Der zerkratzte Romantiker

ALS KLEINER JUNGE nannte Peter seinen Penis „Feuerwehrmann“. Und eigentlich ist er auch heute noch ein kleiner Junge. Wenn er einen mit seinen Riesen-Kulleraugen anschaut, will man mit ihm Drachen steigen lassen, eine Sandburg bauen und am Ende die schwelende Glut des Tages löschen. Aber Peter ist doch kein Junge mehr. Er ist auch kein Feuerwehrmann wie sein Onkel, der mit der London Fire Brigade im Westen der Stadt zu vermeintlichen Bränden ausrückt, um von verwöhnten Unterschichtsjugendlichen mit Fernsehern beworfen zu werden. Peter Doherty ist der letzte Romantiker, der im Rausch die Klarheit eines Dichters findet, und sich selbst dafür aufs Äußerste kasteit. „Fireman“ heißt trotzdem einer der zwölf Songs, die Doherty mit seinen Babyshambles für das dritte Album, „Sequel To The Prequel“, geschrieben hat.

Sein Körper ist eine geschundene Hülle. Aufgekratzte Stellen in Gesicht und auf den Armen. Narben zieren seinen blanken Oberkörper. Aus der Nase läuft ein glitzernder Ausfluss. Auf dem Tisch zwischen ihm und seinem Freund Mick liegen angerauchte Zigarren, ein Löffel, ein aufgerissenes Foliending wie ein gesprengter Knallteufel, und außen herum verstreut tanzen die letzten Salzkristalle seiner Sucht.

Sein Auftritt auf diesem Festival bei Berlin ist gerade 15 Minuten vorbei. Die Babyshambles sind zurück. Und wieder spielen sie diese räudige Straßenmusik mit schmutzigen Fingernägeln, mit einem Ska-Song, mit Hymnen auf die Liebe, Songs von Pinguinen über Krankenhäusern, in denen rotes Blut fließt.

Der schottische Manager in knappen Celtics-Shorts bringt das Abendessen. In Alufolie eingedampfte Pizza. Aus dem Steinofen kommt das Gebäck bestimmt nicht. Es ist triefender Ekel eines Festivals. „Excusezmois“, entfährt es Doherty, nachdem er aufgestoßen hat. Er ist so abstoßend anziehend. So ein charmantes Gegenüber, ein Mann mit Manieren und doch nicht Herr über sich selbst. Das gestreifte Ringelshirt trägt er seit drei Tagen, rote Flecken sind darauf. „Bloody Mary“, meint der Manager noch zu Anfang.

Das Artwork zur neuen Platte hat der britische Künstler Damien Hirst mit einem Foto der großen Pennie Smith angefertigt. Hirst, der Herrscher über Haie, der Totenkopf-Lord. Vielleicht wird er in einigen Jahren Doherty in ein großes Becken mit Methanal werfen. Für immer konserviert, ein stummes „Fuck Forever“ hinter Plexiglas. Seinen Hai nannte Hurst „The Physical Impossibility of Death in the Mind of Someone Living“. Im Prinzip war das das künstlerische Remake der Moderne von Descartes‘ „Ich denke, also bin ich“ .

Und auch das passt gut zu Doherty. Solange er noch schreibt, singt und sich Purzelbäume schlagend über die Bühne bewegt, kann er noch nicht tot sein.

„Ich sehe meine eigene Beerdigung“, meint er jetzt, das dritte Stück Pizza mit der flachen linken Hand in den Mund schiebend, „aber das ist nicht angenehm.“ Trotzdem gefällt ihm der Titel der Hai-Installation. „Wusstest du, dass Babyshambles auch eine Sammlung von toten Babys meint? Und wusstest du, dass Drew, unser Bassist, Damien Hirsts Sohn Gitarrenunterricht gibt?“

Und jetzt schaltet sich auch Mick ein. Der große, ältere Mann mit dem ausgezehrten Gesicht, der Gitarrist der Babyshambles. Seine Pupillen sind rot unterlaufen. „Ich dachte früher immer, ich könnte nicht sterben, ich wäre unbesiegbar.“ – „Er ist unbesiegbar“, fügt Peter hinzu. „Mick hat auch damit aufgehört, harte Drogen zu nehmen.“

Ohne seine Band, seine besten Freunde, hätte Pete Doherty wohl keine Platte mehr aufgenommen. Drew McConnell besuchte Doherty in Paris und nahm dessen Laptop mit nach London, zur Auswertung.

Hunderte von Skizzen, mal ohne Refrain, mal ohne Mittelteil. Als Drew wieder nach Paris fährt, bringt er fertige Songs mit. Sie gefallen der Band. Und Mick, Drew und der Produzent Stephen Street und der neue Drummer fliegen ebenfalls nach Paris und nehmen in 14 Tagen das dritte Shambles-Album auf.

„Mick, hast du noch was?“, fragt Doherty. -„Nein.“ Er deutet auf die letzten Krümel auf dem Tisch. Der Manager kommt herein. „Adrian, bitte, Adrian, gib uns den Rest davon!“ – „Erst nach dem nächsten Interview“, mein Adrian. Und Peter steht auf und jagt den kleinen Manager in seinen grünen Shorts um den Tisch im Backstage-Raum. Roadrunner und der Coyote. Wer genau wer ist, ist in diesem Augenblick schwer zu sagen. Miep. Miep. Denn je weiter Peter hinter den Manager fällt, sieht es so aus, als würde der Manager nun Peter jagen und wieder aufholen. Mick muss lachen. An der Wand hängt ein ganz hässliches, abstraktes Bild. Peter setzt sich schließlich wieder hin. Eine Zigarette tut es auch.

Mick erzählt von einem christlichen Boxer, mit dem er letztens über The Smiths und Ian Dury & The Blockheads gestritten hat. Wer denn jetzt besser gewesen sein soll, also textlich, haben sie sich gefragt. „Die Smiths natürlich“, kommt es von Peter. Für Mick waren die Texte der Blockheads jedenfalls zugänglicher. Und er singt sogleich die berühmten Zeilen „Why pamper life’s complexity when the leather runs smooth on the passenger seat?“ von Morrissey, nur um danach festzustellen, dass er bis heute nicht weiß, was das bedeuten soll. Und zu dritt stimmen wir sprechend das Stück nochmals von vorne an: „Punctured bicycle on a hillside desolate …“

Das ist schon irre, man könnte so viel mehr fragen, aber letztendlich doch keine tiefere Antwort als im gemeinsamen Singen von „This Charming Man“ finden, um Peter Doherty zu verstehen. 34 Jahre ist er jetzt, ein ewiger Träumer. Charmant ist er sowieso. Wieder folgt auf sein Bäuerchen ein „Excusez-moi“. Adrian schaut wieder nach dem Rechten. Peter steht auf, nimmt den Reporter in den Arm, er küsst mit seinen feuchten Lippen dessen Wange. In diesem Moment schließen sich all die Wunden auf dem Körper des Sängers.

Es ist ein warmer Sommerabend, und mit dem letzten Wind lassen wir gemeinsam einen Drachen steigen. „Gut, dass du da warst“, haucht er noch zum Abschied.

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