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Edgar Froese und Tangerine Dream: „Den Geruch von Krautrock mag ich nicht“

In einem seiner seltenen Interviews sprach Edgar Froese 1997 mit ROLLING STONE über die Renaissance der Ambient-Musik, die Kollegen von Kraftwerk, trendgeile Musikjournalisten und das Neuland Internet.

Edgar Froese, Gründer und Kopf der einflussreichen Elektronikband Tangerine Dream, verstorben 2015, sprach im Herbst 1997 in Vorbereitung auf eine UK-Tour über die Wiederentdeckung seiner Band.

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Von den Techno-Kids wirst Du als Godfather verehrt. Schmeichelhaft?
Nein, eher komisch. Blümchen tanzt auf dem Sarg. Und eines Tages werden sie den Sargdeckel öffnen, und nichts ist drin.

Dann vielleicht doch lieber das Etikett „Vorläufer des Trance“?
Ebensowenig. Erstens sind Vorläufer und Nachzügler nur zwei Seiten derselben Medaille. Und dann schon lieber Dance als Trance.

Und was genau ist das: Dance?
Beugt der arteriosklerotischen Knorpelverhärtung vor.

Klingt reichlich vage.
Stimmt. Du kannst Deine Schubladen also ruhig geschlossen halten.

Könnte Dir so passen. Auf der nächsten Schublade steht nämlich „New Age“. Wie fühlt man sich, wenn man von Esoterik-Jüngern zum Guru erhoben wird?
Das ist noch weiter weg, völlig jenseits meines Horizontes.

Aber Tangerine Dream sind aus den New-Age-Charts nicht mehr wegzudenken. Verfolgst Du das gar nicht?
Interessiert mich nicht.

Hörst Du New Age?
Nie. Nach zwei dicken Stücken Sahnetorte müßte ich kotzen – und meinen Teppich möchte ich schon sauberhalten.

In welchen Charts würdest Du Dich denn heimisch fühlen, wenn nicht in den New Age-Charts?
Die Top Ten der „Billboard Sales Charts“ wäre nicht schlecht.

1997 feiert man allenthalben den annodazumal so peinlichen Krautrock. Was steckt dahinter?
Keine Ahnung, wer auf die drollige Idee kam, diese Mumien wieder auszuwickeln, aber den Geruch mag ich nicht.

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Auf einer dieser Mumien steht Dein Name.
Ich kann und möchte anderen nicht verbieten, an alten Knochen rumzunagen. Es ist halt so: Wenn das Geschäft stagniert, geht man nicht den steinigen Weg nach vorne, sondern man kippt den Mülleimer aus und recycelt irgend etwas.

Muß man nicht schon verdammt verzweifelt sein, um ausgerechnet auf Krautrock zu setzen?
Das Music Business ist im Grunde wie eine blinde Kuh auf einer großen Weide, die ins Leere glotzt und brav wiederkäut.

Bist Du mit einer Definition des Wörtchens „Krautrock“ einverstanden, die Euch als Überväter der Bewegung führt?
Natürlich nicht. Ich schätze mich ehrlicherweise glücklich, daß mir die abgrundtiefe Bedeutung dieses Begriffs bisher gänzlich verschlossen blieb. Im übrigen: who cares?

Kraftwerk galten eine Weile als Eure potenteste Konkurrenz …
Kraftwerk? Die kann ich erst richtig gern haben, wenn ich sie in Trikots von Primaballerinen des Bolshoi-Balletts gesehen habe. Denen fehlt einfach noch die entscheidende Kling-Klang-Pirouette, das musikalische Drehmoment des Überalltäglichen. Ich liebe mehr die Ruhrpott-Morbidität, den wahren deutschen Undergound.

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Wie steht es denn überhaupt um Rock made in Germany?
Ich frage mich schon seit Jahren, ob es zwischen Flensburg und Garmisch wirklich nur noch Lindwurm und Rummmmstein, Kunzel und Pur gibt, oder ob da draußen in diesem unserem Lande auch noch ein paar kosmopolitisch Aufrechte Musik machen, denen ein schlecht gegriffener Em7-Chord von Rollstein Richards immer noch einen Schauer den Rücken hinunterjagt. Und dann stelle man sich vor, was passieren würde, wenn auf das ganze musikalisch-mentale Elend auch noch die Kunzel-Quote gepfropft würde. Der Bundestag verfügt: deutsche Mucke für den deutschen Macker, Hilfe, in welchem Jahrhundert leben wir eigentlich?

Bietet Dir die Arbeit an Soundtracks die Möglichkeit, außerhalb des verachteten Music-Biz kreativ zu sein?
Selbst da herrscht mittlerweile Massenfertigung vor. Interessant wäre allenfalls eine radikale Umsetzung von Bildern in Musik, möglichst ohne Dialog, etwa für Dokumentationen. Ansonsten können Soundtracks leicht zur Routine werden.

Was hältst Du den Kritikern entgegen, die Eure Musik heute als unwichtig bezeichnen?
Ist völlig in Ordnung. Wir waren 1970, als wir anfingen, ebenso unwichtig wie 1997, nur eben für einen anderen Personenkreis. Daß wir den trendgeilen Schreibern mittlerweile nichts mehr zu bieten haben, könnte ja auch daran liegen, daß wir unsere Musik nicht für diese Leute machen.

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Wer genau ist denn Eure Klientel?
Nun, wir werden als Label beispielsweise in einem virtuellen Plattenladen einsteigen, von wo aus man sich Musik auf den heimischen Rechner downloaden kann. Mit 8 Bit hört man sich in Mono 20 Sekunden rein und bei Gefallen lädt man sich das Gewünschte einfach runter.

Und wie bezahlt man?
Per Kreditkarte, nehme ich an.

Könntest Du Dir auch vorstellen, selbst Kunde zu sein in so einem virtuellen Laden?
Nein. Ich bin zwar beides, Musiker und Kaufmann, kann’s aber nur gut machen, wenn ich es von vornherein strikt voneinander trenne.

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Schöne neue Welt?
Schön nun ganz sicher nicht, denn rein ästhetisch gesehen ist es absolut grässlich.

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