ein mann wie ein pferd

sänger, schauspieler und trinker

Richard Harris, der im Dezember letzten Jahres starb, kannte man als irischen Haudegen und bis zuletzt, etwa in „Gladiator“, als grandiosen Nebendarsteller. Als schwermütiger Balladen-Sänger, insbesondere als Interpret von Jimmy Webbs höchst skurrilem Schmachtfetzen „MacArthur Park“ wurde Harris hingegen nur wenig beachtet. Eine späte Würdigung.

der Summer of Hate und die gesamte zweite Jahreshälfte 1968 hatten einen sonderbaren Soundtrack, jedenfalls aus amerikanischer Perspektive, der einzigen also, die in der Popmusik jemals gezählt hat. Denn schaltete man Freitagsabends um 21 Uhr APN ein, um Casey Käsern bei der Präsentation der neuesten „Bilboard Top 15“ zu lauschen, wunderte man sich schon, dass sich dort, wie auf Bestellung und auffällig überproportioniert, Vertreter eines einlullenden Prozac-Pop für die damals so heftig beschworene silent majority tummelten: Herb Alperts „This Guy’s In Love With You“, „Honey“ von Bobby Goldsboro, Hugh Masekelas „Grazing In The Grass“, Sergio Mendes mit „The Look Of Love“ oder „Classical Gas“ von Mason Williams. Alles fürchterliches Zeug, aber immer noch erträglicher als Louis Armstrongs „What A Wonderful World“, zeitgleich in England der Hammerhit der Saison. Und dann gab es in diesen wildbewegten Tagen, in denen ja angeblich mindestens Umsturz, Bürgerkrieg und das Ende des Kapitalismus in der Luft lagen, noch einen Song, der wirklich out oft he blue kam, rein gar nichts mit der juvenilen Rockkultur zu schaffen hatte, dennoch aber in nullkommanichts an die Spitze aller Hitlisten schoss und dabei die Regeln dessen, was im Radio möglich war, neu definierte – weil er nämlich die Spielzeit von drei gewöhnlichen Popliedchen beanspruchte. Nach einem längeren Intro, in dem ein Piano auf eine Weise gegen ein Cembalo ankämpft, die auch dem letzten Banausen sofort klar macht, dass es hier um nicht weniger als Kunscht geht, teilt ein zweifelsfrei nicht mehr ganz junger und leicht atemloser Mann mit einem Timbre, das ihn nach rein musikalischen Kriterien umgehend zum Nicht-Sänger stempelt, das aber dennoch glaubhaft vermittelt, dass er so ziemlich jedes Elend dieser Welt gesehen hat, dem Hörer Folgendes mit: „Spring was never waiting for us, girl/ It ran one step ahead as we folded in the dance.“

Na, werden Erinnerungen wach? Genau, Kinorüpel Richard Harris als Zufallsinterpret von Jimmy Webbs „MacArthur Park“, dessen wohl genialsten Wurf unter vielen Versuchen, so etwas wie die definitive Hymne des adultpop zu kreieren. Wurde man damals von diesem Song im richtigen Alter und Moment erwischt, dann war und blieb der gute Richard Harris fortan als Sänger bedeutender denn in von ulrich von berq Erinnnerung an richard Harris

als Schauspieler. Ein begnadeter Trinker und unterhaltsamer Berufe-Ire war er eh. Gemach, wird da vielleicht mancher einwenden, alle Iren singen gern, oft und ungefragt, so wie sie alle – okay: einigen wir uns auf fast alle – saufen wie die Löcher (und nicht selten tun sie sogar beides gleichzeitig); aber ein wenig diffiziler ist die Entstehungsgeschichte des zeitlosen Schmachtfetzens schon, als dass man sie nur mit den Besonderheiten des Nationalcharakters erklären kann. Richard Harris, das sollte man vorausschicken, war zu dieser Zeit vielleicht kein Weltstar, aber doch ein vielgefragter Mann der ersten Liga. Was ihm abging, damals wie leider auch später, war der eine Überfilm, den man bis ans Ende aller Tage zuerst und zuletzt mit seinem Namen assoziiert. Dafür war „This Sporting Life“ zu misanthrop und kommerziell nicht erfolgreich genug (falsche Sportart?), „Major Dundee“ zu sehr Ensemblestück und „A Man Called Horse“ einen Touch zu schräg.

„Cromwell“ war zu britisch, „II Deserto Rosso“ zu verquast – kopflastig und zu stark aus der Perspektive der durchgeknallten Alten erzählt (abgesehen davon, dass es Clint Eastwood später in „High Plains Drifter“ wesentlich besser drauf hatte, eine Stadt rot anzupinseln); und bei Andre de Toths „Play Dirty“, der es, zumindest für meine Wenigkeit, hätte werden können, schmiss Dickie leider wenige Tage vor Drehbeginn wie so oft die Brocken hin.

Trotzdem war Harris zu seinen Glanzzeiten in der Öffentlichkeit ungeheuer präsent, er zählte zu jenen Stars, über die ständig etwas in der Zeitung zu lesen war. Berufliches wie Privates: eine wüste Suffeskapade; die Ankündigung, auf irgendeiner Bühne alsbald den endgültigen Hamlet hinzulegen; eine neuerliche Klopperei am Set (wobei schon Brando, Heston und Windmark ein Ding verpasst bekommen harten); ein halbgares politisches Statement, you name it. Kurz: Er war einer von denen, die gern auf wild und unangepasst machten, aber dabei stets mainstreamkompatibel blieben und nur auf der Leinwand in die Rollen wirklicher Rebellen schlüpften. Im gelackten Hollywood kam er immer als Europäer mit ernsthaften künstlerischen Ambitionen rüber, im seriösen Autorenkino der alten Welt als leicht fragwürdiger Actionfilm-Rabauke, was irgendwie clever, inkonsequent und spannend zugleich wirkte, und vielleicht fand ich ihn genau deshalb so toll. Daher war er einer derjenigen, die man treu und tapfer begleitete, als es mit der Karriere nach 1974 (Lesters „Juggernaut“, um präzise zu sein) rapide den Bach runterging, und er bestenfalls noch in interessant gescheiterten Filmen ansonsten guter Regisseure auftrat (etwa Frankenheimers „99 And 44/100%“), viel häufiger aber in blassen Spätwerken müder Routiniers (wie Andrew V. McLaglens „The Wild Geese“), und denen man aus alter Verbundenheit sogar bis hinab in die Niederungen des reinen, dumpfen Drecks folgte „Game fbr Vultures, Orca“, „Tarzan, the Ape Man“, der dritte unsägliche Aufguss von „A Man Called Horse“ -, was etwas ganz anderes ist als stimulierender Trash. Irgendwann war man etwas erleichtert, als er sich in den frühen 80er Jahren mehr oder weniger in den Vorruhestand verabschiedete, sich zwecks Entgiftung auf eine kleine Insel der Bahamas zurückzog (wo er umgehend zum health food nut mutierte) und in der Öffentlichkeit nur noch das Wort ergriff, wenn es galt, Dinge zu kommentieren, die für Irland von staatstragender Bedeutung waren.

Filmstars, deren Vokalkünste nicht mal für die Badewanne ausreichen, die irgendwann aber dennoch auf die perverse Idee kommen, unbedingt Schallplatten besingen zu müssen, gab und gibt es viele; sei es, weil sie den Einflüsterungen falscher Freunde erliegen, sei es, weil sie ihre Eitelkeit befriedigen wollen. Wahre Horrorkabinette ließen sich da zusammenstellen, und in kurzweiligen Büchern wie etwa „Hollywood Hi-Fi (Over 100 Of The Most Outrageous Celebrity Recordings Ever)“ von George Gimarc und Pat Reeder ist dies dankenswerterweise auch geschehen. Okay, Lee Marvins „Wand’rin Star“ konnte man als halbwegs gelungenen Gag durchgehen lassen, Robert Mitchums Versuche, Harry Belafonte nachzueifern, vielleicht auch noch. Wer aber zum Beispiel meint – und die Haltung ist weit verbreitet -, Clint Eastwood habe keinerlei Dreck am Stecken, dem sei geraten, sich einmal seine 1963 erschienene, heute nicht leicht zu findende LP “ Rawhide’s, Clint Eastwood Sings Cowboy Favorites“ anzuhören.

Es gibt aber noch ganz andere Abgründe. Tippi Hedren etwa, wenn sie Tim Hardins eben nicht unverwüstliches „If I Were A Carpenter“ anstimmt (1966 als Single erschienen), Telly Savalas, der mit oder ohne Lolli im Maul „You’ve Lost That Lovin‘ Feelin'“ massakriert (auf dem 74er Album „Telly“, das

mit „If“ sogar einen Nt 1-Hit beinhaltet), Goldie Hawn, die als Olivia Newton-John für Arme 1972 eine ganze LP vollflüsterte, die schlicht „Goldie“ heißt, oder Burt Reynolds, der Vergleichbares gleich mehrmals tat. Anthony Perkins, der nachweislich nicht mehr ganz dicht war, hat sich, als Tony Perlons, gleich auf drei LPs als Jazz-Crooner ohne jedes Talent verewigt; Burgess Meredith, der dagegen als hochseriöser Vertreter seiner Zunft galt, legte 1963 das ähnlich desaströse, schlichtweg unanhörbare Album „Songs Front How The West Was Won “ vor (obgleich er in dem Film gar nicht mitgespielt hatte) und Cybill Shepherd, die ja zumindest mal knusprig ausgeschaut hat, bat auf ihrer peinvollen, kokett schlüpfrigen 74er LP „Does It. To Cole Porter“ sogar Svengali Peter Bogdanovich zum Duett. Und das ist nur eine kleine Zufallsauswahl, die man gehört haben sollte, bevor man vorschnell die Meinung postuliert, es hätte erst als Begleiterscheinung der gegenwärtigen Spaßgesellschaft um sich gegriffen, dass immer mehr Menschen das Schamgefühl abhanden kommt.

Gefragt, wer denn aber nun den Vogel abschießt, welcher Leinwandheld bezüglich musikalischer Selbstverwirklichung am allermeisten auf dem Kerbholz hat, würde ich ohne zu zögern antworten: Stirn Pickens! Was der auf seinem 1980 veröffendichten (einzigen?) Album veranstaltet, das ist nicht mehr von dieser Welt: überwiegend religiöses Zeug, das klingt, als ob der Schäfer seinen Hund schlägt, aber auch zwei Kompositionen von Kinky Friedman sowie Guy Clarks eigentlich wunderschönes und oft gecovertes „Desperados Waiting For The Train“. Und doch: ohne Worte. Solchen Mist zu sammeln stellt ja für manche Menschen eine zentrale Lebensaufgabe dar – weshalb man seine Herstellung auch nicht gesetzlich verbieten sollte -aber ein klein wenig mehr Zurückhaltung wäre in vielen Fällen doch angebracht. In diesem Kontext erstrahlen die von der Kritik seinerzeit mehr ins Lächerliche gezogene als niedergemachten Sangeskünste von Richard Harris natürlich gleich in einem viel helleren Licht.

Den Sommer ’67, der ja nicht irgendein Sommer war, verbrachte Harris in Hollywood, wo „Camelot“ in einer aufwändigen Postproduktion Feinschliff erhielt, nachdem ja der überwiegende Teil der Dreharbeiten in Spanien absolviert worden war. Nicht, dass das noch etwas hätte retten können: Joshua Logans sperrig-unverdauliches Monster von einem Musical ist geradezu ein Paradebeispiel für jene gigantomanischen, aber seelenlosen Mammutproduktionen, an denen das Hollywood alter Prägung damals in völliger Verkennung der Tatsache, dass sich die Zeiten und vor allem der Publikumsgeschmack radikal verändert hatten, beinahe erstickt wäre.

Immerhin fünf Songs hatte Harris als König Arthur zu Gehör zu bringen – was er auch höchstselbst und ohne jede Form von dubbing tat, obwohl ihm später einer seiner Co-Stars, der lieber ungenannt bleiben wollte (Franco Nero?), attestierte: „He wasn’t the world’s greatest singer, in fact he was as hoarse and off-key as a dog.“ Dennoch bot die Columbia Harris an, eine LP mit irischen Saufballaden zu besingen, was wohl als flankierende Maßnahme für den Soundtrack von „Camelot'“ gedacht war. Zum Glück kam es anders, und das lag daran, dass sich Harris, der ja schon fast 40 war, urplötzlich für das aktuelle Musikgeschehen an der Westcoast zu interessieren begann. Er studierte die lokale Szene, hing in den angesagten Clubs mit den Byrds (die gerade seinem englischen Kollegen David Hemmings eine sträflich unterschätzte und heute rare LP auf den Leib geschneidert hatten), der dicken Mama Cass und anderen Berühmtheiten aus dem Rock herum und probierte begierig aus, was der gerade aufblühende Drogenmarkt zu bieten hatte, ohne dabei seinen imposanten Alkoholkonsum einzuschränken.

„He was back on the party arcuit, the oldest hippie in town but with the energy of a whippet. He danced, boozed and sang the nights away“, bringt es Michael Feeney Callan in seiner Biografie „A Sporting Life“ auf den Nenner. Harris verkehrte also jetzt in anderen Kreisen als die meisten Hollywoodstars dieser Zeit, weshalb er es sich auch nicht nehmen ließ, die Benefizgala für eine linke und notorisch klamme Alternativtheatertruppe zu unterstützen.

Bei diesem Gig spielte u.a. Johnny Rivers (auch so ein verdienstvoller Kämpe aus den Sixties, von dem man sich fragt, was er inzwischen so treibt) mit seiner Band, und in der saß ein mickriges, schüchternes, gerade 18-jähriges Bürschchen aus Oklahoma am Klavier. Er hieß Jimmy Webb und erzählte Harris, froh darüber, dass sich überhaupt so eine internationale Berühmtheit mit ihm abgab, dass er eigentlich Komponist sei und noch ganz neu an der Westküste. Mit Rock’n’Roll, den psychedelischen Undergroundklängen, die gerade von San Francisco aus die Popwelt auf den Kopf zu stellen begannen, und überhaupt mit jeder Form von Musik, die sich speziell an ein jugendliches Publikum wendet, habe er aber nichts am Hut Mit traditionellem Pop, also den zeitgeistmäßig inzwischen völlig verstaubten Musicals und Revuen aber genausowenig – er wolle ja schließlich, wenn er die Menschheit erst einmal von der Einzigartigkeit seines Talents überzeugt habe – keinesfalls im Broadway-Ghetto enden.

Webb schwebte, textinhaltlich wie musikalisch, eine ganz neue Art von Popmusik vor, zugleich seriös und bedeutungsvoll als auch verspielt und eingängig, die, losgelöst von kurzfristigen Moden und Trends, mindestens für die Ewigkeit geschaffen ist, und sich an Leute wendet, die schon ein wenig davon mitbekommen haben, wo es im Leben lang geht, also nicht an kreischende Teenies und zugedröhnte Hippies. Man kann nur spekulieren, ob Harris sich darunter konkret etwas vorstellen konnte, aber er war vom grenzenlosen Selbstbewusstsein des jungen Kerls schwer beeindruckt und nahm ihn unter seine Fittiche. „He took me where ever he went. It was great No matter where we went, even the rowdiest bar in LA, I knew, I’d be looked after“, erinnerte sich Webb später an diese Zeit, Doch bald schon zog es Harris zurück nach Europa, einerseits um den letztlich untauglichen Versuch zu starten, die Ehe mit seiner ersten Frau Elizabeth zu retten (mit ihr war er seit 1957 verheiratet – später ehelichte sie Rex Harrison); zum anderen, um abseits des wilden Szenerummels in Ruhe neue Rollenangebote zu sondieren, darunter die für ein weiteres Musicals, nämlich „On A Clear Day You Can See Forever“. Er hätte also ganz gern wieder gesungen und den Part wohl auch bekommen, lehnte ihn aber, wie so oft, im letzten Augenblick dann doch ab, weil die Autoren Alan Jay Lerner und Frederick Loewe einige Songs, die Harris besonders am Herzen lagen, gestrichen hatten. So war er drauf. Er bunkerte sich in seiner sündhaft teuren neuen Wohnung im Londoner Nobelviertel Belgravia ein, zu der nur ausgesuchte drinking buddies Zutritt hatten, trug wallende Kaftane und auf dem Kopf die Krone, die er vom Set von „Camelot“ gemopst hatte. Der Presse verkündete er: „I’m only going to play kings from now on.“

Dass Webb inzwischen mit nur zwei Songs – Glen Campbeils „By The Time I Get To Phoenix“ (für ihn schrieb er kurz darauf auch den Dauerbrenner „Wichita Lineman“) und „Up, Up And Away“ (der Urknall des Fahrstuhl-Muzaks) von den 5th Dimension (die schwarze Antwort auf die Mamas & Papas, deren Hauskomponist Webb mit viel Erfolg war) – beinahe über Nacht zum heißesten Hitlieferanten der Branche avanciert war, dürfte er dennoch mitbekommen haben. Folglich tat Harris etwas, das Callan „abruptly U-turned from alcoholic idleness“ nennt, aber nichts weiter war, als per Telegramm folgende Worte an Webb zu richten: „Come to London STOP Let’s make a record STOP Love Richard“.

Webb, dem Dutzende Stars aus allen Sparten der Popmusik gerade die Tür einliefen, kam umgehend, im Gepäck rund 40 Songs, für die er größtenteils schon die endgültigen Arrangements im Kopf hatte. Das Prunkstück der Kollektion war natürlich „MacArthur Park“. Überkandidelt, sinnleer, bedeutungsschwanger in seltenem Mischverhältnis und zugekleistert mit schiefen Sprachbildern, bot das Epos jede Menge Angriffsflächen. Es gehörte zweifellos Mumm dazu, mit so etwas in die Öffentlichkeit zu treten, gerade wenn man stimmlich limitiert war, wie Harris einen Ruf zu verlieren hatte und ein Macho-Image dazu. „MacArthur Park“ entfaltete seinen eigenen Kosmos, war weit entfernt von der Schmierlappigkeit, die Sinatra und Dean Martin trotz gelegentlich guter Lieder immer umflorte, war nicht so prollig-vulgär wie die Hits von Tom Jones, der damals seine größte Zeit hatte, aber irgendwie aus derselben Ecke, eben auch für Erwachsene und solche, die sich dafür hielten. „MacArthur Park“ war ungewohnt weird und wohlig altvertraut zugleich. Und unerhörte siebeneinhalb Minuten lang, in denen der damals erst 19-jährige Webb produktionstechnisch Amok lief (wobei er auch weitaus größere Vokalakrobaten als Harris plattgewalzt hätte) und ein Soundgebräu anrührte, das so klingt, als hätten Phil Spector und Richard Wagner zusammen Acid eingeworfen: Streicher-Sturzfluten und Bläserattacken: Gewitterfronten krachender Becken und das Background-Gejaule eines Engelchores, der direkt aus der Hölle kommen musste. Mini-Crescendos en masse, aber zwischendurch auch mal eine flotte, völlig disparate A-Go-Go-Passage, die sich schwer nach James Last anhört. „MacArthur Park“ fangt mindestens viermal neu an und will dann einfach nicht aufhören.

Im Zentrum des Hurricanes hält Harris unbeugsam die Stellung und knödelt gegen den ganzen Krach an, und der Refrain muss wohl bis in alle Ewigkeiten herhalten, wenn in Trashpolls und „Worst of‘-Listen die fundamentalsten Monstrositäten und durchgeknalltesten Schauerlichkeiten der Popgeschichte zusammengetragen werden: „MacArthur Park is melting in die dark/ All the sweet cream icing flowing down/ Someone left die cake out in the rain / 1 don’t think that I can take it /’Cause it took so long to bake it/ And 111 never have the recipe again.“ Kein Mensch (und Jimmy Webb schon gar nicht) hat je schlüssig erklären können, was da was symbolisiert und wie man das bitte schön verstehen soll. Prätentiös? Aber immer! Schaumschlägerei? Mit hoher Wahrscheinlichkeit! Eine hohle Kitschorgie? Kann schon sein! Dennoch würde ich nicht zögern, „Mac Arthur Park“ (das offiziell in den USA Platz 2 und in England Platz 4 erreichte und später ähnlich erfolgreich von den Four Tops, Donna Summer und Waylonjennings gecovert wurde) zu meinen Lieblingssongs dieser ereignisreichen Zeit zu zählen. Zum einen, weil es so gnadenlos over the top war und man etwas ähnlich Bombastisches noch nie gehört hatte. Eine nicht unerhebliche Rolle spielte auch, dass man mit der Single bei einem bestimmten Typ Mädchen Pluspunkte sammeln konnte. Wen man ihnen, bewaffnet mit der „Sing along“-Textrubrik der Bravo, half, den Song zu übersetzen, stellten sie nämlich fest, dass die Sache mit dem Kuchen im Regen frappant dem Schmus glich, den sie selbst in Tagebücher und Poesie-Alben kritzelten – und darüber waren sie so begeistert, dass sie einem kurz mal sonstwohin griffen. Manchmal jedenfalls.

Wie bei allen wirklich großen Songs muss man den Text aber gar nicht in allen Einzelheiten verstehen, um zu kapieren, um was es geht. Beim Rock’n Roll ging’s immer nur ums Ficken, das war klar, und dagegen ist ja auch nichts einzuwenden. Bei solcher Musik aber, von der man allenfalls vermutete, dass es sie geben muss, weil sie ja nur höchst selten in den Hitparaden auftauchte, ging es um den moming öfter, den großen Katzenjammer – darum, wie man mit Stil nach einer ausgelassenen Party die Scherben zusammenkehrt, um eine Ahnung davon, dass alles schlimm enden wird. Okay, das ist in tausenden von Country- und Blues-Nummern auch so, aber die kannte ich damals eben noch nicht – und einen im Regen zerschmelzenden Kuchen hatten sie wahrscheinlich auch nicht zu bieten.

Rasch nacheinander (August und Dezember 68) erschienen dann die beiden Alben, mit denen Harris und V&bb ihre Zusammenarbeit intensivierten: „A Tramp Shilling“ und „The YmlWentOn Forever“. Beide LPs erschienen in den USA ursprünglich auf Dunhill, einem Sublabel von ABC, auf dem diverse unangepasste Freigeister und Wirrköpfe eine musikalische Heimat fanden. Beide steckten in dicken, aufwändigen Klappcovern, die in die Hand zu nehmen heute noch Lustgefühle bereitet, beide zierte in großen Lettern die Aufschrift „All New Jim Webb Originals“, was man wahlweise als Empfehlung oder Warnung auffassen konnte. Und beide musste man einfach haben.

Schon optisch waren sie ein Hochgenuss, zeigten sie doch Richard Harris auf mehreren Fotos als kernigen Burschen, der, obwohl alles andere als taufrisch, verdammt gut und männlich aussah, irgendwie aber immer schwer vom Schicksal geschlagen dreinblickte. Auf der Rückseite von „7ramp“hockt er in einem turmhohen Beichtstuhl, der in einem herbstlichen Park herumsteht, und schaut mit grimmigen Blick ins Leere. Wie auf vielen Bildern aus dieser Zeit trägt er ein rotes Kopftuch, was nicht richtig zu seinen relativ kurzen Haaren passen wilL Die Frontaufhahme von „lind“ ist ähnlich seltsam. In die bildfüllende Schwarzweiß-Aumahme, die die Veranda irgendeiner Bruchbude zeigt, die wahrscheinlich in einem aufgegebenen Goldgräbernest steht, ist ein kleines

Farbfoto hineinkopiert, auf dem Freund Harris zu sehen ist, der – wiederum im Freien – auf einer Holzbank sitzt und den Blick schweifen lässt. Zu seinen Füßen kniet ein weibliches Wesen mit langen, blonden Haaren, das irgendwie den Eindruck vermittelt, dass es gerade mit wenig Erfolg versucht hat, ihm einen zu blasen. Diese Interpretation mochte auf meine überreizte Phantasie zurückzuführen gewesen sein, aber auf geheimnisvolle Weise verströmten die beiden LPs, noch bevor man einen einzigen Ton gehört hatte, die prickelnde Atmosphäre, man könne auf ihnen eine Menge über die hochkomplizierten emotionalen Dinge, die zwischen Männern und Frauen ablaufen, lernen. Als entsprechend harter Brecher erwies sich dann die Musik, auch wenn kein zweiter Song vom Kaliber von „MacArthur Park“ darauf zu finden war. Mit Sicherheit war das nichts, was man mal eben so nebenbei hören konnte. Die wuchtig-kompakten, aber nicht durchgehend überproduzierten Songs verlangten volle Aufmerksamkeit, für die man dann – in Liedern mit so schwermütigen Titeln wie „In The Final Hours“, „If You Must Leave My Life“ oder,,Name Of My Sorrow“ – mit einigen harten Lektionen über die coldhard facts oflife endohnt wurde. Weil Harris, der aufgrund seiner begrenzten vokalen Fähigkeiten praktisch wie ein Puffer zwischen Webbs melodramatischen Intentionen und dem Hörer stand, aber eben dieser „Nicht-Sänger“ war und kein zweiter Scott Walker, glitten sie nie auf das Level larmoyanten Gejammers oder bittersüßer Romantik ab. Kurz, es war der ideale Soundtrack für pubertäre Tagträume, die alle ausschließlich davon handelten, irgendeine Ahnung vom Leben zu haben.

Mit einem Drink nachts am Fenster zu stehen und Richards Harris‘ düsteren Prognosen über die geringe Wahrscheinlichkeit dauerhaften Glücks zuzuhören, das bereitete einen aber mit Sicherheit besser auf die Realitäten dieser Welt vor als etwa – weil wir uns zufallig in diesem mythenbesetzten Jahr befinden – das von keinerlei persönlichen Lebenserfahrung angekränkelte Gelalle eines Rudi Dutschke. Die Arbeitsbeziehung der beiden hochneurotischen und schwierigen Charaktere Harris und Webb ist eine spannende, anfangs amüsante und zum Ende hin recht traurige Geschichte, die sich cn detail in Michael Feeney Callans „A Sporting Life“ nachlesen lässt, meines Wissens das einzige Buch, das es über Harris gibt. Auch als die beiden sich hoffnungslos zerstritten hatten (es ging um einen Rolls Royce, den Harris Webb angeblich versprochen hatte, dann aber nicht rausrücken wollte), eine Disziplin, in der Harris immer groß war, nahm dieser weitere LPs auf. Webb, der kommerziell gesehen allerdings bald sein Pulver verschossen hatte und sich, als die ganz großen Hits ausblieben, darauf verlegte, seine Kompositionen selbst zu singen, überlies ihm gnädigerweise noch den einen oder anderen Song. „My Boy“, 1971 auf Probe (einem Sublabel von Dunhill) erschienen und vonjohnny Harris (nicht verwandt!) produziert, ist viel sparsamer orchestriert (wodurch die Defizite des Sängers natürlich stärker auffallen), inhaltlich aber eine radikal ehrliche, phasenweise wirklich unter die Haut gehende und nie auf das Level reiner Küchenpsychologie absinkende musikalische Umsetzung eines ungelösten, wenn nicht unlösbaren Vater-Sohn-Konfliktes. Das düstere Coverfoto zeigt Harris mit Wlbart, und angeblich war es bei ihm wie wie bei George Best: An der Länge und Beschaffenheit des Gesichtshaars lies sich ablesen, wie stark er gerade trank. Ein Jahr später kam, gleichfalls auf Probe, „Slides“ heraus, abgesehen von diversen Sprechplatten (u.a. Jonathan Linngstone Seagdl“ und eine aufgezeichnete Lesung aus seinem einzigen publizierten Gedichtband „I, In The Membetship OfMy Days“), Harris‘ letzte Hinterlassenschaft auf VinyL „Slidc“, von dem mir völlig unbekannten Kanadier Tony Romeo produziert und auch fast vollständig komponiert, fällt gegen die drei anderen Alben stark ab, nicht nur weil sich darauf kein einziger Song von Jimmy Webb findet Die Platte, die anhand von Schnappschüssen/Dias (daher der Titel) die Erinnerung an mehrere ausgedehnte Wanderungen durch die Naturschönheiten Kanadas beschwört, hat zwar ihre Momente (etwa die schräge Suffballade „Gin Buddy“), zielt aber insgesamt zu plump auf den damals gerade angesagten Markt der Singer/Songwriter ab. Somit stehen vier Alben aus ebenso vielen Jahren zu Buche, was doch eine recht beachdiche Zweitkarriere ergibt Als „A Sporting Life“ 1990 erschien, war Harris im Grunde schon ein vesterday man, mehr nationale Institution Irlands als halbwegs regelmäßig arbeitender Schauspieler, obwohl er es in jenem Jahr mit „The Field“ (wo er mindestens 20Jahre älter aussah, als er war) überraschend noch mal zu einer Oscar-Nominierung brachte und er immer noch – ein ewiges Harris-Markenzeichen – in Interviews und Talkshows die abenteuerlichsten Zukunftsprojekte ankündigte: Filme, Theaterinszenierungen, Gedichtbände, Romane, weitere Schallplatten und jede Menge Wbhltätigkeitsgedöns. Dass er nie, wie bestimmt zwanzigmal versprochen, Brendan Behans „Borstal Boy“ auf die Leinwand brachte, ist das Einzige, was ich Richard Harris jemals übel genommen habe. A sporting /jjfc, das kommt schon hin, denn Harris hat das Leben wahrlich als sportliche Herausforderung genommen, wenn nicht gar als Kampf, ist nie auf Nummer Sicher gegangen und hat sich bei Bedarf mit dem gesamten Rest der Welt angelegt Er war wohl egomanisch, exaltiert und – vielleicht alkoholbedingt – oft kurz vorm Überschnappen. Er strahlte immer eine aggressive Unruhe aus, die man eben mag oder nicht. Er hat es in seiner großen Zeit wahrlich wild getrieben, sich dabei aber nie, wie es heute so viele angebliche Stars ständig tun, wirklich zum Depp gemacht Gleichzeitig galt er als Workaholic, der sich regelrecht in einen Stoff verbeißen konnte, wenn er erst einmal Blut geleckt hatte, und nicht wenige seiner besseren Filme (etwa das vergessene Meisterwerk „Man in the Wilderness“, das viel besser ist als „A Man Called Horse“) forderten ihm zweifellos physische Extremleistungen ab, die ihn, angesichts seines Lebenswandels, früh auspowerten. Kam er aber zurückgenommen daher und legte seine Rollen fast minimalistisch an (z.B. in Martin Ritts unterbewertetem Gewerkschaftsdrama „The Molly Maguires“) überhäufte ihn die Kritik, deren Darling er nie war, mit Spott vom Kaliber JHis three expressions never change“. Mal abgesehen davon, dass das zwei mehr sind, als sie heutzutage „Stars“ wie der hässliche Kartoffelkopp Bruce Willis, der ewige Schulbub Brad Pitt oder die Bürohockerlemure Hugh Grant zu bieten haben, bewies solche Ignoranz nur, dass die allermeisten Leute Richard Harris – abgesehen von Historienschinken wie „Cromwell“ eben in Rollen sehen wollten, wo er vor Vitalität und Tatendrang oft kaum laufen konnte und von denen er natürlich, vor allem in den 70er Jahren, einige zu viel angenommen hatte.

Geht man aber heute bei einem einseitigen Abschiedsdrink seine komplette Filmografie durch, dann fallt es einem wie Schuppen von den Augen, was für eine außergewöhnlich bizarre Karriere er hingelegt hat Am Anfang standen Knaller mit so wüsten Titeln wie „Alive And Kicking“ und „Shake Hands with the Devil“, die man allein dafür gerne wiedersehen würde. Dann kommt, immer noch in Nebenrollen, der nahezu perfekte „Abenteuer auf Hoher See“-Hattrick, der besteht aus „The Wreck of die Mary Deare“ (wo Harris kaum mehr zu tun hat als Gary Cooper fies anzugrinsen), „The Guns of Navarone“ und natürlich Milestones „Mutiny on the Bounty“ (wo man dem ausgemergelten Harris im Gegensatz zu Brando die existenziellen Beweggründe für das Aufbegehren gegen Captain Blighs Terrorregime abnimmt) besteht Ausgerechnet mit einem Vertreter des allseits verpönten Genres Sportfilm den internationalen Durchbruch zu schaffen (Darstellerpreis in Cannes, erste Oscar-Nominierung), war, auch wenn es in „This Sporting Life“ „nur“ um Rugby geht (Harris betrieb dieses Raufspiel in Jungenjahren übrigens auf semiprofessioneller Basis), natürlich ein fast schon genialer Streich. Als tragisch muss dagegen beinahe schon bezeichnet werden, dass ein weiterer, inzwischen ultrararer Sportfilm sich für Harris 1971 als herber Reinfall erwies: JBloomfield“, von Harris persönlich inszeniert und teilfinanziert, ist ein Fußballfilm, der in Israel spielt und in dem Romy Schneider eine Hauptrolle hat Und da wir über prätentiösen Stuss wie Antonionis „Deserto Rosso“ oder kommerziellen Mumpitz wie die,,Harry Potter“-Quälereien gnädig den Mantel des Schweigens decken wollen, sein Part als Richard Löwenherz in Lesters „Robin and Marian“ zu klein ist er in Eastwoods „Unforgiven“ von Gene Hackman überschattet wird, und ich wenig Drang verspüre, mich über Peckinpahs Trümmerfeld“Major Dundee“ auszulassen, wären damit wohl die besten, wichtigsten Harris-Filme genannt „MacArthur Park“ aber toppt sie natürlich alle.

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