Eine Band-Generation, die Sportjacken trug und „ich“ sagte. Tocotronic sind längst weiter, aber waren die Vorbilder des BEFINDLICHKEITS-POP

Blumfeld wurden beStaunt, geliebt, diskutiert, kaum imitiert. Erst, als 1995 die Tocotronic-Debüt-Platte "Digital ist besser" kam, fingen studentische Gitarristen an, Bands zu gründen oder deutsche Texte für die Bands zu schreiben, die es schon seit "Nevermind" gab. Bei Tocotronic hatte keiner die Zwangsvorstellung, etwas nicht verstanden zu haben - den Song-Slogan "Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein" gab es auf T-Shirts, die Nicht-Kenntnis von Thomas Bernhard und E.M.Cioran, auf die die Band in Interviews verwies, verstellte einem nichts. Das war Punk, Dinosaur Jr., das unpeinliche Sentiment, die langen Sätze, der Mut zum unkorrekten Hass. Das Missverständnis, man müsse trotzdem nicht unbedingt etwas zu sagen haben, ermutigte dann selbst Major-Labels, junge Bands in Fußballhemden nachmittags in den Alterna-Tents der Festivals spielen zu lassen. Alle waren peinlichst bemüht, den Namen Tocotronic bloß nicht zu nennen, aber die Originale mussten schwer gegen die Festschreibungen kämpfen. Man sieht: mit Erfolg.

Samba – „Zuckerkick“ (1996)

Die Band aus Münster, die aus drei Gründen nie eine Chance hatte: Sie kam ganz kurz nach Tocotronic, sie benannte sich programmatisch nach einem Fußballschuh, sie wurde gleich mit der ersten Platte von Sony ins Rennen gegen die Hamburger Indies geschickt – und chartete nicht Samba erfüllten die Grundvoraussetzungen, schmissen (von Chris von Rautenkranz aus Hamburg produziert!) die Gitarren oft wie Motorsägen an, sangen unrockig. Zum Beispiel: „Ich seh gern fern und bin dafür auch nicht helle, ich geh gern mal zur Lotto-Annahmestelle.“ Die „taz“ sprach von einer „strategischen Platte“, „Spex“ distanzierte sich und warf der Gruppe sexistische Texte vor. Samba gibt es noch immer. Mittlerweile sind sie gut.

Rekord – „Curling“ (1997)

Weil Marek Lieberbergs Sohn die Wiesbadener Band Rekord für sein Indie-Label unter Vertrag nahm, durfte sie noch vor der ersten Veröffentlichung bei „Rock am Ring“ auftreten. Vorher hatte sie den provinziellen Heimatkreis bespielt, der für Rekord eine textliche Blaupause war wie für Tocotronic die Studentenhölle Freiburg: WG-Episoden („Karlstr. 13“), Liebesgeschichten („Eifersucht ist es nicht“). Natürlich hatte es die Band lange vorher gegeben (mit englischen Texten), natürlich berief sie sich auf die Punk-Band Boxhamsters und ein bisschen auf Blumfeld, aber das unscharfe, farbstichige Coverfoto des ersten Albums, die Sport-T-Shirts und ein Haufen Alltags-Reizwörter in den Texten verwiesen auf die ungenannte Quelle.

Splendid – „EP“ (1997)

Niemand musste lange raten: „Drinnen spielen sie ‚Live Forever‘, und ich wünsche mir, es wäre meine Wirklichkeit“, sang Benedikt Köhler von Splendid aus München in „Bei nur sein“. Oasis auf Deutsch, kaum kaschiert, etwas empfindsamerer ladism: Man ließ sich auch mit Dosenbier fotografieren. Ein möglicher Pfad durch das mittlerweile weit aufgerissene Feld für Jungsbands, der die Sportfreunde Stiller vor kurzem in die Top Ten geführt hat. Auf dem „Blickpunkt Pop“-Label von Sportfreunde-Manager Marc Liebscher kam die Splendid-EP heraus, im weiteren bayrischen Umfeld spielen Readymade, Slut, die Monostars, in Weilheim The Notwist Bands, die ihre Anregungen offensichtlich nicht aus Hamburg holten.

Unser kleiner Dackel – „Es ist nicht immer leicht, eine tödliche Bombe loszuwerden“ (1998)

Dort, wo keine Plattenfirma hinguckte, blühte der neue, gut artikulierte Pop in selbstgebastelten Mini-Netzwerken. Fanzines statt Schülerzeitungen, Kassetten-Alben statt Demo-Tapes. In Mühlacker bei Stuttgart ließ sich Björn Sonnenberg, angyyoung Essayist, Texter und Sänger der Teenager-Band Unser kleiner Dackel, zu offenen Tocotronic-Tributes wie „Frag mich bitte nicht, wie es mir geht“ inspirieren, wurde in der Frustration aber politisch konkreter: „Ich dachte immer, ich könnte ein kleines bisschen wie Rudi Dutschke sein, doch es wollte einfach niemand auf mich schießen.“ Die Band tourt und veröffentlicht noch immer unablässig.

Tomte – „Eine sonnige Nacht“ (2000)

Thees Uhlmann, ähnlich rastloser Fanzine-Autor, Songschreiber und UberaLL-Mitreder aus Hamburg, wurde selbst scheuklappigsten Tocotronic-Freunden (die damals schon begannen, ihre Sportjacken-Sammlungen über die Fan-Website zu versteigern) bekannt, als er ein Tourtagebuch mit Erlebnissen als Roadie der Band veröffentlichte. Auf dem zweiten Album seiner eigenen Gruppe Tomte gab er larmoyant und moderat rockend einen Rippenstoß an die Smiths („Wilhelm, das war nichts“), sang für den Schalke-Spieler Yves Eigenrauch und für sich selbst: „Es muss schwierig sein, mich zu verstehen, warum ich mich gut mit Thees versteh.“ Und das Ding begann, sich immer mehr im Kreis zu drehen.

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