Diese Zehn muss man sehen auf dem Eurosonic Noorderslag Festival

Heute startet in Groningen das Eurosonic Noorderslag und läutet somit schon einmal die Festivalsaison ein. Daniel Koch ist für den ROLLING STONE vor Ort und berichtet ab nun täglich von seinen Erlebnissen und Neuentdeckungen. Bis zum ersten Bericht haben wir hier schon einmal zehn Acts versammelt, die es sich dort zu entdecken lohnt.

In der Zeit vom 11. bis zum 14. Januar schaut die Festivalbranche auf die holländische Studenten-Stadt Groningen. Das Showcase-Festival Eurosonic / Noorderslag gilt seit Jahren als erster Treffpunkt des Jahres für die Booker und Veranstalter der europäischen Live-Branche. In den zahlreichen traditionsreichen Clubs bekommt man in den vier Tagen eine Auswahl noch frischer Acts serviert. Und nicht selten gilt: Wer hier für ausverkauften Shows sorgt, wer für das Wochenende der talk of the town ist, den wird man einen Sommer später vielleicht schon auf einem etablierten Festival sehen. Franz Ferdinand zum Beispiel war ein solcher Act, oder im letzten Jahr Dry The River, die nun im Frühjahr via Sony ein eindrucksvolles Album vorlegen werden. Außerdem ist das Eurosonic / Noorderslag auch die richtige Adresse, um die Exportfähigkeit deutscher Acts zu testen. So spielen in diesem Jahr Kraftklub, Casper, Boy und Bodi Bill, um sich auch außerhalb unserer Landesgrenzen zu empfehlen. Besonders freut es uns, dass auch einige unserer 2011 als „Artist To Watch“ vorgestellte Acts dort vertreten sind – so zum Beispiel Lisa Hannigan, Vondelpark oder Three Blind Wolves. Wir haben hier einmal ein paar Empfehlungen versammelt. Nicht nur für Besucher des Festivals, sondern auch und vor allem für Menschen, die Interesse an unverbrauchten Klängen haben:

Jamie N Commons (12.01. Schouwburg, 21:30 – 22.10)
Der erst 22jährige Brite spielte im Herbst vergangenen Jahres schon einmal im Berliner Magnet und sorgte für Verwirrung. Als er – smart, langhaarig und ein wenig glatt – die Bühne betrat, dachte einer jeder, so ein Schönling, mit solch einem Künstlernamen spielt sicher wehleidigen Electropop und fährt sich nach jeder Strophe durchs schöne Haar. Aber dann erklangen die ersten bluesigen Akkorde, meldete sich das Schlagzeug schleppend und schwer und – tja, und dann sang dieser Jamie, sang von Priestern und Schulden und Tod und Teufel und Liebe und Verlust, mit einer Stimme, die klang, als hätte er mindestens 18 seiner 22 Lebensjahre versoffen und verhurt. Kein Wunder, dass schnell jemand die Referenzen Cave und Lanegan in den Raum raunte und sich die anfangs überschaubare Menge vor der Bühne rasch vergrößerte. Am Ende dachte keiner mehr an wehleidige Schönlinge – man sah einen verschwitzten ganzen Kerl mit kraftvoller Stimme vor sich und wusste: Den wird man 2012 wiedersehen.
>>>> Hier geht’s zum Video von „The Preacher“

James Vincent McMorrow (12.01. Schouwburg, 0:20 – 1:00)
James Vincent McMorrow (hier unser ausführliches Interview in der Reihe „Artist To Watch“) ist ein Songschreiber wie er im Buche steht. Um sein erstes Album „Early In The Morning“ aufzunehmen, das letztes Jahr im Februar  erschien, zog er sich zuvor fünf Monate in ein kleines Haus an der irischen Küste zurück um: Songs zu schreiben. Und das von morgens bis abends. Schicht um Schicht. Instrument für Instrument. Trotz der Einsamkeit und Abgeschiedenheit hat er es geschafft, dass man genau das seiner Musik nicht anhört. Das entstandene Album suhlt sich nicht in melancholischen Selbstmitleid, sondern entfaltet sich in die verschiedensten Richtungen. Gemeinsam ist allen Songs lediglich der charakteristische Gesang McMorrows, der den ein oder andern in seinem zerbrechlich, kehligen Klang an Bon Iver und Co. erinnern mag, aber dennoch stets eigen bleibt.
>>>> Hier gibt es das Video zu „The Old Dark Machine“

Lisa Hannigan (11.01. Vera, 20:30 – 21:00 und Grand Theatre 23:00 – 23.45; 13.01. Schouwburg 0:20 – 1:00)
Auch Lisa Hannigan stellten wir schon unter unseren „Artist To Watch“ vor. Nach ihrem schon tollen Debüt „Sea Sew“, legt Hannigan in diesem Jahr ihren ebenfalls sehr gelungenen Zweitling „The Passenger“ vor. Das Reisen und unterwegs sein spielt in ihrem satten Folkpopsongs tatsächlich eine wichtige Rolle: „Ich habe viel darüber nachgedacht, dass man so viel mitnimmt, egal wohin: Vorurteile, gebrochene Herzen, Freundschaften und Liebschaften. Außerdem bekommt man diese ganz bestimmte Nostalgie, die man – wie ich denke – nur empfindet, wenn man nicht zu Hause ist.“ Ihre warme Stimme, ihr Charme, ihr gekonntes Songwriting, ihre Schönheit – und die Tatsache, dass sie gleich dreimal auf dem Eurosonic Noorderslag auftritt, sollten doch eigentlich die anwesende Live-Branche überzeugen…
>>>> Hier geht’s zum Video zu „Little Bird“

French Films (11.01. De Spieghel, 23:00 – 23:45 und 13.01. Paleis, Main, 22:15 – 22:55)Indiepop mit einer Großportion Sonne, Surfer-Attitüde und Tanz am Strand-Gefühl produziert man scheinbar besonders gut dort, wo im Allgemeinen das Gegenteil zu finden ist – in Finnland. Das könnte man zumindest meinen, wenn man der Musik von French Films ein Ohr schenkt, die wirklich weder mit dem sonnigen Süden noch Frankreich etwas am Hut haben, aber einen schnell das Gegenteil glauben machen. Wahre Tanzwut und Surfer „Oh-Oh“-Gesänge können eben auch aus dem hohen Norden kommen. Und auch die Tatsache, dass das Debütwerk „Imaginary Future“ im Winter veröffentlicht wurde, tut dem allen keinen Abbruch. French Films stapfen den Winter einfach klein und liefern auch für alle anderen den Soundtrack dazu.
>>>> Hier gibt es das Video zu „Confict“

Jessie Ware (12.01. Simplon, Up 23.45 – 0.30)
Diese Stimme sollte man sich merken, wenn man sie noch nicht gehört hat: Jessie Ware hat sich in der britischen Elektroszene bereits empfohlen, wo sie den Track „Nervous“ von SBTRKT veredelte. Ihre souliger Gesang war ein spannender Kontrast zum nervösen Electrogeblubber, das dem Song seinen Titel gab. Zudem war die Literatur-studierte Jessie Ware Backgroundsängerin für ihren alten Schulkumpel Jack Penate. Die Referenzen sind also eingeholt, die ersten Kontakte geknöpft. Nun ist es an der Zeit für die ersten Soloschritte: Die Debütsingle „Strangest Feeling“ ist da schon mal ein guter Start. Atmosphärisch wie ein The xx-Track, gesungen mit einer Stimme zwische Wave und Disco und getragen von jenen kräftigen Bässen, die man am Dubstep-Hype so schätzte. Wie das live funktionert, wird sich nächste Woche zeigen…
>>>> Hier geht’s zum Stream von: „SBTRKT – Nervous (ft Jessie Ware)“
>>>> Hier geht’s zum Stream von „Strangest Feeling“

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I Got You On Tape (12.01. Muziekschool, 20:00 – 20:45)
Irgendwann guckten nur noch die Köpfe der vier Dänen von I Got You On Tape oben raus – so sehr wurden sie für ihr Album „Ace In The Hole“ mit Lob, Schulterklopfern und Sternchen überschüttet. Und trotzdem machten sie einfach unaufgeregt weiter und schrieben noch mehr dieser irgendwie schleppend monotonen, aber dabei doch stets so mitreißenden, melancholischen Songs. Jakob Bellens tiefe Stimme, die manchem vom dänischen Folkdup Murder bekannt sein dürfte, passt da wie die Faust aufs Auge und überzeugt vor allem live – so sicherlich auch am Donnerstag auf dem Eurosonic.
>>>> Hier gibt das Video zu „Ace In The Hole“

Bitches With Wolves (12.01. De Spieghel, Up, 0:30 – 1.15)
Man muss das mögen, was James O’Neill da treibt: Dieser Soundbastard aus Hercules & Love Affair, Madonna und Erasure ist sicherlich nicht jedermanns Sache. Auch sein Auftreten ist zwar für viele beeindruckend und mitreißend, für andere aber eher abschreckend: O’Neill tanzt bisweilen wie Britney, trägt schon mal ganz gerne ein Netzhemd mit Glitzer-Tape und trägt ein Gesicht, wie eine Kreuzung aus George Michael und einem New York-Hipster. Und dennoch: diese übertriebene Leidenschaft für den Pop der 80er und 90er ist irgendwie ansteckend, vor allem wenn sie in zeitgemäßen Produktionen wie seine Single „Hurricane“ daherkommt. „Don’t you loose control“, mahnt er gleich in der ersten Zeile. Wird schwierig…
>>>> Hier geht’s zum Video zu „Hurricane“

Sleep Party People (12.01. Paleis, Main, 21:10 – 21:50)
Möglich, dass einem ab und an die Frage durch den Kopf geht, ob man eigentlich noch wach ist, wenn man sich den Auftritt der dänischen Formation Sleep Party People zu Gemüte führt. Denn das was man da hört und sieht ist nur schwer einzuordnen und irgendwie weit weg. Hier ist jeder Ton so sehr in die Länge, Breite und Tiefe gezogen, dass man sich unmittelbar in Traum- oder Märchenwelten versetzt fühlt. Dass alle auf der Bühne große Hasenohren tragen und mit diesen im Takt der Musik wippen, macht die Sache dann auch nicht besser. Der kursierende Begriff des „Dreampops“ beschreibt die träumerischen, verzerrten Popmelodien schon ganz gut, die man bei Sleep Party People zu erwarten hat. Vielleicht trifft der Vergleich mit Alice im Wunderland aber auch noch besser.
>>> Hier gibt es das Video zu „I’m Not A Human At All“

Vondelpark (13.01. Simplon, Up, 22:15 – 23:00)
Wo wir schon beim Wort „Dreampop“ sind – selbiges passt nur zu gut zu Vondelpark, deren erstes deutschsprachiges Interview auf unserer Website erfolgte. Fas war es ein wenig zu einfach, Lewis Rainsbury für ein Interview zu gewinnen. Der junge Brite, der mit  Alex Bailey und Matt Law unter dem Namen Vondelpark wunderbar schwerelose Songs komponiert, wurde nämlich in den Weiten des Internets zu einer Art Phantom stilisiert. Oder vielmehr: Vondelpark selbst war ein Phantom. Ob sich dahinter eine Band verbirgt oder ein Solokünstler, war nicht so leicht herauszubekommen. Das einzige Interview, das man lange Zeit finden konnte, stammte aus dem August letzten Jahres und wurde von der Website des Vice Magazins geführt, die es interessanter fand, drauf rumzureiten, dass Vondelpark nicht mal eine Myspace-Seite haben. Seitdem tauchten immer wieder verschwommene Videos zu tollen Songs auf, hoch gelobt in den einschlägigen Blogs und immer mit der Verwirrung begleitet, das man nicht wusste, wer oder was sich denn nun hinter Vondelpark verbirgt – außer dem namensgebenden Park in Amsterdam. Wer hätte gedacht, dass es nur eine Mail an das belgische Label R & S Records brauchte, die sich für den Release der „Sauna EP“ verantwortlich zeichneten. Ihr Sound wurde schon oft mit The xx in Verbindung gebracht, ohne dass jemand eine griffige Bezeichnung finden konnte. Auch Rainsbury tut sich damit schwer: „Ich glaube, unser Sound fängt eher diese trübe, dunstige Stimmung ein, die viele Menschen in London momentan fühlen. Inspiriert haben uns dabei Musiker wie Pat Metheny, John Martyn, Dennis Wilson, Mogwai und Radiohead – aber ich weiß nicht, ob man das unserer Musik wirklich anhört. Mich hat vor allem interessiert, Sampling-Techniken und Auto Tune-Effekte, die man aus Mainstreamproduktionen kennt, in einem Lo-Fi-Umfeld anzuwenden.“ Wie wundervoll das klingt und wirkt, wenn es mit verwaschenen Bildern illustriert wird, sieht man in den Videos unten.
>>>> Hier geht es zum Video von „Jetlag Blue Version“
>>>> Hier geht es zum Video von „California Analog Dream“

Clock Opera (13.01. Simplon, Main, 0:30 – 1:15)
Auch wenn das Debütalbum „Ways To Forget“ erst im April erscheint, haben sich Clock Opera mit diversen Remixen, für beispielsweise Metronomy, und Songs wie „Lesson No. 7“ schon jetzt eine gute Portion Aufmerksamkeit und wohlwollende Neugier erarbeitet. Denn das, was man da bisher so von der britischen Kombo zu hören bekam, schwirrt zügig und zuverlässig in die Gehörgänge, um sich da fest zu setzen. Clock Operas Songs mischen sich aus flirrender Elektronik und emotional geladenen Popmelodien. Ein schönes Beispiel für die Qualitäten des Quartetts um Frontmann Guy Connelly ist auch die kürzlich erschienene, erste Singleauskopplung aus „Ways To Forget“, „Once And For All“, die man evtl. schon vom letztjährigen Melt!-Sampler kennt.
>>>> Hier gibt es das Video zu „Once And For All“

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