Einige reden wieder vom Autorenfilm, da geben Sönke Wortmann und Rainer Kaufmann dem Deutschen Kino etwas Hoffnung

Lola rannte durch Berlin und rettete im vergangenen Sommer ein wenig das deutsche Kinojahr. Das Desaster begann ausgerechnet mit Sönke Wortmanns „Der Campus“. Sein 50er-Jahre-Muff war kaum schlechter als der sonstige Spießerspaß, offenbarte nun aber auch kommerziell das Elend des deutschen Kinos in den Neunzigern. Doris Dörries „Bin ich schön?“ (angestrengt) und Detlev Bucks „Liebe Deine Nächste!“ (übermotiviert) scheiterten mit Unvermögen an recht passablen Visionen. Und während der Jungregisseur Hans-Christian Schmid mit der kleinen Hacker-Paranoia „23“ alle überflügeln sollte, versenkte der überschätzte Überflieger Thomas Jahn das Klamauk-Konvolut „Kai Rabe gegen die Vatikankiller“, Til Schweiger seinen „Eisbär“-Killer und zuletzt gar Helmut Dietl mit „Late Show“ die vorerst letzte Hoffnung auf schnelle Besserung.

Von saisonalen Ausreißern wie „Kockin‘ On Heavens Door“, „Comedian Harmonists“ oder „Lola rennt“ abgesehen, klappt sowieso kaum etwas ohne Bernd Eichinger und seine Firma Constantin. Der Pate hiesigen Filmschaffens, beneidet um Ehrgeiz und Erfolg, gefallt sich durchaus als der bad guy des Konsum-Kinos, während Wortmann zunehmend darunter zu leiden schien, bei „Der bewegte Mann“ und „Das Superweib“ als Handwerker und Handlanger gescholten zu werden, der seinem Produzenten mit Vorliebe für die Adaptionen von Bestsellern adrette Rahmen zimmert Dabei wurde der Absolvent der Film-Hochschule München für „Allein unter Frauen“ und „Kleine Haie“ noch allseits gepriesen.

Nun hat sich der nette Bursche, der sich in Gesprächen mit Kritikern zwischen Selbstzweifehl und Beschwichtigungen zerquält, vom Mammon seines Mentors emanzipiert und mit „St. Pauli Nacht“ (ab 2.9.) ein Kaleidoskop aus Topographie und Typen der Reeperbann realisiert. Nach Wedels Kiez-Kolportage „Der König von St. Pauli“ glaubte man an ein Selbstmordunterfangen, das gewiß zu werden schien, als die Wahrzeichen des Hamburger Hafens einzelnd überblendet werden wie bei einem Kinospot der Tourismus-Zentrale für eine lokale Grillstube. Von der Abenddämmerung bis zum Morgengrauen, zwischen plakativen, zum Mythos von der sündigen Meile der Sehnsüchte und Tragödien breitgetretenen Topoi aus Huren und Herbertstraße, Freiern, Luden und Junkies, Nobelrestaurants und Absturzkneipen, verkettet Wortmann auf verschiedenen Zeitebenen mehrere Schicksale: Ein von seiner Ehefrau betrogener Postbote (brillant: Armin Rohde) dreht im Suff in einem Puff durch und bestimmt so den Lauf der Dinge – und fast unmerklich entsteht eine intensive, authentische Impression urbaner Trivialität Mag er auch Altmans „Short Cuts“ nacheifern, es ist seine beste Arbeit bisher.

Rainer Kaufmann, der bei „Stadtgespräch“ sehr und mit „Die Apothekerin“ etwas weniger unangenehm auffiel, hat sich ebenfalls in Hamburg ins künstlerische Exil zurückgezogen. In „The Long Hello & Short Goodbye“ (ab 13.7.) hantiert er mit schrägen Kamera-Perspektiven, grobkörnigen Bildern, Zeitlupe und Rückblenden. Bei den visuellen Mätzchen offenbar von „Lola rennt“ beeinflußt, erzählt er die autistische Liebe einer Polizistin zu einem Tresorknacker, auf den sie geheim angesetzt wurde. Marc Hosemann zitiert dabei Al Pacino in „Hundstage“, und Nicolette Krebitz erweist sich mit Siebziger-Klamotten, schmodmundiger Raffinesse und schnippischer Infantilität als aufregendste Schauspielerin zur Zeit. Etwas von Godards „Außer Atem“ schwingt in der Liason mit, die trocken-pointierten Dialoge, stilisierten Waffen und Kleinigkeiten des Alltags gemahnen an Tarantino und der kühle Krimi-Plot an Melville. Wie bei Wortmann schafft es auch Kaufmanns verästelter Film erst nach einiger Zeit, sich vom Eindruck der Stilübung zu lösen, bei der laute soundscapes und flashbacks nerven. Dann bricht unter der bizarr-komischen Oberfläche, auf der er manieriert-virtuos mit Stereotypen des Film noir jongliert, die Verletzlichkeit der konfusen Charaktere hervor.

Wortmann und Kaufmann symbolisieren einen hoffnungsvollen Wandel, werden damit aber wohl nicht mal die knappe Zuschauermillion von „Aimée & Jaguar“ und „Pünktchen und Anton“ erreichen. Statt dessen wird es Constantin wieder mit „Werner-Volles Rooäää“ kesseln lassen und so die Statistik und den Status des notorisch einfalls- wie erfolglosen deutschen Films verfalschen.

So flaniert Kulturminister Michael Naumann rührig-ahnungslos mit seinem „Bündnis für Film“ durch die Festival-Lounges, verwest Volker Schlöndorf in Babelsberg die alte Ufa-Pracht rechnet Eichinger irre Budgets vor, die sich hier niemand leisten kann, schwatzen Filmkritiker mit dem Berlinale-Preisträger „Nachtgestalten“ und Cannes-Beitrag „Wege in die Nacht“ die Rückkehr des Autorenfilms herbei, in den erst recht keiner reinrennt.

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