Die Kraft der Wasserpfeife

In Williamsburg, Brooklyn, dem Biotop für New Yorker Hipster, das immer noch einen bohemehaften Charme versprüht, obwohl hier eine Tasse Kaffee längst teurer ist als in Manhattan, residiert in einem dem Abbruch geweihten, vor Dreck fast schwarzen Industriegebäude zwischen allerlei analogem Instrumentarium und schweren marokkanischen Teppichen die Zukunft des Pop: David Andrew Sitek, Produzent und Kreativkraft hinter den unglaublichen TV On The Radio und jüngst vom britischen „NME“ zum innovativsten und einflussreichsten Musiker der Gegenwart gewählt. Hier in seinem Stay-Gold-Studio schließt er sich oft tage- und nächtelang ein, sitzt in Unterwäsche vor seinem Mischpult, raucht Bongs und verändert nebenbei fröhlich bekifft die (Musik-)Welt.

Mittlerweile ist er durch seine gemachte (also unauthentische) Musik ein gemachter Mann geworden. Er hat Alben der Yeah Yeah Yeahs, seiner alten Freunde Celebration aus Baltimore, den Liars und jüngst Scarlett Johansson produziert. Und es würde wahrscheinlich niemanden wundem, wenn auch das nächste David-Bowie-Album unter seinen Händen Form annähme.

Man weiß nicht viel über den „shadowy mastermind behind some of the 21st century’s most evocative records“ („NME“). Selbst bei Wikipedia ist der 36-Jährige für einen Künstler seines Ranges ein geradezu unbeschriebenes Blatt. Er selbst hat sich mal als „overproducer“ bezeichnet. Eine Art postmoderner Phil Spector vielleicht, der durch die Brian Eno-Schule der Künstlichkeit gegangen ist. „Wir fangen mit etwas an, dann reißen wir es wieder auseinander, dann folgt Overdub auf Overdub“, hat Sitek mal seine Arbeit mit TV On The Radio beschrieben. „Wir fügen immer mehr hinzu, nehmen anderes wieder raus, bis wir auf den essenziellen Teil stoßen. Dann werfen den Rest weg und bauen den Song von dort aus wieder neu auf.“

So in etwa dürfte diese Schilderung auch die Arbeit an Scarlett Johanssons Album „Anywhere I Lay My Head“ in den Dockville Studios in Maurice/Louisiana beschreiben. Denn auch hier ist es Sitek gelungen, die Essenz der Tom-Waits-Songs zu destillieren und sie von dort aus völlig neu aufzubauen, ohne dabei in die Gravitation des Waitsschen Rumpel- und Vaudeville-Universums zu gelangen. Sein Ziel sei es gewesen, nicht von Tom Waits verfolgt und in irgendeiner Bar zusammen geschlagen zu werden, weil er sich an einer Kopie der Originale versucht habe, gestand Sitek scherzhaft bei der Präsentation des Albums in New York.

Das Ziel hat er erreicht. Und es ist gerade diese Distanz – man könnte auch sagen: Coolness -, die dieses wagemutige Projekt bis auf wenige Ausnahmen grandios gelingen lässt: Ein 23-jähriger Hollywoodstar mit dem Stimmumfang eines Handstaubsaugers wagt sich an die dramatischen, vom ingeniösen Vortrag lebenden Inszenierungen eines zerknautschten Beatniks und wird dabei von einem angesagten Indie-Produzenten in Szene gesetzt, der kein besonderer Kenner der Originale ist.

Sitek setzte Johansson in seinen dichten Mix ein, als sei sie nur ein weiteres seltsames Instrument. Er türmte Spur auf Spur, Soundschicht auf Soundschicht, ließ Gitarren mit Synthesizern flirten, Bläser mit einer mächtigen Orgel, ein Banjo mit einer betagten Drum-Machine und Scarlett Johansson – seine „Fee auf Hustensaft“ – mit Nico. Über die erste Single „Falling Down“ sagte er, hier sei sein Streben, einen Song mit Kermit der Frosch und David Bowie zu machen, belohnt worden. Der thin white Lurch.

„Anywhere I Lay My Head“ hat eine durch allerlei Hall seltsam verwaschene, traumgleiche Opulenz, die Sitek in einigen Rezensionen Vergleiche mit Mercury Revs David Fridmann eingebracht hat. Doch während Fridmann in die Höhe arbeitet – seine Produktionen oft übersteuert, so dass sie aderngleich von Verzerrungen durchzogen sind -, geht Sitek in die Breite, dreht den Sound so lange durch die Mangel, bis er an einigen Stellen ganz dünn, fast transparent wird, und drängt ihn an anderer Stelle durch Kompression zusammen.

Der britischen Band Foals war die Sitek-Produktion ihres Debüt „Antidotes“ zu kompromisslos; sie ließen das Album noch einmal neu abmischen. Es kostete sie ganze fünf Monate, ihren Songs den Sitek-Sound einigermaßen auszutreiben. Auch das ist ja irgendwie ein Kompliment.

Schwer vorstellbar allerdings, dass Sitek diese indirekte Ehrung überhaupt wahrgenommen hat, denn in der Regel hört er keine zeitgenössische Musik. Das meiste sei eh Mist, sagt er, und lässt sich lieber von alten Stax-Singles, 6Oer-Jahre-Free-Jazz und seinen Bongs für den nächsten innovativen Schritt seiner Karriere inspirieren. Vor fast vier Monaten hat er sich bereits wieder in StayGold eingeschlossen, arbeitet dort am neuen TV On The Radio-Album und einem neuen, mysteriösen Projekt.

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