Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Album curiosum

Wie einer einmal glückselig eine Platte erstand, deren kryptischer Titel lange Zeit Rätsel aufgab.

Folge 108

Vor einigen Monaten veröffentlichte der ROLLING STONE die Liste „Die 100 besten Alben (die keiner kennt)“. Eine Platte, über die ich längst schon mal etwas schreiben wollte, ist mir bei meiner Einreichung leider durchgegangen. Vielleicht eignet sie sich aber auch besser für die Liste „Die 100 sonderbarsten Platten (die womöglich zu Recht keiner kennt)“.

Mehr zum Thema
Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Christian Regenbogen an der Trance-Theke

Auf die Band Barefoot Jerry wurde ich aufmerksam, als ich feststellte, dass mein Lieblings­drummer, der 2004 verstorbene Nashville-Crack Kenny Buttrey, sein schlagzeugerisches Wirken zu Beginn der Siebziger Jahre in den Dienst dieser Gruppe gestellt hatte. Buttrey, der wie die anderen Mitglieder der Studiomusiker-Szene von Nashville angehörte, spielte unter anderem auf Dylans „Blonde On Blonde“ und Neil Youngs „Harvest“ – ein Mann, der es stets verstand, dem Song zu dienen, dessen Drum-Parts man gleichwohl auch vom musikalischen Rest isoliert auf Platte pressen könnte und damit für wohlige Schauer der Glückseligkeit sorgen würde. Wer Buttrey in Vollendung erleben möchte, der höre sich Dylans „Absolutely Sweet Marie“ an: Wie sich Schlagzeuger und Sänger hier gegenseitig befeuern, gehört zu den Sternstunden der alpenländischen Stollentischschnitzkunst. Neil Young wiederum wies Buttrey an, so reduziert zu spielen wie nur eben möglich. Der tat sein bestes Wenigstes, doch Young wollte es noch karger haben und verdonnerte den Musiker dazu, nur mit der linken Hand zu spielen. Man sollte jede Platte besitzen, auf der Kenny Buttrey spielt.

Kenny Buttrey
Kenny Buttrey führte unseren Kolumnisten zu einer kuriosen Platte

Ein Barefoot-Jerry-Album als Kuriosum

Umso erfreuter war ich, als ich vor Jahren auf ein gut erhaltenes Barefoot-Jerry-Album stieß. Selbst das Cover konnte mich nicht schrecken: Es zeigt im Stile naiver Hippie-Malerei gehaltene bloße Füße, die in einer idealisierten Landschaft herumstehen. Darüber steht in handgeschriebenen Lettern „KUCR.“ „Toll, das Album „KUCR“ von Barefoot Jerry mit Kenny Buttrey!“, freute ich mich laut, zahlte und verließ den Laden mit glühenden Wangen.
Erst zu Hause stellte ich fest, dass Buttrey bei Erscheinen von „KUCR“ gar nicht mehr dabei war – und dass die Platte keineswegs „KUCR“ hieß. Tatsächlich verhielt es sich so, dass der Vorbesitzer der Platte – vermutlich ein Kunibert Cryzlowski – sein Namenskürzel mit Edding auf die Platte gekrakelt hatte, und zwar ausgesprochen prominent: mitten über die fiesen Füße. Der dritte Schock: Bei dem Werk handelt es sich keineswegs um eine vergessene Glanztat.

Das Album stellt ein Kuriosum dar: Auf „KUCR“ – das tatsächlich einfach nur „Barefoot Jerry“ heißt und im Jahr 1972 veröffentlicht wurde – offerieren die Musiker um Bandchef Wayne Moss (spielte u. a. das Riff auf Roy Orbisons „Pretty Woman“) eine oft irritie­rende Synthese aus klassischen Nashville-Sounds, Southern Rock – und Prog! Manchmal tönt es, als hätten Genesis unter der Führung eines phlegmatischen Ersatzfrontmanns versucht, ein Country-Album aufzunehmen. Das Album beginnt unspektakulär: Das Auftaktstück ist Mucker-Bluesrock mit unpassenden Synthiesounds, die damals irre modern gewirkt haben müssen. „In God We Trust“ und „Message“ zeigen die Band in fragwürdiger Vollendung: Ersteres ist Prog-Blues mit sakralen Sprengseln und Windspiel, Letzteres ein gespreizter Countryfunk-Versuch mit bedenklichen Gitarrensounds und Beinahe­schlagzeugsolo (Textprobe: „This song ain’t got no message …“). Seite zwei eröffnet mit einem 53-sekündigen Instrumental, das den gescheiterten Versuch dokumentiert, Country und Jazzrock zu fusionieren. Es gibt auch ein Stück mit dem Titel „Fish ’N’ Tits“, auch dies gottlob ein Instrumental.

Youtube Placeholder
An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

„KUCR“ ist ein veritabler Bauchklatscher der amerikanischen Rockmusik und zeigt, was passiert, wenn geniale Begleitmusiker plötzlich den inneren Songwriter entdecken. Doch man verstehe mich nicht miss: Ich habe dieses Album sehr gern. Ich würde mir mehr Platten wünschen, die so sympathisch auf die Nase fallen wie diese. Eben erfahre ich, dass KUCR ein amerikanischer Radiosender und mein Exemplar wohl eine Promoplatte ist. Kunibert Cryzlowski muss sich also nicht vor Gram über die voreilige Weggabe dieses Albums verzehren.

GAB Archive Redferns
Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates