Die besten Alben 2010

Sehr knapp war es, aber am Ende siegte doch Sufjan Stevens über Arcade Fire. Die Bronze-Medaille bleibt im Lande und geht an Gisbert zu Knyphausen, während Tocotronic diesmal nur knapp in die Top 25 gelangten – nach Erdmöbel!

1. Sufjan Stevens

„The Age Of Adz“

Eine so erhabene, komplexe, Atem raubende Platte hat es mindestens seit Radioheads „Kid A“ nicht mehr gegeben. „The Age Of Adz“ spannt den Bogen von Folk zu Elektro, von Pop zu Gospel, von Song zu Symphonie und von Genie zu Wahnsinn. All das scheint schon in Leben und Werk des schizophrenen Outsider-Artists und Schildermalers Royal Robertson angelegt, von dem Sufjan Stevens, der Popstreber mit dem Hang zum Konzeptalbum, auf diesem Album erzählt. Nun warten wir gespannt auf Sufjan Stevens‘ Triple-Album über Henry Darger.

Bester Song: „Age Of Adz“

2. Arcade Fire

„The Suburbs“

Die Platte, auf die 2010 alle gewartet haben – und die mancher dann enttäuschend fand. Warum nur? Einen so dunklen, vibrierenden Mix aus Barock-Pop und Punk, ABBA und Springsteen hat noch niemand gewagt – es ist das „Born To Run“ in Postkartenromantik.

Bester Song: „Sprawl (Flatland)“

3. Gisbert Zu Knyphausen

„Hurra! Hurra! So nicht.“

Ein paar tröstliche Lieder über alte Platten, die man laut im Auto hört, über magische Momente, die Phantome der Liebe und die Melancholie des Hafens. Atemlos und ungestüm schüttet Knyphausen sein Herz aus; Produzent Tobias Levin schafft die Freiräume.

Bester Song: „Seltsames Licht“

4. Joanna Newsom

„Have One On Me“

Wer keine Lust hatte, ein gutes Buch zu lesen, konnte auch ihr zuhören: der Meerjungfrau des Ornamental-Pop, der jungen Erzählerin mit dem längstem Atem, den kühnsten Assoziationen und der Stimme, die jede Zellwand zum verliebten Mitschwingen brachte.

Bester Song: „Baby Birch“

5. Lloyd Cole

„Broken Record“

Man könnte sein resignative Melancholie gar nicht aushalten, wären die Songs, die Lloyd Cole über sein missglücktes Leben schreibt, nicht so schön. Hier klingt er so unwiderstehlich wie lange nicht – das Leben ist mühsam genug, dieses Album muss es nicht sein.

Bester Song: „Like A Broken Record“

6. The Avett Brothers

„I And Love And You“

Scott und Seth Avett suchen den Weg aus der Rumpelkiste und tauschen den berauschten Folk ihrer Anfänge gegen einen Hochglanz-Bastard aus Pop, Country und Folk – produziert von Rick Rubin. Doch ihre Songs bleiben stark.

Bester Song: „The Perfect Space“

7. Spoon

„Transference“

Spoon beherrschen den perfekten, schneidenden Indie-Gitarren-Pop-Song so traumwandlerisch, dass sie ihn während der Fahrt auseinanderbrechen und zu einem neuen gefährlich pulsierenden Soundungetüm zusammenfügen können.

Bester Song: „Mystery Zone“

8. The Coral

„Butterfly House“

Nach der Demission des depressionsgeplagten Bill Ryder-Jones kehrten die Briten mit dieser ergreifenden Songsammlung zurück: üppige Psychedelik in Cinemascope, sehr erhaben und im besten Sinne, nun ja, erwachsen.

Bester Song:

„She’s Coming Around“

9. Elvis Costello

„National Ransom“

Der Souverän des Songschreibens in allen Formen brilliert als vitriolischer Kommentator des irren Zeitgeistes, spielt Country und Ballade, Kunstlied und Rock’n’Roll mit altmeisterlicher Verve. T Bone Burnett assistiert patentiert. Bester Song:

„You Hung The Moon“

10. Tom Petty

„Mojo“

Ganz ohne Rick Rubin zog sich Petty am Strohhaar aus dem Sumpf, formte aus den Dreckbatzen so lange neue Songs, bis sie von selbst leuchteten. Und erzählte mit seinen treuen Heartbreakers Geschichten voller lurchcooler Bonmots.

Bester Song: „First Flash Of Freedom“

11. Tracey Thorn

„Love And Its Opposite“

Die Ex-Everything-But-The-Girl-Sängerin macht Schluss mit der Romantik, seziert schonungslos stagnierende Partnerschaften, Trennungen, das Mutter-Tochter-Verhältnis, Balz und Torschlusspanik. Der Sound ist wohlig warm, die Texte treffen jeden über 30 ins Mark.

Bester Song: „Why Does The Wind“

12. Richard Thompson

„Dream Attic“

In regelmäßigen Abständen beglückt uns der Meister des bitteren Liebeslieds mit einer Sammlung erlesener Folkrock-Songs. Die Devise diesmal: ein Live-Album aufnehmen, das klingt wie im Studio eingespielt. Thompsons elaborierte Kunst atmet hier die Dynamik des Augenblicks.

Bester Song: „Crimescene“

13. Manic STreet Preachers

„Postcards From A Young Man“

Wichtigste Voraussetzung für Trotzdem-Manics-Möger in den letzten Jahren: Leidensfähigkeit. Doch als man die Hoffnung längst begraben hatte, kam wie aus dem Nichts dieser vor Opulenz zerberstende Larger-than-Life-Hymnus.

Bester Song:

„Some Kind Of Nothingness“

14. Antony & THe Johnsons

„Swanlights“

Ein Schwan? Ein Irrer? Eine Operntrulla? Ein Komponist ersten Ranges? In seiner neuen Nussknackersuite zeigt Antony Hegarty sich verspielt wie nie, fasst Gender- und Naturbeschwörung in Folk und Kunstlied, Gemunkel und Grenzwertiges. Poesie auf der Rasierklinge – keiner ist wie er.

Bester Song: „Ghost“

15. Vampire Weekend

„Contra“

Zwei Jahre nach ihrem Debüt ist die Musik von Vampire Weekend nicht nur heller und variabler, sondern auch eigentümlicher geworden – Calypso, Reggae und Synthie-Pop bereichern den Sound. So spielerisch hat sich lange keine junge Band mehr über die Hörerwartungen hinweggesetzt.

Bester Song: „Taxi Cab“

16. Warpaint

„The Fool“

Schon klar: Keiner hat mehr Zeit, alle hängen bei Facebook rum, früher war alles besser. Fast hätten wir die rätselhaft verschlungene Großtat „The Fool“ verpasst! Warpaint konnte man kaum übersehen, aber überhören. Wer sich die Zeit nahm, wurde mit schönster Dunkle-Elfen-Musik belohnt.

Bester Song: „Warpaint“

17. Gorillaz

„Plastic Beach“

Pop, der amüsiert, blendet, erhellt – von einer 2-D-Band, die sich über Nacht in ein dreidimensionales Allstar-Ensemble aus Rappern, Sängern und exotischen Volksmusikern verwandelt hat, angeführt von Damon Albarn? Klingt nach Utopie, gibt’s aber unter dem Namen „Plastic Beach“.

Bester Song: „Empire Ants“

18. Caitlin Rose

„Own Side Now“

Die Mädchenstimme straft die abgeklärte Lyrik Lügen, aber das ist nur einer der Widersprüche, die Caitlin Rose so interessant machen. Bei „Own Side Now“ trifft die Ungezwungenheit einer Debütantin auf die Frühvergreistheit einer Country-Folk-Musikerin, die ihren Referenzrahmen genau kennt.

Bester Song: „Spare Me“

19. Paul Smith

„Margins“

Als Sänger von Maxïmo Park gab Paul Smith den Hektischen mit Hut, doch mit seinem ersten Solo-Album gelingt ihm ein verhangen-britisches Meisterwerk aus brüchigen Stimmungen, verhallten Melodien, Fragmenten von undeutlichen Gefühlen und Poemen.

Bester Song: „I Drew You Sleeping“

21. The Drums

„The Drums“

Der Popper-Alarm gellte, Millionen Indie-Fans fühlten sich verarscht. Aber die ultraperfekten Boys hatten nicht nur Frisuren, sondern auch tief blauäugige Lieder, die nach Schilfgras, verschüttetem Campari, Jungsein, Tod und Liebe schmeckten.

Bester Song:

„Forever And Ever Amen“

22. Broken Bells

„Broken Bells“

Als wären die Shins in die Echokammer gestolpert, singt James Mercer hier von Träumen, Ängsten und Abschieden, während Danger Mouse ein musikalisches Geisterreich errichtet: „Come on and get your overdose/ Collect it at the borderline …“

Bester Song: „The High Road“

23. Erdmöbel

„Krokus“

„Krokus“ bringt das Werk der Band aus Köln zu später Blüte. Das Geheimrezept: keine Kompromisse. Die eigentümlichsten Wörter, die assoziationsreichsten Zeilen, den reinsten Pop – alles Mittel zum Zweck, um zu den größten Gefühlen zu gelangen.

Bester Song: „Emma“

24. Tocotronic

„Schall und Wahn“

Die stets am Rand zur Parodie skandierten Aphorismen haben Tocotronic mit „Schall und Wahn“ auf die Spitze getrieben. Dass sie hier auch musikalisch zum Überkandidelten neigen, darin liegt kein Manierismus, sondern der pure Genius.

Bester Song:

„Schall und Wahn“

25. Villagers

„Becoming A Jackal“

Der junge irische Songschreiber Conor O’Brien lieferte im Alleingang das Debüt des Jahres: Zwischen Bright Eyes und Peter Gabriel, Traum und Konkretion changiert seine zugleich üppige und delikate, immer bittersüße Songkunst. Bester Song:

„Becoming A Jackal“

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