Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Alle lieben Mirco, das sexy Ding

Über Liedtext-Verhörereien, und warum die Zeit wieder mal reif für "deutsche Spezialversionen" wäre

Folge 109

Es muss in den späten Siebzigern gewesen sein, als ich erstmals Hot Chocolates „You Sexy Thing“ (1976 No 2 in GB) hörte. Ich fand es damals – wohl nicht zuletzt aufgrund meiner mangelnden Weltläufigkeit – vollkommen schlüssig, dass der Sänger im Refrain „Alle lieben Mirco“ singt. Tatsächlich lautet die Refrainzeile natürlich „I believe in miracles“, was im Kontext des übrigen Texts deutlich sinnstiftender ist als der von mir herausgehörte Verweis auf die immense Popularität eines gewissen Mirco. Aber für einen achtjährigen Jungen aus Voiswinkel bei Bergisch Gladbach hieß es eben „Alle lieben Mirco“.

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Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass die Zeit der Liedtext-Verhörereien bei mir, nun, da ich schlafwandlerisch das Parkett der internationalen Song-Exegese betänzele, der Vergangenheit angehört. Erst gestern aber wurde mir klar, dass ich jahrzehntelang eine Zeile der großen Go-Betweens falsch verstanden habe. Der betreffende Satz fällt im gerade zu Frühlingszeiten dringend immer wieder und wieder zu hörenden Lied „Streets of Your Town“ (1988 No 80 in GB). Grant McLennan singt: „ … and this town is full of bad advice“. Was aber verstand ich bis vor wenigen Tagen? Ich verstand: „ … and this town is full of bad wives“. Es löst ein ganz sonderbares Gefühl in mir aus, jahrelang ernsthaft gedacht zu haben, McLennan singe in dem Stück von „bad wives“.

Kommt in allen schlechten Komödien vor

Ursprünglich war Hot Chocolates „You Sexy Thing“ nur eine B-Seite des Stücks „Blue Night“. Produzent Mickie Most, der offenbar in Punkto A-und-B-Seitenbestückung das Sagen hatte, sprach dem Stück schlicht keine Hitqualitäten zu. Erst nachdem er es neu abgemischt hatte, wurde es für würdig befunden, auf eine A-Seite geklatscht zu werden. Wie beliebt das lüsterne Lied bis heute ist, lässt sich auch daraus ablesen, dass es immer wieder in Filmen zum Einsatz kommt. So etwa in „Reservoir Dogs“, „About Schmidt“ und „Boogie Nights“. Aber auch in „Bicentennial Man“, „Rat Race“, „Dude, Where’s my Car?“, „Male Gigolo“, „Grown Ups“, „Deuce Bigglow“ „Big Mommas: Like Father, Like Son“ und „Nick and Norah’s Infinite Playlist“. Eigentlich also in nahezu allen spießigen Schrottkomödien der letzten 20 Jahre. Jedem Cineastenkränzchen, dem es gelingt, in der langen Hot-Chocolate-Filmnacht alle Filme zu schauen, in denen „You Sexy Thing“ vorkommt, sei an dieser Stelle meine Hochachtung ausgesprochen. Ehrlich gesagt: Jedem Menschen, dem es gelingt, auch nur zehn Minuten von „Big Mommas: Like Father, Like Son“ durchzusitzen, gebührt bereits meine Hochachtung. Sagt es etwas über die Qualität von „You Sexy Thing“ aus, dass das Lied offenbar unter Soundtrackzusammenstellern ausnehmend schlechter Komödien so beliebt ist? Ich weiß es nicht.

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„Streets of your Town“ wiederum war die kommerziell erfolgreichste Single der Go-Betweens und stellt einen der schönsten Fälle von „finsterer Text auf heiterer Melodie“ dar. Grant McLennan hatte „Under The Milky Way“ von der Band The Church gehört und wollte wohl etwas Ähnliches schreiben. Die originale Go-Betweens-Version von “Streets of Your, Town“ fand lediglich in einem Film, dem Drama „The Black Balloon“, Verwendung. Vielleicht weil das Stück, wie viele große Songs, ohnehin selbst schon ein Film ist. Sogar U2 erkannten die Qualität des Liedes: Als Reaktion auf Grant McLennans Tod baute die Band wenige Tage darauf beim Auftritt in McLennans Heimatstadt Brisbane einen Teil des Liedes in „With or Without You“ ein. Besondere Erwähnung verdient auch Amanda Browns toller Chorgesang und … Ach, wissen Sie was: Eigentlich sollte jeder Mensch, der diesen Tag nicht ungenutzt verstreichen lassen will, sofort „Streets of Your Town“ hören.

Fehlte nur noch Zander

Schade, dass Frank Zander nie eine deutsche Blödel-Version von „You Sexy Thing“ mit dem Titel „Alle lieben Mirco“ herausgebracht hat. In den späten Siebzigern und frühen Achtzigern waren derlei Verlustigungen bekannter Hits bekanntlich an der popkulturellen Tagesordnung. Hätte ich wirklich all das Geld, von dem Leute immer wieder annehmen, dass ich es habe, ich würde versuchen, damit Frank Zander zu bewegen, die „deutsche Spezialversion“ (wie es damals auf Singles-Covern von Zander, Krüger, Hallervorden bisweilen hieß) jetzt noch rasch aufzunehmen. Nur für mich.

Für alle Leute, die sich für uninteressante Sachen interessieren: Meine liebsten Spezial-Blödel-Fassungen großer Charterfolge sind Mike Krügers „Seit ich hier wohne“ (Original: Bino – „Mama Leone“), Dieter Hallervordens „Punker Maria“ (Original: Oliver Onions „Santa Maria) und „Ein Korn im Feldbett“ von Fips Apsmussen, dem „H.P. Baxter der Blödelszene“ (Spex).

Eben lese ich bei Wikipedia, dass die oben erwähnte McLennan-Zeile aus „Streets of Your Town“ wie folgt lautet: „… and this town is full of battered wives“. Ja, wie denn nun? Verrückte Popmusik …

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