Die Gotter der Moderne – Digitale Superhelden schaffen die Symbiose von Comic und Kino

Verstanden hat man sie ja nie so richtig. Die Laborversuche und Mutationen, Parallelwelten und Sternexplosionen, chemischen Experimente und physikalischen Kräfte waren einem zu hoch. Kryptonit – das klang kryptisch, und wohl nicht nur für einen kleinen Jungen, der die Hefte verstohlen im Supermarkt las, bis der Verkäufer ihn vor die Tür setzte. Aber was heißt hier lesen: Die Sprechblasen musste man meist suchen im Kampfgetümmel der Bilder, die ständig ihre Form änderten. Manchmal sprangen sie einen sogar in voller Seitengröße an. Es wurde einem schwindelig, als blickte man in eine rotierende Waschtrommel.

Dieses kraftvolle, elektrisierende Stakkato ist eine grundlegende Faszination der Comics von Marvel und DC. Wer früher die Abenteuer von Spider-Man oder Batman durchblätterte, der wurde von einem Sog gepackt, wie ihn die Kids heute vielleicht bei Fantasyfilmen verspüren. Die ersten Comics von Superman wirkten 1938 noch wie Daumenkino. Aber seine Schöpfer vollbrachten am Zeichenpult schon Dinge, die Filme längst noch nicht zeigen konnten. Lange Zeit waren diese gezeichneten Geschichten mehr Kino als die bewegten Bilder selbst.

Visionär ist daher Orson Welles‘ „Citizen Kane“ von 1941, in dem einige Bildeinstellungen und Kameraschwenks die Ästhetik vieler Comics vorwegnahmen. Auch Stanley Kubrick benutzte 1968 in „2001 – Odyssee im Weltraum“ einen visuellen Stil und Schnitte, die sonst nur in Comics denkbar waren. Deren Action und Rasanz brachten erstmals George Lucas mit „Star Wars“ (1977) und Steven Spielberg mit „Indiana Jones“ (1981) im Kino auf den Punkt. Gegen ihre entfesselten Fantasien wirkte 1978 selbst „Superman I“ von Richard Donner wie eine Show auf einer Provinzbühne – trotz des Erfolgs. Lucas und Spielberg entstammten der ersten Generation, die von Comics geprägt das Kino veränderte.

Mittlerweile ist in Hollywood-Filmen alles irgendwie Comic, die Figuren und der Humor, die Action und die Technik. Vor allem aber wird das Kino dominiert von betagten Superhelden, die schon mehrmals vor Pleite und Pensionierung standen. Zuletzt war in den 90er Jahren die „Batman“-Reihe zwischen Kirmes und Kostümfest verödet. Seit der Millenniumswende hat der digitale Fortschritt den Comic-Legenden ein ungeahntes Comeback beschert. Neben den „X-Men“ (2000) war es besonders Sam Raimis „Spider-Man“, der 2002 erstmals die ganze ungeheure Dynamik und Eleganz der Zeichnungen umsetzte. Die Symbiose von Comic und Kino, fast 70 Jahre lang eine Utopie, war vollzogen.

Der Kassenerfolg der Spinne lockte auch die Kollegen an: Hulk. Daredevil. Elektra, Punisher, Catwoman, Fantastic Four, Iron Man – fast die komplette Elite und ihre Assistenten von Marvel und DC sind verfilmt worden. Förderlich dafür war auch die politische Stimmung in Amerika nach 9/11. Actionfilme wie in den 80er und 90er Jahren, die gerne mit der Möglichkeit von Krieg und Terrorismus im eigenen Land zündelten, waren dem Publikum plötzlich nicht mehr zuzumuten. Das Fantasy-Genre füllte diese Lücke aus – und zugleich erfüllten die Superhelden als Götter der Moderne den symbolischen Status vom starken Führer und Beschützer. Sogar der patriotische Kämpfer Captain America, eigentlich nach dem Zweiten Weltkrieg eingemottet, kehrte in den Comic-Dienst zurück. 2011 soll Matthew McConaughey ihn spielen.

Dann könnte der Boom schon vorüber sein. Auch Fortsetzungen haben irgendwann ein Ende, den Produzenten wird das Personal ausgehen, zudem hat nicht jeder Superknabe das Potenzial für Blockbuster. Und die Comics sind heute eher etwas für Erwachsene, Kunstsammler oder Freaks.

An diese richtet sich wohl auch Christopher Nolan, der schon „Batman Begins“ 2005 auf eine realistischere Ebene stellte. In „Dark Knight“ (Start: 21.8.) ist der Fledermaus-Rächer noch weiter weg vom Comic. Trotz typischer Gimmicks gemahnt sein Duell mit dem Joker in Härte und Atmosphäre eher an „Heat“. So kommt das Kino wieder in unserer Wirklichkeit an.

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