Ein Mann für alle Felle

Bryan Ferry, Mambo-King, Frauenheld und Dressman, spricht ungern über seine Musik. Beim Hausbesuch in London wird trotzdem klar, warum sein Album „Olympia“ so gut ist.

Das sagt der Song: „It was the Mambo talking, it’s got a lot to say“. Wenn der Mambo erzählt und im gedämpften Licht des Clubs die Konturen und Farben verschmelzen, dann ist es gut, ein Mann zu sein. Durch schmale Gänge führt uns der Rhythmus, in einen prachtvollen Saal voller Frauen, die wie in Trance tanzen. In High Heels und Glitzerkleidern lassen sie die Haare fliegen, wiegen lasziv die Hüften und blicken traumverloren in andere Welten.

Das Video zu Bryan Ferrys „You Can Dance“, dem die Szenerie entstammt, ist sicherlich die eleganteste Männerfantasie des Jahres. Wie ein Voodoopriester im Maßanzug steht der Sultan of Suave da vor seiner Band (die einzigen Männer im Raum), während sich die Damen dem hypnotischen Song hingeben: „And in the dolce vita I found my beauty queen.“ Glitzerpartikel regnen von der Decke, ein sanfter Nebel verschleiert das Treiben, das aussieht wie eine erotische Fantasie von Tom Ford – wäre er heterosexuell.

„You Can Dance“ ist der beste Bryan-Ferry-Song seit langer Zeit, vermutlich seit Jahrzehnten. Auch das neue Album „Olympia“ orientiert sich wieder an der verschwenderischen Opulenz von Klassikern wie „Boys And Girls“. Die Liste der mitwirkenden Musiker ist entsprechend lang und reicht von den Scissor Sisters, Groove Armada und Flea über Radioheads Jonny Greenwood bis zu David Gilmour, Marcus Miller und Nile Rodgers. Und da auch die Herren Manzanera, Mackay und Eno mitgewirkt haben, weht durch das Werk bisweilen sogar ein Hauch von Roxy Music.

Selbst wenn nicht alles so brillant gelungen ist wie „You Can Dance“ – mit dieser Rückkehr zur alten Form hatte man bei Ferry, dem einst so stilsicheren und souveränen Gentleman des Art-Pop, nicht mehr gerechnet: „Dylanesque“ war eine überflüssige Hommage an den großen Bob, „Frantic“ pendelte unentschlossen zwischen den üblichen Coverversionen und einigen dunklen Geniestreichen. Erst „Olympia“ besitzt wieder das Gespür für eine ganzheitliche Inszenierung und jene dekadente Melancholie, die sich seit dem Roxy-Evergreen „In Every Dreamhome A Heartache“ von 1973 durch die Songs des kunstsinnigen Sängers zieht. Hier rebellieren keine milchbärtigen Boys gegen ihre Eltern, hier wird sich nicht demonstrativ der Intimbereich rasiert. Dies ist die Welt der Erwachsenen, die durch Figuren wie Don Draper und die Fernsehserie „Mad Men“ momentan ein überraschendes Revival feiert.

Und wenn wir erwachsene Männer sagen, dann reden wir nicht von Baumarkt-Machos, nicht von Angestellten im Boss-Anzug und auch nicht von Kuschelbären mit „Nido“-Abo. Wir sprechen von der Idee des Dandys, von der Rückkehr des Gentleman in den Pop, den niemand so gut verkörpert wie eben Bryan Ferry.

Olympia ist der Name eines Bahnhofs im Londoner Stadtteil Kensington. Direkt gegenüber, in einer kleinen Sackgasse, befindet sich in einem Fabrikgebäude aus altem Backstein Bryan Ferrys „Studio One“. Ein Team junger, durchweg gut aussehender Menschen um seinen zweitältesten Sohn Isaac Ferry kümmert sich hier um jedes Detail, das die Karriere des Sängers betrifft: Musikproduktion, Artwork, Booking und Management. An den charmant unverputzten Wänden im Kellergeschoss hängt viel Kunst, aber auch große Prints von nicht verwendeten Versionen der berühmten Roxy-Music-Cover. Im Flur drängen sich Kleiderständer voller Bühnen-Outfits, dahinter liegen die Aufnahmeräume, in denen auch einige Songs von „Olympia“ entstanden.

Ferry persönlich führt durch ein Reich voller Röhrenverstärker und antiker Keyboards. Fast zärtlich streichelt er über ein altes Mischpult aus den Siebzigern, nur um später von den tollen Möglichkeiten der digitalen Aufnahmetechnik zu schwärmen. Doch im Grunde seines Herzens, das spürt man auch bei anderen Themen, ist er eher der nostalgische Typ. Nach dem kleinen Rundgang geht es eine steile Treppe hinauf in Ferrys, nennen wir es: Arbeitswohnung. Die Tische biegen sich unter der Last erlesener, großformatiger Kunstbände, daneben die persönliche Einladung zu einer Polo-Veranstaltung, einem Charity-Event von Cartier. Alles wie erwartet.

Der trotz seiner 65 Jahre immer noch jungenhaft wirkende Ferry trägt heute Freizeit-Look: hellblaues Hemd unterm rostbraunen Jackett, verwaschene Jeans und hellbraune Budapester. Er erinnert sich an unser letztes Gespräch vor drei Jahren und ist überhaupt mehr Gastgeber als Interview-Partner. Das mitgebrachte iPhone, mit dem das Gespräch aufgezeichnet wird, verleitet Ferry dazu, in die Tasche seiner Jacke zu greifen. Wortlos legt er ein uraltes Mobiltelefon auf den Tisch, einen klobigen Riegel, wie man ihn sonst höchstens noch im Technikmuseum sieht.

„Funktioniert das noch?“ – „Aber sicher! Es dürfte allerdings schwer sein dafür einen neuen Akku zu finden.“ Ferry amüsiert sich königlich über seine kleine Einlage – die er übrigens, wie später die Lektüre zeigt, bei Interviews derzeit regelmäßig bringt.

Eben war noch Bryan Adams hier, um Bilder für die „Vogue“ zu machen. Aus gutem Grund: „Olympia“ ist die aufwendigste und opulenteste Produktion des Sängers seit „Bête Noire“ von 1987. Wieder einmal dauerte die Arbeit viele Jahre – kein Wunder, wenn allein schon im Song „You Can Dance“ gleich drei prominente Bassisten zum Einsatz kommen: Marcus Miller, Mani, Ex-Stone Roses, jetzt Primal Scream, und Flea von den Red Hot Chili Peppers. „So etwas ist natürlich ein großer Luxus“, gibt er zu. „Ich habe allerdings schon bei den meisten Songs von, Boys And Girls‘ (von 1985, Anm. d. Red.) mit mehreren Bassisten gearbeitet – jeder mit einem besonderen Gespür für einen bestimmten Teil.“

Ferry ist berüchtigt dafür, dass sich seine Produktionen oft endlos hinziehen: Die Arbeit an dem 1994 erschienenen Album „Mamouna“ dauerte insgesamt acht Jahre. Das liegt daran, dass er seine Songs sehr langsam schreibt, in der Regel erst im Studio, außerdem holt sich der Sänger gerne die besten Musiker. Aus diesem Sammelsurium richtige, fertige Songs zu machen, war auch bei „Olympia“ für Ferry und seinen Produzenten Rhett Davis keine leichte Aufgabe: „Wenn ein Stück sich als Fehlschlag entpuppt, werfe ich es meistens sofort weg. Aber wenn es etwas Besonderes hat, so wie meine Version von Tim Buckleys, Song To The Siren‘, hebe ich es gern auch sehr lange auf. In der Kunst ist es ohnehin üblich, dass ein Maler ein Bild ein paar Jahre lang liegen lässt, bevor er es herzeigt. Das Material entwickelt dadurch mehr Charakterzüge.“

Im Unterschied zu den meisten anderen Musikern spricht Ferry nicht gerne über die Entstehung seiner Alben. „Ich rede lieber über Kunst, Design und Filme, die ich mag. Es ist schön, in Konversationen verschwenderisch mit den Themen umzugehen.“ Ein Gespräch über seine eigene Musik scheint Ferry zu langweilen, und an Details kann er sich ohnehin selten erinnern. Die Frage nach den Namen der zahlreichen Remixer von „You Can Dance“ (die bekanntesten davon sind DJ Hell und Simian Mobile Disco) gibt er telefonisch an Sohn Isaac weiter. Auch das Songwriting bringt ihm nichts als Verdruss: „Ich liebe es, eigene Stücke zu singen, aber ich bekomme einfach nicht genug Material fertig. An manchen Tagen ist das sehr frustrierend, wenn ich ohne Text dastehe und noch nicht einmal weiß, wovon er handeln könnte.“

Nicht zuletzt wegen solcher Schreibblockaden besteht das Solomaterial seit dem 1973 veröffentlichten Debüt-album „These Foolish Things“ überwiegend aus Coverversionen. Ferrys Hang, sich gerne öffentlich über die Zumutungen des modernen Lebens zu echauffieren, erleichterte der Marketingabteilung sicher auch nicht die Arbeit. Im letzten Jahr klagte der in einem Haus ohne Bad aufgewachsene Sohn eines Bergarbeiters gegenüber einem „Times“-Reporter: „Musik als Lebensunterhalt ist eine ziemlich harte Angelegenheit. Mit jedem Album muss man das Rad neu erfinden, es ist wie die Neuerfindung von Tabasco oder HP-Soße. Man muss es immer wieder und wieder tun, und die Leute werden schnell ungehalten, wenn man nicht sein Bestes gibst. Das ist wie ein Examen. Man ist nur so gut wie sein letztes Album.“

Ferrys letztes Werk, die 2007 erschienene Hommage „Dylanesque“, war leider wirklich nicht so toll. Dazu passierte während eines Interviews, das er im Berliner Hotel Adlon der „Welt am Sonntag“ gab, ein echter Kommunikations-GAU: „Die Art und Weise, wie sich die Nazis inszeniert und präsentiert haben, meine Herren! Ich spreche von den Filmen von Leni Riefenstahl und den Gebäuden von Albert Speer und den Massenaufmärschen und den Flaggen – einfach fantastisch. Wirklich schön.“ Sein Studio nennt er da seinen „Führerbunker“.

Hat er das wirklich so gesagt? Ferry ändert die Körperhaltung, hebt die Stimme: „Ich habe mein Studio nie, Führerbunker‘ genannt! Ich liebe allerdings die Architektur von Speer, und wir sprachen auch über Leni Riefenstahl. Ich sagte über mein Studio:, Es ist wie ein Bunker.‘ Und der Interviewer witzelte:, Ein Führerbunker, ha ha.‘ Diese Geschichte wurde allerdings drei Monate später von zwei englischen Journalistinnen so hochgekocht, dass die Angelegenheit sogar im englischen Parlament zur Sprache kam. Das war eine sehr traurige Episode, geschmacklos und ärgerlich.“ Vertreter der jüdischen Gemeinde äußerten sich empört, seinen Job als Model für Marks & Spencer musste Ferry aufgeben, und die amerikanische Plattenfirma ließ „Dylanesque“ fallen wie eine heiße Kartoffel. Ferry entschuldigte sich, sagte, er habe aus einer kunstgeschichtlichen Perspektive heraus argumentiert. Und auch jetzt betont er noch einmal: „Ich bin wirklich kein Rassist! Gerade in Amerika sind die meisten meiner Freunde Schwarze oder Juden.“

Das wirkt zwar glaubwürdig, aber von der Faszination des Sängers für martialische Massenaufmärsche wusste man schon früher. Wie David Bowie hatte auch Ferry in den Siebzigern mit der Ästhetik des Dritten Reichs kokettiert: „Die Nazis hatten ein gutes Gespür für optische Außenwirkung“, erklärte er schon damals einem Journalisten.

Für die Live-Präsentation des Roxy-Music-Albums „Country Life“ bedeutete das: Auf den Samtvorhängen vor der Bühne prangte zwischen zwei Adlerflügeln das Logo „RM“. Das von Antony Price entworfene Bühnenkostüm Ferrys gab der faschistoiden Bildsprache einen zusätzlichen Kick. Zu Stiefeln, Reiterhose und Uniformhemd trug er einen straff zur Seite gekämmten Scheitel. Es war allerdings auch die Zeit von Liliana Cavanis Film „Der Nachtportier“, die Tage, als Lou Reed die Dekadenz des alten „Berlin“ besang und böse Rock-Buben wie Iggy Pop und Keith Moon das Hakenkreuz als Schockeffekt entdeckten. Ein peinliches, sinnentleertes Spiel mit Zeichen und Symbolen, von dem man halten kann, was man will – als politische Aussage war es nie gemeint.

Ferry ist ein treuer Anhänger der Konservativen, und wie sein ältester Sohn Otis unterstützt er die Fuchsjagd – für ihn eine unverzichtbare Form des traditionellen country life. Sein britischer Kleidungsstil unterstreicht das und erinnert dabei mehr an Roger Moores James Bond als an die Outfits zeitgenössischer Popstars. Nicht einmal für Gucci und Dior, die Roxy Music 2001 während ihrer Comeback-Tour einkleideten, kann sich Ferry begeistern: „Das sind keine Designer, das sind Hersteller von Design – ein entscheidender Unterschied“, lacht er wissend und ein bisschen blasiert. „Ich persönlich trage lieber maßgeschneiderte Kleidung.“

Der Saville-Row-Schneider Richard Anderson trifft Ferrys Geschmack in dieser Hinsicht ebenso gut wie der italienische Herrenausstatter Rubinacci. „So sehr ich auch Jimi Hendrix verehre – in Sachen Extravaganz belasse ich es lieber bei den Knöpfen und Manschetten“, sagt er im amüsierten Cary-Grant-Tonfall – neben Humphrey Bogart, Gene Kelly und Fred Astaire ist Grant eines seiner großen Vorbilder.

Im Unterschied zu AC/DC oder Kiss bleibt Ferry die Peinlichkeit erspart, noch im fortgeschrittenem Alter mit Masken oder kurzen Hosen auf die Bühne zu müssen. „Das ist nicht meine Welt“, wiegelt er ab, um dann nachdenklich anzufügen: „Aber sie haben das größere Publikum.“ Doch wie geht Bryan Ferry damit um, dass er am 26. September 65 Jahre alt geworden ist? „In meinem Alter sollte man nur noch die Dinge tun, bei denen man sich wohl fühlt. Aber, anders betrachtet: Als ich ein junger Fan war und mir in der City Hall von Newcastle Duke Ellington, Count Basie oder das Modern Jazz Quartett ansah, da waren das auch lauter alte Leute. Ich glaube nicht, dass man als älterer Künstler automatisch würdelos agiert. Ich schlage ja keine Salti auf der Bühne.“ Er lacht kurz sein typisches trockenes Hahaha und ergänzt: „Ich wünschte, ich könnte das …“

Wenn es um viel zu junge Frauen geht, unterscheidet sich der Gentleman des Pop allerdings kein bisschen von seinen polternden Rockstar-Kollegen: Mit 30 machte er der 18-jährigen Jerry Hall den Hof (die ihn später wegen Mick Jagger verließ), sechs Jahre danach heiratete er die 22-jährige Lucy Helmore. 2003 war die 35 Jahre jüngere Roxy-Music-Tänzerin Katie Turner einer der Gründe, warum die Ehe in die Brüche ging.

Ferrys jüngste Flamme Amanda Sheppard, 27, übernahm er gar von seinem Sohn Isaac, der mit der PR-Agentin eine lockere Beziehung gehabt hatte. Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn ist trotzdem prächtig. Aber warum geht Ferry so selten mit gleichaltrigen Frauen aus? „Keine Ahnung. Vielleicht treffe ich einfach keine! Man trifft wirklich mehr junge Single-Frauen als alte …“

Über diesen Quatsch muss er dann freilich selber lachen. Selbstironie gehört zu Ferrys großen Stärken.

Trotzdem kommt der Mann heute nicht so richtig in Fahrt. Erst die Frage nach seiner Kunstsammlung verbessert die Laune: „Ich sammle seit den späten Siebzigern und habe vermutlich mehr Freunde in der Kunstwelt als unter Musikern. Selbst der Albumtitel, Olympia‘ bezieht sich nicht allein auf das Viertel hier, es gibt auch ein bedeutendes Gemälde von Manet, das so heißt. Es zeigt eine auf dem Bett liegende, nackte Kurtisane, daneben ein Dienstmädchen. Das war für die damalige Zeit ein Skandal.“

Nun kommt Leben in den ehemaligen Kunststudenten, der im Sommer einen Teil seiner Sammlung auf der Londoner „Fine Arts Fair“ ausstellte: „Kommen Sie, ich zeige Ihnen mal ein paar Sachen“, sagt er, springt auf und beginnt die Tour mit einem düsteren Gemälde des Surrealisten John Armstrong von 1952.

„Die Kunst des frühen 20. Jahrhunderts ist mein Gebiet, das fing mit meinem Erfolg als Musiker an“, erklärt Ferry, während er von Bild zu Bild durch die Wohnung führt. „Der Finanzmarkt mit seinen Aktien und Anteilen hat mich nie interessiert. Ich besitze auch keinen Ferrari oder ein Boot – aber ich liebe Malerei. Das sind keine wahnsinnig teuren Stücke, verglichen mit dem Markt für zeitgenössische Kunst. Aber es sind schöne Bilder, mit denen ich seit 30 Jahren lebe. Am meisten interessieren mich die Modernisten zwischen 1915 und 1920, aber die habe ich alle in meinem Haus. Die Gemälde, die Sie hier sehen, sind anders. Viele stammen von Richard Hamilton …“ Dem Pop-Art-Künstler, bei dem Ferry selbst in London studiert hatte.

Im Schlafzimmer dominieren allerdings dunkle Schwarzweiß-Fotos von Marilyn Monroe – Ferry ist glühender Verehrer. Die vielen teuren Kosmetikprodukte legen den Verdacht nahe, dass der Charmeur hier wohl selten alleine schläft.

Im Vorfeld der „Olympia“-Veröffentlichung wurde viel über ein club-affines Album gemutmaßt, doch am Ende erwecken nur einzelne Stücke diesen Eindruck. Interessiert sich Ferry überhaupt noch für die Dance-Szene und ihre Rituale? „Ich war in letzter Zeit ein paar Mal auf Ibiza, das hat Spaß gemacht. Da gibt es die Sven-Väth-Nacht im Amnesia, einem riesigen Club mit einer besonderen Atmosphäre. Sie haben dort professionelle Tänzer, aus allen Ecken wabert Dampf, und auch die Lichtregie ist superb. Das ist eine andere Kultur, als die in der ich lebe, aber irgendwie lustig und interessant. Die Musik von Roxy Music wurde früher in ähnlichen Clubs gespielt.“

Heute spielen Bands wie Groove Armada und Scissor Sisters die Rolle der sexy Neuerfinder. Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit den Bands, die in Ferrys Stereoanlage sicher nicht in Heavy Rotation laufen? „Mein Sohn Isaac arbeitet seit zwei Jahren mit mir zusammen. Er ist selber DJ und sehr gut vernetzt, wenn es um Kontakte und Zusammenarbeiten mit Künstlern aus dieser Szene geht., Shameless‘ zum Beispiel basiert auf einem Backing-Track von Groove Armada, um den herum ich dann den Song geschrieben habe.“

Das Ergebnis klingt fantastisch, eine Art Mix aus „Love Is The Drug“ von Roxy Music und dem, was derzeit in Berliner und Londoner Clubs läuft. Eine clevere Strategie, die nicht nur den alten Fans, sondern auch einem jüngeren Publikum zeigen soll, dass Ferry immer noch ein cooler Hund ist. Von Hells „You Can Dance“-Remix profitierten ja schon beide: Der DJ konnte mit einem echten Star aufwarten, und der Sänger bekam von den meisten Medien von „Guardian“ bis „De:Bug“ eine Sternstunde seiner Kunst attestiert. Trotzdem, oder gerade deshalb, fragt man sich, warum der Mix, vertreten auf Hells Album „Teufelswerk“, fast ein Jahr vor dem Original veröffentlicht wurde. „Die Version von Hell ist ganz anders, sie hat eine völlig unterschiedliche Melodie“, sagt Ferry. „Überhaupt, die ganze Welt der Musik wirkt heute so viel freier. Ich toure im Moment mit Roxy Music, zur gleichen Zeit veröffentliche ich mein Soloalbum. Ich habe nicht das Gefühl, dass da ein Konflikt besteht, aber in der Vergangenheit hätte das wohl einen gegeben.“

Fast glaubt man darin ein leises Bedauern mitschwingen zu hören. Ferry ist Romantiker, eines seiner letzten Alben (mit Songs aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts) trug den wehmütigen Titel „As Time Goes By“. Auch „Olympia“ könnte man für eine Reminiszenz an seine bisherige Karriere halten: Das von Godards Nouvelle-Vague-Science-Fiction „Alphaville“ inspirierte gleichnamige Stück atmet die mondäne Andersartigkeit von Roxy Music, „Me Oh My“ ist berührend intensiv und gehört zu Ferrys besten Sololiedern. Er selbst wirkt in diesem Szenario wie ein in die Jahre gekommener Landedelmann, der darüber nachdenkt, seinen Besitz und sein Wissen an die nächste Generation weiterzugeben. Neben dem bereits erwähnten Isaac war auch Sohn Tara Ferry stark an der Produktion von „Olympia“ beteiligt. Der 20-jährige Schlagzeuger spielt neben dem langjährigen Drummer Andy Newmark auf allen Stücken. „,Olympia‘ ist eine Mischung aus Generationen, Stilen und Persönlichkeiten“, glaubt Ferry. „David Gilmour spielt die Rolle des alten Helden. Er ist ein großartiger Instrumentalist, mit dem ich seit dem, Live Aid‘-Konzert immer wieder zusammenarbeite, eine Art Gegenpol zu den Dance-Remixern. Bei einem Soloalbum stellt man sich ja seine ideale Band zusammen. Nur Eric Clapton fehlt noch! Vielleicht das nächste Mal …“

Bryan Ferry lacht, aber er meint es ernst. Er hat ein großes Herz für die Rock-Recken, mit denen er aufwuchs, selbst wenn sie heute Langweiler sind. Sonst würde sich wohl auch kein Stück von Stevie Winwood und Jim Capaldi auf „Olympia“ finden: „,No Face, No Name, No Number‘ ist ein Song von Traffic aus den Sechzigern, den ich schon immer sehr mochte. Er ist allerdings sehr weit weg von dem, was ich normalerweise so mache.“ Und definitiv das schwächste Stück dieses ansonsten ganz erstaunlichen Albums.

Bryan Ferry hat in den letzten Jahren oft von der Arbeit an einem neuen Album mit Roxy Music gesprochen. Live spielt die Band bereits seit zehn Jahren wieder zusammen. Für den Sänger, möglicherweise auch für Gitarrist Phil Manzanera und Saxofonist Andy Mackay, ist das wohl ein Hobby, eine Art Fuchsjagd auf der Bühne. Trotzdem: Wenn alle darauf warten, dass dieses Album endlich erscheint – dann wirkt es wie ein Signal, dass sich jetzt Kate Moss auf dem Cover von „Olympia“ als Glamour-Girl räkelt, in deutlicher Anspielung auf die klassischen Roxy-Cover (siehe Kasten rechts). Und die Präsenz der alten Band ist auf der neuen Ferry-Platte nicht zu überhören. Es gibt typische Manzanera-Gitarrensounds, Mackay bläst ein paar wunderschöne Melodien, und auch Brian Eno ist dabei.

Andererseits haben die drei bereits an früheren Ferry-Alben mitgewirkt, wenn auch nie alle gemeinsam. Zuletzt taten sie das 1973 auf dem Meisterwerk „For Your Pleasure“. Was mag Ferry empfunden haben, als er mit den dreien im Studio war? „Es ist immer schön, mit Menschen zu arbeiten, die man mag und respektiert. Es war toll, dass Eno bei einigen Stücken dabei war. Auf einem meiner Lieblingstracks,, Me Oh My‘, ist er für ein paar sehr schöne Texturen verantwortlich.“ Euphorisch klingt das nicht gerade.

Zwischen Eno und Ferry gab es ja schon bei Roxy Music einen internen Wettkampf. Eine wirkliche Feindschaft ist daraus nie entstanden, man trifft sich gelegentlich auch privat – aber der Sänger fühlt sich vermutlich nicht ausreichend gewürdigt. Während Eno von Anfang an als Künstler und Paradiesvogel wahrgenommen wurde, galt Ferry ungerechterweise als manierierter Geck.

Heute beschallt Eno den Frankfurter Flughafen, entwirft iPhone-Apps, stellt seine Klangskulturen in Galerien aus, und wenn er Geld braucht, produziert er einfach ein Album für Superstars wie Coldplay. Ferry mag prominenter sein und letztlich mehr Platten verkaufen. Doch ihm ist durchaus bewusst, dass er nicht als Genie gilt, sondern eher als Ikone des Cool. Als jemand, der stilvoll die Gäste von Miuccia Prada unterhält. Wenn man zynisch wäre, würde man sagen, genau in diesem Dilemma wurzelt die bittersüße Melancholie von Bryan Ferrys Songs: aus der Sehnsucht nach Lust und Luxus und dem damit einhergehenden Überdruss.

Die Idee eines Roxy-Music-Albums ist mittlerweile übrigens auch vom Tisch. „Ich habe meine Meinung geändert, weil mir das Soloalbum wichtiger war“, erklärt Ferry ohne großes Bedauern. „Ich kann das nicht genau erklären. Ich hatte einfach das Gefühl, das wäre jetzt nicht das Richtige für mich. Es gab ganz bestimmt kein politisches Problem oder gar einen Zwischenfall. Ich fühlte mich einfach nicht danach.“

Stattdessen kostet „Olympia“ noch einmal die Süße der Erinnerung, spielt mit den Erwartungen viriler Clubbesucher, so wie einst Roxy Music. Und die melancholischen Stücke erzeugen eine Stimmung des Abschieds.

„Ich sehe meine Songs gerne als Hommage an fremde Werke. Ich verwende Eindrücke, die geblieben sind, und kreiere daraus neue Bilder“, sagt Ferry und wirkt etwas müde dabei. Ein Schöngeist, ein Kunstsammler – kein Typ, dem das lebenslange Rocken ein Bedürfnis wäre. Ein bestimmtes Songwriting wird aus dieser Haltung heraus überhaupt erst möglich: It’s the Mambo talking, it’s got a lot to say. Ferry behelligt uns nicht mit seinen Problemen, will nicht die Welt retten. Er schafft Räume für Stimmungen, Gefühle und Ängste.

Dass diese Orte etwas schillernder sind, etwas größer und intensiver als die Clubs und Salons der Normalsterblichen – das muss niemanden stören. Im Gegenteil. Mit „Olympia“ zeigt uns der Mann, der laut Journalistenphrase „so cool ist, dass er eigentlich in der Tate Gallery hängen müsste“, noch einmal sein Können. Was danach kommt? Wir werden sehen.

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