Durchs Reimland geht ein Ruck

Deja-vü: Es hat etwas Bizarres, im Branchenblatt „Billboard“ einen Bericht über den deutschen Musikmarkt zu lesen, der nicht nur als Notiz im Bulletin den Einlauf des neuen Westernhagen-Ungetüms oder die Weihnachts-Umsätze der Plattenriesen vermeldet. „German Rap On Rise“, hieß es in der Überschrift schon recht fett, und Heinz Canibol, Präsident der deutschen Dependance des Universal-Konzerns, soufflierte dem Korrespondenten: „Hip-hop’s definitely the most important development at this time. It’s taking over from techno.“ Wachwechsel. Es geht ein Ruck durchs deutsche Reimland.

Für Bundesbedenkenträger Roman Herzog war es schon gewagt, sich die dralle Jazzy einzuladen, um sein Ohr an die Beat-Box der Jugend zu legen. Hatte sich Tac kurz vorher doch live & direkt mit Tic über Toe echauffiert Also stellten die Berater noch Peter Maffay dazu. Selten war der Generationsunterschied im Musikantenstadl derart kraß. War damals eigentlich Marusha im Schloß Bellevue? Egal Das gemeinsame Foto zeigte die Boulevardpresse nicht wegen des ledernen Rumänen mit dem treudeutschen Blick, sondern aus Sensationslust an der jungen, mandelhäutigen Zicke. Wer sich in den Klatschspalten oder ab Schlagzeile wiederfindet, ist ein Star.

Mit dem gestiegenen Interesse der Medien an den Äußerlichkeiten oder privaten Pannen der Akteure läßt sich auch ohne Kenntnis der Verkaufszahlen lesen, wie hierzulande produzierte HipHop-Platten den Markt beherrschen. Der Selbstmord eines Mannes, der sich als verschwiegener Gatte der Tic Tac Ibe-Rapperin Lee entpuppte, löste einen Rummel aus wie zuletzt die Eheburleske Verona vs. Dieter. Als der Proll-Rapper Nana, angeklagt wegen schwerer Körperverletzung, nur eine Bewährungsstrafe erhielt, da er sich sozial stabilisiert hätte, forderte ein Radiosender mehrere Tage, er solle sich bei seinen Opfern entschuldigen. Heiner Lauterbachs Blondchen Jenny Elvers hatte ein Techtelmechtel mit Thomas D. Der Schauspieler drohte dem Sprechsänger Prügel an. Nun ist jener wieder solo. Sabrina Setlur hat sich die Haare raspelkurz geschoren und wurde von „Bild“ prompt zur „Erotikfrau Nr. 1“ gewählt Fehlt nur der Auftritt im „Playboy“, den Ricky, bei Tic Tac Toe geschaßt, ihr voraus hat Aber jeder weiß nun, daß Sabrina in der Telefonzentrale des Labels 3P aushilft und Silvester 2000 mit der Concorde in drei verschiedenen Zeitzonen feiern wilL Ihren Boß und Beschützer wird die Reklame gefreut haben. Dabei hat Moses Pelham derzeit selbst genug Publicity. Bis zur letztjährigen Verleihung des Pop-Preises „Echo“ war er ein nur im Musikgeschäft berüchtigter Rapper des Rödelheim Hartreim Projektes. Dann schlug er den Spaßmacher Stefan Raab. Er habe seelisch unter dessen Spott gelitten, erklärte er einem Richter, der Moses gerade erst zu einem Schmerzensgeld verurteilt hat. Wenige Tage später wird Moses mit den Worten zitiert, dem Raab gehöre jeden Tag eine reingehauen. Daraufhin beeilten sich Promis wie Wigald Boning und Wolfgang Niedecken, die Plattenfirma in -Bild am Sonntag“ aufzufordern, Moses‘ Album „Geteiltes Leid I“ zu stoppen. Darauf vertritt er mit martialischen Metaphern eine atavistische Philosophie der Überlegenheit durch totale Emotionalität. Die Empörung darüber erinnert an den Eklat um den „Cop Killer“ von Ice-T. Moses wird sich von sovielen Feindschaften wohl geehrt fühlen, auch wenn er verlauten ließ, er habe sich über diese Sache mit Raab nur unbefangen lustig machen wollen. Ob Absicht oder Affekt: Jedenfalls ist Moses Pelham derzeit die neue Reizfigur des deutschen Showbiz. Ein Monolith. Vielleicht werden Kinder mal seinen Namen reimen wie einst im Lied von Haarmann mit dem Hackebeil.

Dies alles und mehr sind Indikatoren für den übergreifenden Erfolg von Rap, auch wenn andere ihn gerade so nicht verstehen und leben. Die Evolution des heimischen Hip-Hop ist voller Zwist und Mißverständnisse, seit die Fantastischen Vier 1992 mit „Die da“ ihren ersten Hit schafften und Tic Tac Tbe mit „Ich find‘ dich scheiße“ vier Jahre danach endgültig den Damm einrissen. Dir letztes Album „Klappe, die2te“ve&z£te sich fast 1,1 Millionen mal. Talentscouts stöberten in den Jugendzentren der Provinz, A&R-Manager erhoben sich hektisch von ihren Schreibtischen, um in der Ecke nach verstaubten Democasetten mit Beats und Reimen zu kramen. Sie bescherten der Plattenindustrie gute Renditen mit Basis und Spectacoolär sowie dem Wolf und Cappuccino, der eine Single für den Film „Der Eisbär“ mit Til Schweiger aufgenommen hat „Wish“ von Thomas D mit der „Lola rennt“-Darstellerin Franka Potente ist hoch in den Charts. Neben den Franzosen hat keiner den HipHop jenseits englischer Phonetik so konsequent wie kommerziell der eigenen Sprache unterworfen wie die hiesigen Rapper.

Der Versuch, türkische Rapper unter dem Etikett „Oriental HipHop“ zu etablieren, schlug fehl. Dafür gelang es dem Hamburger Label Booya Music der Produzenten Toni Cottura und Bülent Aris, mit Pappa Bear und Nana zwei auf Englisch rappende, farbige Interpreten mehrfach in die Charts zu hieven. Sie machen kein Hehl daraus, daß Kommerzialität das einzige Kriterium ist für ihre Schunkelstücke aus Disco-Covern, R&B und Dancefloor-Rap nach der Snap!-FormeL Aris und Cottura sind moderne Frank Farians. Sie seien, sagt Canibol, der mit ihnen einen Deal abgeschlossen hat, nicht nur auf HipHop fixiert, sondern würden mit der Zeit gehen.

Canibol hatte einst auch das Rödelheim Hartreim Projekt großgezogen. Dann wechselte das Frankfurter Duo zu Epic von Sony Music und war damit eingedrungen ins Revier der Fantastischen Vier, ihre Stuttgarter Rivalen, die bei Sonys Columbia sind. Das Label Pelham Power Productions ist ungemein profitabel und funktioniert wie ein Clan mit Moses P. ab Pate und Thomas H. als Buchhalter. Am kapitalsten haben sie Sabrina Setlur, ihre ehemals kleine Schwester S., plaziert. „Die neue S-Klasse“ verkaufte mehr als 250000 Einheiten, den „Echo“ erhielt sie auch. Gewitzt werden die Rödelheimer Mitglieder verzahnt und mit gußeisernen, schwelgerischen Sounds versorgt Der Sänger Xavier Naidoo stand erst werbewirksam in einem Sedur-Video mm und hatte dann mit „Freisein“ einen Hit. Inzwischen trägt er schon mal ein T-Shirt vom 3P-Novizen Illmatlc, der zudem bei einem Stück auf Naidoos Debüt-Album „Nicht von dieser fielt“ tappen darf.

Die Fantas konterten mit ihrem Label Four Music und einer Hit-Single des Kollektivs Freundeskreis. Thomas D und DJ Hausmarke haben bereits Solo-Alben veröffentlicht, Smudo kultivierte sich als schlauer Kopf und gewandter Szenehopper. Er lebt jetzt in Hamburg, wo b Mama Records mit Eins, Zwo, Fettes Brot und Fünf Sterne deluxe Hirn, Herz und Humor des deutschen Rap hütet – eine Posse, zu der auch Fischmob gehört. Demächst werden Absolute Beginner ihr Album „Bambule“ bei einer Majorfirma veröffentlichen, ebenso Massive Töne aus Stuttgart und Münchens Grooveminister. Mittlerweile wird sogar über Exportmöglichkeiten spekuliert. 3P hat mit Illmatlc einen englischsprachigen Rapper, Four Music die Kaiserslauterner Gl-Söhne Prophets Of Rage. Und Freundeskreis wollen mit Mellowbag und dem Song „Tabula Rasa“ die imperialistischen Grenzen sprengen.

Wer weiß: Gerade fackeln ja ausgerechnet die Pyro-Primaten Rammstein die US-Billboard-Charts sturmreif.

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