Die beste Disco ist lila

Acid-Smileys, Neon-Hosen, Leuchtstäbe - brauchen wir so ein Revival? Oder ist die englische New Rave-Welle um die Band Klaxons eh nur der schlechte Witz britischer Hype-Meister?

Die Leute zu Hause hatten uns noch erzählt, das sei doch alles großer Blödsinn mit dem sogenannten Rave-Revival, ein typischer, tausendfach so ähnlich erlebter England-Pop-Hype, sogar noch fadenscheiniger und hechelatmiger als sonst. Es klang vernünftig, was sie sagten, aber, ach: Wir wurden auch gewarnt. Interessanterweise von dem Mann, der glaubhaft bezeugt, er habe den Begriff New Rave höchstpersönlich erfunden und aus dem Labor in die Welt rennen lassen.

„Elefantenhosen werden wir heute nicht sehen, aber ganz sicher Leuchtstäbe“, sagt Jamie Reynolds, der große, pausbäckige, nachlässig rasierte, Nagetier-artig starrende Sänger und Bassist der Londoner Band Klaxons, zwei Stunden vor dem Auftritt in der Junction in Cambridge. „Die Leute drehen durch. Die Leute in den ersten 20 Reihen vergessen sich oft komplett und führen sich auf wie verrückt.“ Und damit keiner sagen kann, er habe es nicht gewusst, spezifiert Jamie Reynolds: „Die Leute tanzen nicht zu unser Musik. Sie drehen durch.“

Und, nun ja: Er hat recht. Gefühlsmäßig sogar mehr recht als die Leute, die sagen, es gebe gar keine New-Rave-Bewegung, denn die rund 1000 Irren in Cambridge kann man so leicht nicht wegdiskutieren – T-Shirts in Neonfarben müssen viele extra angezogen haben, Mädchen in pinken Leggings, Jungs ganz in Weiß, zivilere Leute mit Leucht-Armreif en, fluoreszierendem Make-up, den angekündigten Leuchtstäben, zu deren Gebrauch es gehört, sie im Lauf des Abends den Musikern auf der Bühne an die Köpfe zu werfen: Man kann viel gegen die Engländer sagen, aber wenn man bei ihnen auf ein Popkonzert geht, erlebt man immer Merkwürdiges.

Der vorletzte Abend, bevor die „NME Indie Rave“-Tour nach London heimkehrt, wo sie hingehört. Als erstes New Young Pony Club, eine Synthie-Cool-Popband mit toller Sängerin, dann The Sunshine Underground aus Leeds, die eher lahm den krähenden New Yorker Disco-Punk nachspielen, aber in diesem Ambiente vom Leuchten angesteckt werden. Echt Rave wird es, als die brasilianische Elektrorock-Pausenhof-Gang CSS als Einmarschmusik den 1993-er Autoscooter-Techno-Hit „No Limit“ von Unlimited laufen lässt und damit die erste Ekstase anrührt. CSS-Sängerin Lovefoxxx muss sich bemühen, um mit den eigenen schmatzbassigen Beatbox-Funk-Stücken wie „Let’s Make Love And Listen To Death From Above“ die Neonstäbe so weit oben zu halten. Auch das gilt.

Dann kommen die Klaxons, und System und Verstand brechen zusammen, als ob die ganze Halle plötzlich fliegt, man kriegt keinen Fuß mehr auf den Boden, ein Toben, dass sich eher wie Wetter als wie Menschen anfühlt, genau wie Jamie Reynolds vorhergesagt hat. Zwischendurch fallen große Teile des Publikums einfach um, weil es nichts zum Festhalten gibt. Stimmt, keine Tanzmusik. Das ist kosmischer Punkrock, mit allem Gezwitscher und Gedröhne und den Neon-Röhrchen im Dunkeln, mit wühlendem Bass und darüber dem hohen, dreistimmigen Gesang der Kla.xons, der die allerleersten Versprechungen macht: „Come with me, we’ll travel to infinity!“ Disco, Chemie. Sie spielen den schmelzend schönen Amseln-im-Weltraum-Hit „Golden Skans“, und der gesamte Saal in Cambridge singt immer an der gleichen, richtigen Stelle „A-haa!“.

Tja, willkommen im ersten Pop-Genre, das gar nicht existiert. Manche wundern und ärgern sich immer noch sehr, dass Trends nun mal so entstehen: Einer erfand den Begriff, die Leute bekamen Angst, etwas zu verpassen, benutzten Bandfotos als Einkaufslisten. Die Trend- und Tagespresse half, zog den Kreis weiter, um so etwas wie eine Szene herauszukriegen. Dann schon die ersten Bands, die sich gezielt zu diesem Zweck gründeten. Modedesigner beginnen jetzt, die Ideen aufzunehmen, hoch bis zu Donatella Versaces Lieblingskind Christopher Kane. Sogar die Betreiber des Rio, einem der wichtigsten Clubs in Berlin, nennen in der „Berliner Zeitung“ New Rave als Trend 2007, ohne mehr als ei n paar Oberflächlichkeiten aufzählen zu können: elektronisch angehauchter Rock, auffäll ig gefärbte Kleidung, Elemente der Frühneunziger-Acid-Mode.

Tony Wilson, der in Manchester die Platten von New Order herausbrachte, den Club Hacienda finanzierte und Hauptfigur des einzig anständigen Rave-Films „24 Hour Party People“ ist, sagte damals, die 90er Jahre hätten schon im August 1989 begonnen, nämlich als die italienische Gruppe Black Box mit ihrem ebenso fleischigen wie transzendenten House-Brüllstück „Ride On Time“ auf die britische Nummer eins kam. Man muss betonen, dass die ersten Raver Englands keineswegs zum Dance-Rock der Happy Mondays oder Primal Scream tanzten, der ja auch oft Rave genannt wird, sondern zu amerikanischem und italienischem House, gerne billigem, damit mehr Geld für andere Sachen blieb, in Lagerhallen, auf den Feldern, zu einer Zeit, als die deutsche Love Parade noch eine fahrende Würstchenbude war.

Die Idee, jetzt ein Revival zu machen oder vorzutäuschen, aus disparaten Stücken von Musik und Mode einen New Rave zusammenzusetzen, weil es einen alten Rave ja noch gibt – die Idee funktioniert in der Saison 2006/2007 auc h nur deshalb so gut, weil der Moment in England passend erscheint. Anfang Februar waren zum ersten Mal seit Einführung der LP-Charts 1956 alle zehn Top-Ten-Plätze von britischen Künstlern belegt, von Straßenfegern wie The View, Ersatz-Soulern a la James Morrison, Wuscheln wie Keane. Eine Woche später stiegen die Klaxons mit „Myths Of The Near Future“ auf Platz zwei ein und waren immerhin irgendwie anders als die anderen. Irrealer.

Das würde man ja schon an ihrem Logo sehen, dem Auge mit den Flügelschwingen, dass ihre Musik fliegen könne, was nicht zu unterschätzen sei, sagen die Klaxons eifrig beim Essen vor der Show. Drei schlaue Bürschchen Mitte 20, die entrüstet darauf bestehen, dass sie alle auf der Uni waren, und die ihre Songtexte mit leerlaufenden Literaturhinweisen verzieren. „Musik, die in London gemacht wird und dabei vom Leben in London handelt, wird niemals fliegen können“, sagt Gitarrist Simon Taylor-Davis, der als einziger Thomas Pynchons „Gravity s Rainbow“ ganz gelesen hat, von dem sie vor einem Jahr den Titel für die erste Single nahmen, weißes Vinyl mit weißem Etikett im weißen Cover, auf der Rückseite eine Cover-Version des beknackten Techno-Hits“The Bouncer“von 1992. „Unsere Devise als Band ist, nichts mit der Realität zu tun zu haben. Das ist kein Ort, an dem wir viel Zeit verbringen. Wir wollen auf keinen Fall über England singen! Zu England haben wir nichts zu sagen, weil wir da nicht hingehören.“

Man spricht mit ihnen nicht wie mit normalen Menschen – die Klaxons sind super vorbereitet, ergänzen ihre Sätze gegenseitig, erklären auf der Stelle, dass ihr Hit „Golden Skans“ vom Ostlicht handelt und vom Versuch, von der linken Pfote der Sphinx aus die Erde zu verlassen. „Das Einzige, was an uns beeindruckend sein soll“, sagt Bassist Reynolds, „ist die Tatsache, dass wir als komplettes, in sich stimmiges Ding erscheinen. Nichts und niemand ragt heraus, es ist wie ein eigenes Universum, das auf nichts verweisen muss, was außerhalb liegt.“ Das ist fernöstliche Mystik oder zeitgenössisches Marketing.

Jamie und ich bemerkten irgendwann, dass wir dieselbe Lieblings-Kassette aus den Neunzigern hatten“, erzählt Joe Daniel, der in London-New Cross das Label Angular Records betreibt und die Gründung der Klaxons bei seiner eigenen Clubnacht erlebte. „Ein Rave-Tape, DJ Ratpack live in Castle Donnington, 1992. Als wir das zusammen hörten, meinte Jamie: ,Ich gründe jetzt eine Rave-Band!‘ Alle dachten, das sei ein Witz, weil diese Musik doch keiner mehr ernst nahm. Er konnte die anderen zwei nur mit Mühe überzeugen. Aber wie das halt so ist, man macht etwas ein halbes Jahr, dann macht man etwas Neues. Aber daher kam der Name: New Rave, New Wave… fast zu naheliegend.“

Die illegalen Warehouse-Parties, die die Legendenbildung ihnen anhängt, haben die Klaxons nie gespielt. Mitten in London-Shoreditch haben sie einmal in einer leerstehenden Schule einen Guerilla-Rave veranstaltet, weitergesagt per MySpace-Nachrichtenkette, ungestört mit 1500 Leuten. Sie konnten es nie wiederholen, weil die Londoner Polizei von da an auch durch die MySpace-Setten patroullierte.

Dieses Element des zivilen Ungehorsams war es, das die erste britische Rave-Welle so relevant und inspirierend gemacht hatte. Jamie Reynolds von den Klaxons war zu klein – mit zwölf stieg er nachts auf den Hügel hinter dem Haus in Bournemouth, sah von Weitem die Lasershow der Fantazia-Open-air-Party blitzen, hatte sein Ratpack-Tape im Walkman. Aus vielen solcher Erinnerungen hört man heraus, dass Rave schon damals für junge Leute eben auch gewaltige Naturerfahrang war, purer Eskapismus, Hügel-Erlebnis. Ein „Update auf das Freidenkertum der ersten Hippies, mit starkem Working-Class-Aroma“, schrieb Jon Savage 1990 im „Observer“. Auch gegen diese Raver ging es ja, als bald mit Zigaretten und Alkohol die Britpopper kamen.

Will man heute noch Gitarren gegen Computer ausspielen – wofür es ja gute Gründe gibt – ist die Karriere von James Ford der Musterfall: 2005 hatte sich die erfolglose Indierock-Band Simian aufgelöst, der freigesetzte Ford konzentrierte sich aufs Produzieren, legte nachts mit dem Ex-Bandpartner James Shaw in Manchester House- und Techno-Platten auf. Ausgerechnet ein Breakdance-Disco-Remix des alten Simian-Stückes „Never Be Alone“, gefertigt vom damals noch unbekannten französischen Duo Justice, wurde dann im Frühjahr 2006 ein rasender Hit in britischen Indie-Dance-Clubs, und so bekamen Fordund Shaw alias Simian Mobile Disco den letztnötigen Push und haben heute den typischen Tokio-Paris-Berlin-Schedule des DJ-Jet-Set.

„We Are Your Friends“, wie der Remix bedeutsam heißt, machte sie nach 5-, 10-, 20-maligem Mitsingen zu den ehrenamtlichen Taufpaten des Londoner New Rave. Als der „New Musical Express“ am 7. Oktober 2006 mit neongefärbtem Klaxons-Cover erschien, präsentierten Simian Mobile Disco die Smiley-CD-Beilage mit Hot Chip, Shitdisco, The Gossip und einem Justice-Franz Ferdinand-Remix. Bei einem ernstgemeinten Set im Londoner Club Fabric würden sie sicher nicht im Wahn daran denken, einen dieser Tracks aufzulegen.

„Nein, ich habe überhaupt nichts gegen den Begriff New Rave“, sagt James Ford, „er trifft die Sache bloß nicht ganz, deshalb hassen viele ihn so. Man kann ja schlecht abstreiten, dass hier etwas im Gange ist: Bands und Elektronik-Leute spielen an denselben Orten, beeinflussen sich gegenseitig. Schon aufregend, aber musikalisch hat es nun mal mit Rave nichts zu tun. Wenn man nur die Haltung meint, also dass die Teenager heute bei Rock-Konzerten so ausnippen, wie sie es vor 10,15 Jahren bei einem Rave getan hätten – okay. Aber die alten Acid-House-Fans, die bei den echten Raves dabei waren, sagen mit Recht: Wenn das hier die Fortsetzung sein soll, dann ist es ziemlich großer Käse.“

Hauptsache, man verdirbt den Kindern mal nicht den Spaß! Simian Mobile Disco bewegen sich freilich in einem Kontext, in dem der Unterschied zwischen einer flugfähigen Dance-Rockband und einer London-Sozial-Rockband zu fein ist, um gespürt zu werden, und in dem klar ist, dass ein lauter gedrehtes Schlagzeug und ein anbiederischer Synthesizer aus einem Rocksong kein Tanzstück machen. James Ford hat die Klaxons-Platte produziert, hat mit der Band die Nacht vor der Deadline im Drogenrausch durchimprovisiert – eine subversive englische Pop-Platte, meint er, kein Rave. Aber das hätten sie auch gar nicht gewollt.

„Klar gab es immer Leute, die Elektronik und Rockmusik gekreuzt haben“, sagt Ford. „Das Interessante ist doch, ob es auch vom Mainstream wahrgenommen wird. In diesem Fall scheint es echt so zu sein, dass die Leute vom altmodischen Rock mal wieder genug haben und etwas Neues wollen. Wobei jede Szene natürlich nur so gut ist wie die Bands, die man ihr zurechnet.“

Das sagen viele: Wären die brillanten Klaxons nicht mehr, würde die ganze New-Rave-Sache in sich zusammenfallen. Weil man halt nicht weiß, was man mit einer Bewegung anfangen soll, die keine offensichtlichen Ideale hat, die vom Techno-Geist nur den Eskapismus behält, die nur von altklugen, weißen Schülern und Studenten getragen wird, während die Arbeiterklasse ihre direkt gewählten Vertreter mit Gitarren in die Charts schickt. Was bleibt dann noch? Der reine Spaß, die schiere Jugendlichkeit? Wird aus denen mal was, wenn sie groß sind?

Am Ende, als in Cambridge nichts mehr im Dunkeln leuchtet, weil die Saallichter an sind, machen wir die Probe. Wieso sie sich die Gesichter mit lila Neonfarbe bemalt hätten? „Öhhm… einfach so“, sagt die circa 16-Jährige aus der Rumsteh-Gruppe. Ob das vielleicht mit Rave zu tun habe, mit der Rave-Bewegung von damals, dem Original? „Vielleicht hat das ja was mit Rave zu tun“, meint die Kleine. „Ich kann mich nur leider so schlecht dran erinnern!“

Wenn das so ist, dann ist es für die echten Raver doch besser, den New-Ravern zu sagen, dass es sie gar nicht gibt. Totgetrampelt zu werden ist eines, aber als nächste Generation auf den Haufen mit den Altrockern zu kommen: Das tut viel mehr weh.

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