Einer für alles

ENN JUSTUS KÖHNcke über seine Musik spricht, formuliert er gern schmissige Slogans. „Mein Cover lügt nicht!“ ist so einer. Die Optik des neuen Albums zeigt ihn als Multiinstrumentalisten aus der Fußgängerzone: Auf dem Rücken schultert er eine Bassdrum und allerlei Schlagzeugzubehör. Am Oberarm blinkt ein Schellenkranz. Vorne baumelt hochkant ein analoger Synthesizer, der in dieser Position ausschaut wie ein Akkordeon.

Der Elektroniker als Ein-Mann-Orchester -nahezu die gesamte Produktion von „Justus Köhncke & The Wonderful Frequency Band“ hat er alleine durchgezogen. Lediglich zwei Gastsänger, darunter der alte Spannmann Eric D. Clark, unterstützen ihn bei einzelnen Songs. Und das von fern an Brian Wilsons Pop-Symphonien aus der „Pet Sounds“-Ära erinnernde Titelstück entstand in Zusammenarbeit mit Andi Toma von Mouse On Mars, der milde Gitarrentöne und eine Pedal Steel einbrachte.

Willkommen in Köhnckes spleenigem Elektroland. Nachdem ihn der 1996er-Club-Ohrwurm „From Disco To Disco“ mit den Kölner Kollegen von Whirlpool Productions zu einer kurzen, hysterischen Nummer-eins-Prominenz in Italien führte, machte sich Köhncke Ende der Neunziger mit den Alben „Spiralen der Erinnerung“, „Was ist Musik“(2002) und „Doppelleben“(2005) selbstständig. Anfangs coverte er Neil Young und die Wings und übertrug sein immenses Wissen aus der analogen Musikwelt in die Elektronik: Velvet Underground stand im elterlichen Plattenregal. „Frederick“ von Patti Smith verehrte er mit 13. Und „Love And Dancing“ von Human League zählt zu seinen absoluten Favoriten der frühen Achtziger. Ein digitaler Singer/Songwriter, der als Teenager in Gießen kurz auf die Punkgitarre gedroschen hat, um fortan als „Computernerd“ (Köhncke über Köhncke) fasziniert von den Möglichkeiten des Samplings das Musikmachen neu zu entdecken. „Wie im Hip-Hop greift man sich einfach einen Loop von einer Platte und hat sein eigenes Stück Musik. Ein Readymade halt“, sagt er. „Dieses Prinzip haben wir dann bei der ersten LP von Whirlpool Productions auf House-Music übertragen. Auf diese Weise bin ich doit-yourself-mäßig in die Produzentenszene eingestiegen.“ Und nebenbei hat er noch ein Fachbuch für Desktop-Publishing veröffentlicht.

„Alles Schnee von gestern“, winkt Köhncke ab. Mit seinem fünften Soloalbum ist die Sampling-Faszination der Frühphase nun endgültig abgehakt. „Es gibt keine Samples auf der Platte, kein einziges“, sagt der bärtige Elektropopper. „Wenn etwa die Tastentupfer in ‚A New Direction‘ an den House-Klassiker ‚Homeless‘ von Crystal Waters erinnern, dann habe ich nur den gleichen Orgelsound Korg M 1 Organ Two verwendet, als kleine Hommage.“ Sein neues Album ist eine Art Opus Magnum, das Köhnckes verschiedene Schaffensphasen zusammenführt. Mit Kombinationen, die für das Mainstream-Ohr aus der Spur driften. Wenn etwa ein flotter Disco-House-Beat mit der monotonen Titelzeile „Flitter und Tand“ gekontert wird oder wenn schroffe Chicago-House-Beats mit feinen Melodien abgeschmeckt werden. „A New Direction“ ist ein schwebender Discotrack, „Now That I Found You“ eine toll aufbereitete Coverversion der britischen Northern-Soul-Truppe The Foundations. Clubmusik, die das Wissen der Popkultur in sich trägt. „Es war einfach wieder Zeit für eine Gesamtaussage, statt vereinzelter Tracks und Remixe“, erklärt Köhncke. „Auch wenn wir nicht mehr in der Zeit der Alben leben.“

Bei seinem letzten Album, „Safe And Sound“, hatte Köhncke bewusst auf Texte verzichtet – es sollte eine Platte für die Tanzflächen sein. Gleichzeitig erfand er das singende Alter Ego Kinky Justice, um die Serie mit wohlfeilen Coverversionen fortzusetzen – von Velvet Underground bis Todd Rundgren. Und mit Alexis Taylor von Hot Chip lotet er im gemeinsamen Projekt Fainting By Numbers die Grenzen des englischsprachigen Elektro-Popsongs aus. Auf „Justus Köhncke &The Wonderful Frequency Band“ singt er deutsch.

Die Album-Premiere findet in der gediegenen Trust-Bar am Hackeschen Markt in Berlin statt. Nicht abgeranzt, wie sonst im Nachtleben der Hauptstadt, sondern dunkel holzvertäfelt, ganz alte Disco-Ära. Köhncke steht mit seinem Rechner hinter dem Plattendeck und singt – eigenwillig monoton mit hypnotischer Stimme über hüpfende Elektro-Rhythmen. „Hallo Selbstgespräch, mein alter Freund, habe neulich erst von dir geträumt. Mit deiner Hilfe bin ich aufgeräumt – für die Wirklichkeit!“ Schlager 3.0. Elektro-Pop 2014.

„Ich bin wieder zu kleinen deutschsprachigen Songs zurückgekehrt“, sagt Köhncke. „Und natürlich habe ich nichts gegen einen richtigen Hit. Doch dieses gezielte Arbeiten für die Mainstream-Charts – das liegt mir einfach nicht. Ich bin ja immer noch überzeugt, dass die wirklich nachhaltigen Hits ohne Planung passieren, wie ‚Blue Monday‘. Oder eben ‚From Disco To Disco‘.“ Wie sein altes Elektro-Pop-Trio Whirlpool Productions, hat auch Köhncke solo die größten Erfolge im Ausland. 1.500 Leute kommen, wenn er in Glasgow auftritt , die USA und Mexiko gehören zu seinem Tourplan. Und mit „Nü German Techno Soul“ hat ein Kritiker der „Seattle Weekly“ gar ein eigenes Genre für Köhnckes Kombination aus Elektronik und sperrigem Gesang erfunden. In der Clubszene fühle er sich noch immer wohl, sagt der Mittvierziger, „als Johnny Cash der Disco!“ Dann stutzt er und schiebt schnell hinterher: „Aber Nachdenken über das Alter ist nicht zielführend. Und wenn alle Stricke reißen, muss ich halt meinen Traum verwirklichen, und so was wie Beatrice Egli produzieren. Auch wenn die Sounds des neuen Schlagers bislang extrem konservativ sind. Aber das kann sich ja ändern.“

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