Der längste Monolog – zum Tod von Dieter Hildebrandt

Wo immer in der Kneipe, auf einer Parkbank oder bei einer Feier jemand den Gedanken ihren krausen freien Lauf lässt, da wird man an den genialen Sophisten und Haspler denken. Zum Tod von Dieter Hildebrandt, dem größten Kabarettisten der Bundesrepublik.

Der immer wieder mal ausgerufene „Abschied von der Nachkriegszeit“ ist nun tatsächlich gekommen – mit dem Tod des Mannes, der seit den 50er-Jahren mit seinen stolpernden, abschweifenden, zögernden, verräusperten und sich verheddernden Monologen die Suada der Bundesrepublik sprach. Dieter Hildebrandt war der bedeutendste Kabarettist dieser Jahrzehnte – aber er war vor allem ein großer Stilist und Schauspieler, dessen Bühnen-Persona mit dem Privtatmenschen beinahe deckungsgleich war: hastig, aufgeregt, fassungslos, empört und ironisch zugleich. Die Stimme Hildebrandts kommentierte in der Münchner Lach- und Schießgesellschaft, den „Notizen aus der Provinz“, den Programmen mit Werner Schneyder und zuvorderst im „Scheibenwischer“ die Gesellschaft, und man wird niemals diese nervöse Gestalt mit der eckigen Brille und dem Scheitel vergessen, die so enervierend und unerbittlich das politische Geschehen geißelte, in Farbe und Schwarzweiß, immer nur dieser Redner, Rhetor, Retter, vielleicht noch Konstantin Wecker im Hintergrund am Klavier, die verschachtelten Sätze, die verdrucksten Pointen, das ganze Mühen und Würgen des absurden Menschen.

Dieter Hildebrandt sah sich selbst als „ordentlichen Bürger“, heiratete nach dem Tod seiner Frau Ingrid noch einmal, wohnte still in Waldperlach bei München, las gern viele Tageszeitungen, schaute Fernsehen, reiste aber auch bis in die letzten Jahre gern mit seinen Programmen umher. Er war ein Vertriebener, wie man so sagt, geboren am 23. Mai 1927 im schlesischen Bunzlau, Flakhelfer, dann Soldat bis Kriegsende,; in der Oberpfalz fand er Eltern und Bruder (der Journalist wurde) wieder. Er holte 1947 das Abitur nach; von der Otto-Falckenberg-Schule wurde er abgelehnt, nahm dann aber privaten Schauspielunterricht; an der Münchner Universität belegte er Literatur- und Theaterwissenschaft  und Kunstgeschichte, lernte am Theater „Die kleine Freiheit“ Erich Kästner und Werner Finck kennen, machte Studentenkabarett („Die Namenlosen, „Die Seminarristen“), gab seine geplante Dissertation auf und gründete 1956 mit dem Sportreporter Sammy Drechsel die Lach- und Schießgesellschaft. Ihre Programme wurden im Rundfunk und im Fernsehen übertragen, die Truppe ging von 1962 an auf Tournee. Bezeichnenderweise löste sich das Ensemble 1972 auf, als Willy Brandt zum zweiten Mal Kanzler wurde: Die Tage des Spotts waren vorbei. Und kamen 1976 wieder, als Drechsel die Kameraden neu formierte, Hildebrandt aber nicht mehr festes Mitglied wurde.

Längst hatte er die „Notizen aus der Provinz“ im ZDF etabliert, eine Verquickung von Nachrichtenmaterial und inszenierten Aufnahmen und damit Vorbild für so viele spätere satirische Formate. Intendant Dieter Stolte setzte die Reihe vor dem Bundestagswahlkampf 1980 ab, weshalb Hildebrandt zur ARD wechselte und den „Scheibenwischer“ gründete, seine berühmteste Schöpfung. Mit dem Doyen traten vor Publikum Kabarettisten wie Gerhard Polt und Bruno Jonas auf, Hildebrandt mäanderte durch seine Bewusstseinsströme. Nach dem Atom-Unfall von Tschernobyl im Mai 1986 sendete der Bayerische Rundfunk eine Ausgabe nicht – der Gipfel der Satire. Zur selben Zeit triumphierte Hildebrandt als Fotograf Herbie in Helmut Dietls „Kir Royal“: Er stammelte einfach seine bekannte Rolle weiter.

Im Jahr 2003 gab Dieter Hildebrandt die Leitung des „Scheibenwischers“ an Matthias Richling weiter und trat nur noch als Gast auf. Als Richling indes 2009 die Sendung für sogenannte Comedians öffnen wollte, entzog der Altmeister der ARD den Titel „Scheibenwischer“. Es wurde der „Satire Gipfel“ daraus – ohne Bindestrich. Unverzagt spielte Dieter Hildebrandt seine Programme an 150 Abenden im Jahr, reiste per Bahn, schrieb Bücher und sprühte in Talk-Shows noch immer Funken, indem er sein Alter und seine Zeitgenossenschaft ins Feld führte.  2011 spielte in Helmut Dietls „Zettl“ noch einmal den Herbie – die einzige zurechnungsfähige Figur des überkandidelten Films. Mit Senta Berger sah er gelassen die Berliner Republik, die ihm egal geworden war. Bei aller Nervosität und allen Sprachticks war der alte Dieter Hildebrandt frei und gelöst wie ein Narr: Er lachte jetzt herzlich, wo er früher eine Sottise erzählt hätte.

Es hätte diesem sarkastischen Sprachkünstler gefallen, dass sueddeutsche.de heute vermeldete: „Dieter Hildebrandt: Ich bin ja noch nicht tot.“ Und wenn der Mann Dieter Hildebrandt auch im Alter von 86 Jahren an Krebs starb, so ist sein ewiger Monolog natürlich nicht totzukriegen: Wo immer in der Kneipe, auf einer Parkbank oder bei einer Feier jemand den Gedanken ihren krausen freien Lauf lässt, da wird man an den genialen Sophisten und Haspler denken.

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