„Der weiße Hai“ erobert die Leinwände: „Jaws“ wird 40

Mitte der Siebzigerjahre regierte „New Hollywood“ das Kino. Regisseure wie Martin Scorsese, Peter Bogdanovich, Roman Polanski und William Friedkin schufen Filme ohne Happy End und voller Antihelden. Diese Figuren wagten entweder doppeltes Spiel, wie Jack Nicholson als Detektiv Jake Gittes in „Chinatown“, oder waren Kriminelle, die mit der Pistole große Pläne verfolgten und im Stillen unter ihrer Impotenz litten (Warren Beatty in „Bonnie und Clyde“). Harte Stoffe, die amerikanische Träume und Traditionen in Frage stellten, aber stets realistische Ausgangssituationen lieferten.

Und inmitten dieser Filmwelten eroberte sich eine neue Hauptfigur ihren Platz. Aber kein Mann, sondern ein weißer Hai. In einer der beeindruckendsten Szenen des Kinos wuchtet er sich aus dem Meer und auf ein Fischerboot, und dank der Last seines Körpergewichts macht er den Kutter zu einer Rutsche – auf dass alles Verwertbare, vor allem Frischfleisch, in sein Maul gleitet. Kommt der Mensch nicht ins Wasser, kommt der Fisch halt zu ihm. Völlig gaga, diese Attacke könnte im wahren Leben nie passieren – und doch war der Angriff großartig anzusehen.

Mit Steven Spielbergs „Der weiße Hai“ (Original: „Jaws“) kehrte das Phantastische auf die Leinwand zurück. Das so genannte „Blockbuster“- und „Popcorn-Kino“ wurde geboren. Unterhaltung war oberstes Gebot. Der Blick in eine Welt jenseits des Möglichen, das war der Anspruch. Und für den Kinogänger: den Saal mit einem guten Gefühl wieder verlassen zu können.

Dabei ist „Der weiße Hai“ alles andere als leichte Kost, er ist noch nicht mal ein lustiger Film. Selbst die legendären Dialoge („You’re gonna need a bigger boat“) sind eher wegen ihrer unfreiwilligen Komik in die Geschichte eingegangen. Ebenso wie John Williams’ berühmte, sich ins Crescendo steigernde Zweitonmelodie, die damals den Hai ankündigte – und heute sogar als Parodie funktionieren würde, wenn man Hamster auf der Jagd zeigt.

Der zweite Kinofilm Spielbergs, basierend auf Peter Benchleys Roman „Jaws“, kam am 20. Juni 1975 auf die Leinwände, rechtzeitig zur Badesaison. Er traumatisierte Millionen Zuschauer. Zwar blieben in diesem Sommer nicht die amerikanischen Strände leer – dafür aber in Küstennähe das Meer. Was der weiße Hai im Film anrichtete, wurde damals für bare Münze genommen: Seine Sprünge, sein Gebrüll (!), seine Größe, die Ausdauer und der Wille, mit denen er immer wieder über Tage dasselbe Boot angreift. Die Forschung zu diesem Tier war da längst weiter. Das Allgemeinwissen noch nicht. Die Furcht vor Haien stieg an, plötzlich galten sie als natürlicher Feind des Menschen. Schon im Film-Trailer wurde der Fisch als „mindless eating machine“ bezeichnet, und „as if god created the devil.“ Tierschutzverbände greifen den Film und Regisseur Spielberg bis heute an. Er sei mitverantwortlich für die zunehmende Jagd auf Haie bis hin zur Ausrottung mancher Tierarten. Spielberg hat bis heute nicht Stellung zu den Vorwürfen bezogen.

Der damals 29-Jährige dürfte froh gewesen sein, das Werk überhaupt vollendet zu haben. Dreharbeiten im Wasser – darüber würde James Cameron 20 Jahre später mit „Titanic“ ein noch teureres Lied singen können – zählen zu den schwersten überhaupt. Spielberg, damals noch immer ein Newcomer, strapazierte das Budget um mehr als das Doppelte (von vier Millionen auf neun Millionen Dollar) und verlängerte die Dreharbeiten von 55 auf 159 Tage, also um fast das Dreifache. Noch mehr Probleme machte der Hai, eine mechanische Konstruktion, zum Teil ferngesteuert. Die Crew taufte ihn Bruce, aber schon nach wenigen Ausfällen im bitterkalten Gewässer von Martha’s Vineyard wurde aus Bruce „Flaws“ –„Mängel“.

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