss herhalten, um Simones seelische Schieflagen und die schwankende Qualität ihrer Auftritte und Platten in ein mildes Licht zu tauchen, so anekdotenreich wie episodenlastig. Zu kurz kommt dabei die Vorgeschichte, das musikalische Wirken und Werkeln an der Sollbruchstelle zwischen Jazz und Pop. Ein erhellendes Buch dennoch, liest man es als Apologie des Fan-Seins. 3,0 „Blowing The Blues“ (CkarBooks, ca. 30 Euro) von Dick Heckstall-Smith und Pete Grant ist untertitelt mit „Fifty Years Of Playing The Blues“ und ist die Autobiografie des legendären, inzwischen 69-jährigen Saxofonisten, der wie wenige den Britblues prägte, an der Seite so namhafter Musiker wie Sandy Brown, Graham Bond, John Mayall und Jon Hiseman. Die lineare, logische Erzählweise ist freilich Heckstall-Smiths Sache nicht. Er palavert drauflos, geistreich und unterhaltsam, streift das Faktische wie Orte und Zeitpunkte, um dann den Fokus auf Charaktere zu lenken, auf bisweilen skurrile Erlebnisse. Der Beitrag seines Managers Grant liest sich vergleichsweise prosaisch, obschon sein Kapitel „Managing A Maestro“ bei aller Ironie mehr verklärt als klarstellt. Am Ende steht das Bild eines Künstlers., ohne dessen leffist views und leftfield music einiges anders gelaufen wäre im britischen Blues und Jazz. 3,5 „Rumours And Lies – The Fleetwood Mac Story“ (Omnibus/Bosworth,ca. 14Euro)von Bob Brunning ist die bereits dritte, aktualisierte Auflage der Bandgeschichte aus Sicht ihres ersten Bassisten. Eine Position, die erfreilich nach kürzester Zeit an John McVie abtreten musste. Weshalb Macs formative Jahre detailliert nachgezeichnet werden, spätere Phasen eher grob und distanziert. Peter Green und Jeremy Spencer kommen, trotz diverser Nackenschläge, gut weg. Die Protagonisten der LA-Seifenoper als eher schillernde, flatterhafte Wesen. Zwischen den Zeilen, denn Brunning bleibt seltsam neutral. 3,0 „Anarchy In The UK – The Stories Behind The Anthems Of Punk“ (Carlton, ca. 25 Euro) von Steven Wells ist eine adäquat großmäulige, rotzlöfflige und dabei kenntnisreiche Werkschau der Punk-Ära. Als langjähriger NME-Schreiber weiß „Swells“, wie ihn die Kollegen nicht von ungefähr nannten, um die Spezifika der Szene-Lingo, um die Produktionsbedingungen dieser Platten und um Interna in den konkurrierenden Camps. Laut, bissig, anarchisch und randvoll mit britischem Humor der Sorte extradry: a good laugh. 3,5 „Rotten: No Irish, No Blacks, No Dogs“ (Plexus, ca. 22 Euro) von John Lydon ist auch wieder da: süffisant-sarkastische Memoiren eines Mannes, der auszog, das Fürchten zu lehren. Weil er schon als Kind nur irischer Underdog war. Weil er begriff, dass bellende Hunde nicht beißen müssen, um respektiert zu werden. Und so heulte und knurrte Johnny und fletschte die Zähne, bis sie ausfielen. Zuletzt sah man ihn im UK-TV als englisches Pendant zu Costa Cordalis in der dortigen Dschungel-Camp-Serie „Ich bin ein Depp, holt mich hier raus“. The king is gone and best forgotten… 3,0 „PiCture This“ (Sanctuary, ca. 4S£uro>on Mick Rock ist eines jener raren Fotobücher, die keinen Text brauchen, keine Deskription, keine Interpretation. Der Fotograf war am rechten Ort zur rechten Zeit. New York City, 1976 folgende. Dort, in den Clubs von Soho und der Lower East Side, passierte etwas, das danach schrie, abgelichtet zu werden. Doch wie visualisiert man kulturellen Aufbruch? Rock fand dafür eine fotogene Band und das sinnlichste Gesicht seit den Glamour-Zeiten Hollywoods. Blondie im CBGB’s, Debbie Harry beim Verschlingen der Kamera. Coolness und dekadenter Chic. Und Sex, der so unterkörperlos war, der nur aus diesem schönen, obszönen Bermuda-Dreieck aus Lippen, Augen und Wangenknochen sprach, dass Debbie auf Rocks „Penthouse“-Cover, ein Novum, nur Hände und Gesicht unbekleidet zeigt. Packende Porträts, atmosphärische Bilder, 150 davon bisher unveröffentlicht, mit DVD. 4,5 „The White Stripes – Sweethearts Of The Blues“ (Backbeat, ca. 22Euro)von Denise Sullivan entstand ohne Mitwirkung von Jack & Meg, ist aber dennoch kein läppischer Cut & Paste-Job. Die noch immer weitgehend im Dunkeln liegende Frühgeschichte in Detroit wird ein wenig erhellt, die musikalischen Belange werden eher mühsam behandelt, der Hype-Verdacht nachhaltig entkräftet, immerhin. Aber den hatten ja eh nur die Ahnungslosen. 3,0

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates