Die bequeme Cloud

Endlich können Spotify, Google und Co. Flatrates anbieten. Aber werden Streaming-Dienste tatsächlich die malade Musikbranche retten?

Axel Dauchez, Chef von Deezer.com, hat ein spannendes Jahr vor sich. Ende 2011 ist sein Streaming-Dienst in weiten Teilen der Welt an den Start gegangen, nun müssen Erfolge her. Dass Dauchez es kann, hat er zu Hause bewiesen: Deezer.com ist Frankreichs größer Anbieter für Musik-Streaming – 20 Millionen Menschen nutzen das Portal, das neben 13 Millionen Songs auch redaktionelle Inhalte anbietet. Die meisten User nutzen zwar das kostenlose, abgespeckte Einsteigerangebot. Doch allein die knapp 1,5 Millionen zahlenden Flatrate-Abonnenten haben Dauchez 2011 einen so großen Umsatz gebracht, dass die gesamte Branche in Frankreich erstmals seit Jahren wieder ein Wachstum verzeichnen konnte.

Für Dauchez ist Streaming die absolute Wahrheit – die Rettung für die Musikbranche. „Die Medienwelt erlebt gerade eine entscheidende Verschiebung“, sagt Dauchez. „In Zukunft werden Menschen nicht dafür bezahlen, dass sie ein Lied besitzen – sondern dafür, von überall aus Zugang zu ihm zu haben.“ Dass Dauchez nun auch in Deutschland online geht, hat mit der sehnlich erwarteten Einigung zwischen GEMA und BITKOM (Zusammenschluss der IT-Branchen) zu tun. Seit Anfang Dezember 2011 ist geregelt, wie viel Lizenzgebühr für Downloads und das kostenpflichtige Streaming an die GEMA zu zahlen ist. Dienste wie Spotify und Google Music können nun mit ihren Flatrates an den Markt – und werden nach Meinung vieler Branchenvertreter unsere Art des Musikkonsums revolutionieren.

„Die Cloud-basierten Dienste sind attraktiver als illegale Angebote“, freut sich Holger Christoph, Director Marketing & Sales Digital bei Universal. „Natürlich könnte man sich MP3s irgendwoher holen, aber man hat sie dann nicht automatisch im Auto, im Wohnzimmer und auf dem Handy, sondern muss ständig seine Geräte synchronisieren und Metadaten pflegen – durch die Cloud wird das alles wesentlich einfacher. Für diese convenience und zusätzliche Datensicherheit sind Musikfans bereit, zu zahlen.“

Die schöne neue Welt der absoluten Verfügbarkeit löst in der Branche erstmals seit der Jahrtausendwende so etwas wie Hoffnung aus. Christoph rechnet unter Berufung auf eine GFK-Studie vor, dass mit ein bisschen Glück ab 2015 wieder ein Wachstum zu verzeichnen sein könnte. Aber haben die Künstler etwas davon? Die lesen seit einigen Jahren auf ihren Abrechnungen absurde Bruchcent-Zahlen für nicht nachvollziehbare Download-Vorgänge und sehen ihre Felle davonschwimmen. Denn Flatrates werden an die GEMA mit einer Pauschale (zwischen 75 Cent und 1,25 Euro pro Flatrate und Monat) vergütet, die Ausschüttung an den Urheber erfolgt prozentual.

Sind also die Streams, die wir in Zukunft zum Beispiel mit unserem Mobilfunk- oder DSL-Vertrag abschließen werden, nicht in Wahrheit bloß ein Kniefall vor dem Diktat des Users, alles im Web müsse praktisch kostenlos sein? Zehn Euro im Monat für alle CDs der Welt ist kaum ein angemessener Preis für die erbrachte künstlerische Leistung. Schon verkünden die ersten Unternehmen den Rückzug – darunter der britische Musikvertrieb ST Holdings -, aber auch große Bands wie Coldplay (die Spotify ihr neues Album verweigerten) wollen nicht mehr mitspielen – zu klein seien die Gewinne, zu groß die Gefahr, sich selbst zu kannibalisieren. Die meisten Labels warten indes mit mulmigem Gefühl ab, zu welcher Art Konsumenten sich ihre Zielgruppe entwickelt. Zum Beispiel das Hamburger Vorzeige-Indie-Label Buback (Beginner, Deichkind), das schon eine Weile eher von der hausinternen Booking-Agentur lebt als von Tonträgerverkäufen. „Wir sind bei nur 12 Prozent digitalem Anteil“, sagt deren A&R/Product-Manager Stephan Rath. Insgesamt liegt die Branche in Deutschland bei 20 Prozent, in den USA schon bei nahezu 70 Prozent. „Wir sehen diese Streaming-Abrechnungen und kratzen uns am Kopf, weil wir nicht recht wissen, wohin das alles führt. Was sollen wir unseren Künstlern denn sagen? Es bleibt ja kaum was übrig.“

Die Gegenargumente der Streaming-Befürworter: Im Web werde ein Vielfaches mehr an Musik konsumiert als zur Zeit des physischen Verkaufs, Tendenz steigend. Außerdem sei der typische Flatrate-User ein anderer als der À-la-carte-Käufer (jünger, weniger speziell, weniger Geld) – die Lizenzen seien zusätzlich, nicht anstelle von, zumal sie für das Anhören eines Songs immer wieder fällig werden, nicht nur einmal. Zudem beschnitten die Streams nicht andere Verkaufsmodelle, sondern vor allem illegale Downloads.

Im Bereich der werbefinanzierten Streamings gibt es in Deutschland übrigens weiterhin keinen akzeptierten Tarif – das ist wohl der Grund, warum Spotify hierzulande nach wie vor nicht online ist (und sicher der Grund für die lästigen Videosperrungen, mit denen YouTube Stimmung gegen die GEMA macht). Auch hier wird um Abrechnungsmodi gestritten – eine Einigung ist allerdings nur noch eine Frage der Zeit. jörn schlüter

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