Willander Sieht Fern

Der verschweigt was – Arne Willander über „Kommissarin Heller“

Das Frauenbild wandelt sich, doch die Leidenschaften bleiben im Fernsehkrimi dieselben: Lisa Wagner spielt im ZDF trotzig die "Kommissarin Heller"

Wir haben Ellen Lucas, Bella Block und Lena Odenthal, und im skandinavischen Raum ermitteln Kommissarin Lund, Maria Wern und Irene Huss. Während die Polizistin an sich in Deutschland eine Einzelgängerin ist (und meistens mit dem Beruf verheiratet), tendieren dänische und schwedische Serien dazu, die Unvereinbarkeit von Dienst und Privatleben als Subplot zu integrieren. Unvergesslich, wie Sofie Gråbøl sich deprimiert anhört, dass ein Bäumchen in ihrem winterlichen Vorgarten erfroren ist – und vor den botanischen Ausführungen zu ihren ebenfalls deprimierenden Amtspflichten flüchtet. Iben Hjejle erliegt in der dänischen Serie „Anna Pihl“ (nicht als Anna Pihl) den Schmeicheleien eines schmierigen Drogenhändlers, der ihr eine Welt jenseits von Under-cover-Arbeit und Haushalt eröffnete (Champagner, Kokain, Sex). Die Ermittlerinnen sind melancholische, grenzgängerische Gestalten, die stets am Rand der Überforderung und des Nervenzusammenbruchs operieren.

Im „Tatort“ sehen wir aber junge Polizistinnen als gut ausgebildete, tüchtige und forsche Analytikerinnen, die den älteren Kollegen mit den Kenntnissen der Generation Maybe zusetzen: Aylin Tezel in Dortmund, Nora Tschirner in Weimar und Johanna Stern in Ludwigshafen bestechen mit der Wendigkeit, der Tatkraft und dem Optimismus ihrer (späten) Jugend, sie sind noch von keinem Zweifel angekränkelt. Lisa Wagner als „Kommissarin Heller“ am Samstagabend dagegen ist als klassische Borderline-Figur angelegt: hartleibig, mit burschikosem Kurzhaarschnitt und Kapuzenjacke, aber von einem Vater-Trauma verfolgt und mit Verachtung für die schwache Mutter. Phänotypisch wie im Habitus ähnelt Lisa Wagner ihrer Kollegin Maria Simon, die beim „Polizeiruf 110“ im Brandenburgischen tätig ist.

In „Querschläger“, dem dritten Film der ZDF-Reihe, schreckt Winnie Heller immer wieder davor zurück, das Grab der Schwester zu besuchen; die Landschaft um den Friedhof sieht aus, als wäre es ein Idyll am Meer, obwohl die Serie in Wiesbaden spielt. Seltsam losgelöst sitzt die Psychotherapeutin Dr. Jacobi (Lena Stolze) in ihrem geräumigen Büro, wo Heller – deren Therapie eigentlich abgeschlossen ist – ihr aufmüpfig Gegenfragen stellt. Die Kommissarin ist eine Frau, die nichts mehr zu verlieren hat. Einmal wird sie in einer Wohnung im Halbdunkel bei hastigem Sex mit einem Kollegen beobachtet, den sie in der Kneipe getroffen hat und der ihr sonst eher lästig ist.

Zur Seite steht der mürrischen Polizistin der muffige Kollege Hendrik Verhoeven, den Hans-Jochen Wagner (Lisa Wagners Ehemann) mit der patentierten Brummbär-Wuscheligkeit spielt, die man seit „Sie haben Knut“ von ihm kennt. Verhoeven ist verheiratet mit der etwas zu schönen und dominierenden Silvie (Nina Kronjäger), ist Vater einer pubertierenden Tochter, und das Eigenheim oberhalb der Gehaltsklasse eines Kommissars haben die Schwiegereltern bezahlt. Als Heller sagt, er habe doch alles, explodiert die Frustration eines Mannes, der im Haus nicht mehr recht gebraucht wird und der nicht Herr seines eigenen Lebens ist. Die Konstellation entspricht etwa der von Sofia Helin und Kim Bodnia in „Die Brücke“ – doch niemals entstehen die bizarren Dialoge und der zarte Wahnwitz in dieser Zwangsgemeinschaft. Tranig und unlustig schleppen sich die beiden Wagners durch den Pflichtfall.

„Querschläger“ erzählt vom vermeintlichen Amoklauf eines fehlgeleiteten Schülers, drei Menschen werden an der Schule erschossen. Nicholas hatte eine Rachebotschaft fürs Internet aufgezeichnet, er malte Gewaltfantasien, und jetzt ist er verschwunden.  Heller fordert einen Freund des Verdächtigen, in dessen Zimmer ein Keyboard steht, spontan auf: „Spiel doch was für uns. Alles außer Chopin.“ Der klimpert ein paar Töne. Nachdem sie gegangen sind, sagt Verhoeven tatsächlich die erste aller Krimi-Stanzen: „Der verschweigt irgendwas.“ Heller ruft auch mal „Scheiße!“ und „Fuck!“ zum Zeichen dafür, dass sie jung und unkonventionell ist, und fragt beim Verhör: „Willst du mich verarschen?“ Der befragte Schüler bemerkt keck: „Sie sind doch selbst noch nicht lange aus der Schule raus.“

So wechselt die knarzende „Derrick“-Dramaturgie mit frivolen Ausbrüchen und trübsten Klischees. „Trauen Sie ihm so was zu?“, fragt Heller die zerknirschte Mutter. Die erwidert:  „Welche Mutter traut ihrem Kind so etwas zu?“ Heller rät: „Am besten, Sie besorgen sich eine Trillerpfeife für die Anrufer.“ Der Polizeichef sagt: „Für mich ist das ein klares Schuldeingeständnis“ – deshalb weiß man, dass der Schüler es nicht war.
Der Kunstlehrer war’s. Also eigentlich die Schülerin, mit der er „eine Affäre“ hatte, die seine Ambitionen gefährdete: „Die blöde Kuh, die war doch total übergeschnappt!“

Die Kommissarinnen mögen sich wandeln, doch die menschlichen Leidenschaften bleiben im Fernsehkrimi immer dieselben.

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