Ein bisschen Zug muss sein oder: gescheiterter Text über Arcade Fire

Ich versinke in Gedanken an ein Swing-Album von Arcade Fire. You ain't going nowhere. Aber: Ein bisschen Spaß muss sein (Roberto Blanco).


Folge 17:

Ich habe mir vorgenommen, dieses Mal über etwas Modernes zu schreiben. Über „Reflektor“, den vorab zum neuen Album veröffentlichten Song von Arcade Fire zum Beispiel. Das ist als Thema allemal besser als die ebenfalls brandneue Swing-Platte von Roberto Blanco („Ein bisschen Spaß muss sein“). Der Titel des Blanco-Werks ist übrigens „Swinging New York“. Das mag mancher fad finden. Und sicher: Hieße das neue Arcade-Fire-Stück „Swinging New York“ und die Blanco-Platte „Reflektor“, fände auch ich das, glaub ich, aufregender.

Da ich ein in digitalen Belangen einigermaßen langsamer Mensch bin, hat es ein Weilchen gedauert, den Arcade-Fire-Song zu finden („Boah, der Pfeil!“: augenrollende Leser, kopfschüttelnde Leser, Leser vermutlich auch, die gleichzeitig mit den Augen rollen und den Kopf schütteln, fast so, als hätten sie bei My Bloody Valentine ohne Ohrstöpsel vorne vor den Boxen gestanden). Irgendwann war der Song nebst Video dann gefunden, die Füße wurden hochgelegt, das Knabbergebäck geöffnet und „Play“ gepresst. Das Blöde ist: Mir fällt nicht allzu viel zu dem Stück ein. Wahrscheinlich ist der Song irrsinnig gut, allein, er macht nichts mit mir. Im Video ist immerhin irgendwann etwas zu sehen, was aussieht, als hätte jemand aus ganz vielen ollen Discokugeln eine Udo-Lindenberg-Figur gebaut. Dieser Text ist übrigens ein Experiment. Nicht gewollt, aber zwangsläufig: Ich schreibe ihn in einem Zugabteil, zwischen eine fröhliche Reisegruppe kurzhaariger Rentnerinnen mit Gerry-Weber-Taschen geklemmt. Gleich wird der Tourauftakt-Sekt entkorkt. Ich setze dann mal den Kopfhörer auf. Und höre ein wenig Musik.

So eine Bahnfahrt eignet sich vortrefflich dazu, mal seine Playlists durchzuputzen und zu schauen, wieviel musikalischer Ballast sich abwerfen lässt. Unter meinen selbst erstellten Wiedergabelisten stoße ich auf zwei besonders schön betitelte. Die eine heißt „Keine Gitarren mehr!!!“ und enthält Musik unter anderem von Wilson Simonal, Serge Gainsbourg, Accordion Tribe und Ornella Vanoni. Ich will nicht ausschließen, dass einige der in dieser Liste versammelten Lieder sehr wohl mit Gitarristik ausgestattet sind, aber die Idee beim Anlegen war wohl eher, der Gitarren-Allmacht in meinem Musikabdudelungsprogramm Einhalt zu gebieten. Ich hätte die Playlist übrigens viel eher „Nieder mit der Digitalität!“ nennen können, denn alle hier aufgetürmte Musik wurde auf rauschendem Band aufgenommen. Die andere Liste heißt „Laurel Canyon Schlurf“. Auch eine gute Liste. Hier war es mein Bestreben, persönliche Höhepunkte des Spät-Sechziger-Früh-Siebziger-Fransenjacken-Pops zu versammeln. Mit dabei sind ausschließlich Musiker, die entweder Crosby, Stills & Nash sind oder so aussehen. Und Joni Mitchell natürlich. Vielleicht sollte ich beide Playlists kommerzialisieren, sie nach langen Lizenz-Verhandlungen als „Eric Pfeil präsentiert: Keine Gitarren mehr!!!“ und „Eric Pfeil präsentiert: Laurel Canyon Schlurf“ auf den Markt werfen. Ich könnte der Liste der spektakulären kommerziellen Misserfolge wohl zwei weitere hinzufügen.

Grad sagt die eine Rentnerin „Schokolade ist Gift!“. Sie insistiert regelrecht. Oha, und jetzt ist auch noch der Zug kaputt gegangen. Ob es Roberto Blanco („Ein bisschen Spaß muss sein“) recht ist, dass hinter seinem Namen immer in Klammern „Ein bisschen Spaß muss sein“ steht? Selbst wenn man versucht, es wegzulassen, steht es da. Man kann gar nicht Robert Blanco („Ein bisschen Spaß muss sein“) schreiben, ohne dass da nicht in Klammern „Ein bisschen Spaß muss sein“ steht. Es folgt wohl einem Automatismus. Bei Arcade Fire ist der Fall noch nicht so klar, da steht noch gar nichts in Klammern.

Lustig: Seit einer dreiviertel Stunde steht der Zug nun auf offener Strecke, und in meinem digitalen Musikabdudelungsgerät läuft Dylans „You Ain’t Going Nowhere“. Es gibt so schöne Lieder über Züge. Züge selbst aber sind doch eher ärgerlich.

In der „Bild“, die eine der Rentnerinnen jetzt in mein Gesicht aufschlägt, steht, Sinead O‘ Connor habe sich das Gesicht tätowiert. Zeit, aufzustehen und in den Bistro-Wagen zu gehen. Doch, oh Schreck: Der Bistro-Wagen ist ein Disco-Wagen. Etwa zehn rotköpfige Herren in karierten Hemden frönen hier der durch den Ausnahmezustand des Zug-Herumstehens motivierten Enthemmung. Sie trinken Bier und brüllen laut. Einer hat sein Smartphone auf laut gestellt und bedudelt das Bistro mit einem Charts-Sampler. Es läuft irgendetwas, was sich anhört, als hätten Bon Jovi und 30 Seconds To Mars gemeinsame Sache gemacht. Rasch zurück zu den Rentnerinnen.

Doch auch hier ist inzwischen eine Form der Ausgelassenheit ausgebrochen, gegen die kein Kopfhörer ankommt. Deutsche Bahn – nie wollte ich über Dich schreiben! „Typisch Mehdorn“, ruft eine der Rentnerinnen. „Ach, der ist doch gar nicht mehr im Amt“, informiert eine andere. Ich versinke in Gedanken an ein Swing-Album von Arcade Fire. You ain’t going nowhere. Aber: Ein bißchen Spaß muss sein (Roberto Blanco).

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