Die harte Schule der Lust

Selbst für den zweifachen Oscar-Preisträger und Charaktermimen Daniel Day-Lewis war Rob Marshalls sinnlich-leichtes Film-Musical „Nine" eine echte Herausforderung.

„Ich hatte nicht das geringste Bedürfnis, wieder zu arbeiten“, erklärt Daniel Day-Lewis, und grinst dabei schief wie ein Lausbube. Fünf Jahre liegen für gewöhnlich zwischen seinen Filmen, wobei ein Jahr allein der Vorbereitung für eine Rolle dient. Warum er nun schon zwei Jahre nach „There Will Be Blood“ wieder eine Hauptrolle übernommen hat? „Der Regisseur Rob Marshall überredete mich wochenlang, mich meinen Ängsten zu stellen und das Aphrodisiakum des Neuen und Gefährlichen zu genießen.“

Der Grund für des zweifachen Oscar-Preisträgers Ängste: In der Musical-Adaption „Nine“ tritt er erstmals als Sänger in Erscheinung, „nachdem ich dafür bloß ein Leben lang unter der Dusche trainiert hatte“. Keine Koketterie – nichts gibt Schauspieler so leicht der Lächerlichkeit preis wie ein Musical. Man denke nur an Pierce Brosnan, der in „Mamma Mia!“ mitleiderregend tapfer seine dünnen Stimmbänder strapazierte.

„Nine“ indes ist von vornherein ein Stoff aus einer anderen Liga. Basierend auf dem 1982 am Broadway uraufgeführten Dauerbrenner, der wiederum als Hommage auf Federico Fellinis Klassiker „81/2“ zu lesen ist, will Marshai] nach seinem Coup mit „Chicago“ von 2002 diesmal nichts weniger als dauerhaften Respekt für eine umstrittene Erzählform einfordern.

„Musicals“, mutmaßt Marshall, „werden als Kunstform nicht überall ernst genommen, weil sie bis heute ein mieses Image aus den Fünfzigern haben, als zuhauf Heimatfilme mit simplen Melodien gedreht wurden. Doch es wird Zeit, sich von diesen Vorurteilen zu verabschieden.“

„Nine“ lässt nie Zweifel daran aufkommen, wie ernst es Marshall mit seiner eleganten Attacke auf die Sinne meint. „Italia!“ soll der imaginäre Film heißen, zu dem der Regisseur Guido Contini (Day-Lewis) zu Beginn der Story weder Drehbuch noch Ideen hat. Was folgt, ist eine Reise durch seine Fantasie und seine Vergangenheit in Technicolor und körnigem Schwarzweiß, episodisch gegliedert anhand der wichtigsten Frauen in seinem Leben, gleichsam sinnlich und sinnsuchend.

Nichts wurde unversucht gelassen, um auch „Nine“ wie einen italienischen Film wirken zu lassen. Am Drehort Rom sausten Paparazzi hinter Sportwagen her wie einst in „La Dolce Vita“, und die Schauspieler schwärmen bei aller Härte des Tanztrainings jetzt noch von kulinarischen Gelagen.

Nur Day-Lewis käme es nie in den Sinn, das Vergnügen vor die Arbeit zu stellen. Gefragt, ob er mitunter nicht einfach nur mal Mann war und den Reizen seiner exorbitant vielen schönen Filmpartnerinnen erlag, amüsiert ihn die Fremdheit dieser Vorstellung. „Sie müssen wissen, dass ich beim Spielen zu konzentriert auf Szenen bin, um in Kolleginnen etwas anderes als ihre jeweiligen Figuren sehen zu können.“

„Nine“ ist eine stilsichere Feierstunde des Fotogenen geworden. Die schiere Freude am Hedonismus, mit der Marshall hier Männer in scharf geschnittenen Anzügen und Frauen in scharfer Unterwäsche auf die Leinwand wirft, ist mehr als entwaffnend – und blendend besetzt. Die ehemalige Tänzerin Penelope Cruz macht den Klischee-Part der niedlichen Geliebten im Spagat sehenswert, Fergie von den Black Eyed Peas killt in einer Nummer mit ganz großem Orchester, und Marion Cotillard macht so souverän weiter, wie sie in ihrer Oscar-prämierten Rolle als Edith Piaf in „La Vie en Rose“ aufgehört hat.

Fast wirkt es, als habe Marshall ein Musical für Menschen drehen wollen, die Musicals hassen, so wenig klebt er an altbackenen Choreografien. Mit leichter Hand schöpft er die visuellen Reize seiner filmischen Wundertüte aus. „Man macht mir ehrlich gesagt das größte Kompliment, wenn man ‚Nine‘ als leichte Unterhaltung beschreibt“, sagt er, „denn die Produktion war extrem hart. Doch so wie die Story vom Lächeln erzählt, das Künstler in der Öffentlichkeit aufsetzen müssen, sollte man auch unserem Film keine Minute anmerken, wie viel Blut, Schweiß und Tränen in die Herstellung geflossen sind.“

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