Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Durch die Bassdrum betrachtet

Der Schlagzeuger ist das faszinierendste Mitglied einer Band. Unzählige Witze werden über ihn gemacht. Nur über singende Trommler kann man nicht lachen


Folge 73

Ein international beliebter Schlagzeugerwitz: How can you tell a drummer’s at the door? – The knocking speeds up. Noch einer: How can you tell a drummer’s at the door? – He doesn’t know when to come in. 

Man kann ja vieles sammeln: Schallplatten, Topflappen oder Fotos von Leuten, die aussehen wie Carlos Santana. Ich sammle Geschichten über Schlagzeuger. Zum einen weil ich selbst mal einer war, zum anderen weil Schlagzeuger oft die faszinierendsten Typen einer Band sind. Ich glaube, man kann die gesamte Geschichte des Rock’n’Roll sehr gut aus der Perspektive der, meist im Bühnenhinteren platzierten, Rhythmusverantwortlichen erzählen. Vielleicht schreibe ich ja irgendwann ein Buch mit dem Titel „The drummer’s view – Die Geschichte der Rockmusik, durch die Bassdrum betrachtet“ oder so ähnlich. Über einige Schlagzeuger habe ich hier ja schon berichtet (Moon, Buttrey, Liebezeit). Heute sei auf ein paar andere schillernde Vertreter ihrer Zunft hingewiesen: Männer, die ihren jeweiligen Bands ein musikalisches Fundament bauten, die aber, sobald sie das Trommelbesteck aus der Hand legten, recht exzentrische Züge aufwiesen. (Manche legten diese Exzentrik freilich auch an den Tag, während sie die Trommelstöcke noch in Händen führten.)

Zu Beginn ein populärer Vertreter: Ringo Starr, der wohl einzige Schlagzeuger, der von sich behaupten kann, zeitweilig durch Paul McCartney ersetzt worden zu sein. Überhaupt eine Type, dieser Starr: Der von Lennon komponierte Auftaktsong seines Solo-Albums „Ringo“ trägt den Titel „I’m The Greatest“. Zwei Jahre zuvor spielte Starr in dem Spaghettiwestern „Blindman der Vollstrecker“ einen mexikanischen Strauchdieb namens Candy (!). Später heiratete er ein Bond-Girl, in das er sich während der Dreharbeiten zu einem Film verguckt hatte, in dem er den titelgebenden Höhlenmenschen mimte.

Der große Session-Schlagzeuger Jim Keltner, ein eher zurückhaltender Mann, spielte niemals einen Höhlenmenschen, dafür soll er, während er mit Dylan  „Knockin’ On Heaven’s Door“ einspielte, vor Ergriffenheit geweint haben. Moe Tucker wiederum fiel durch zweierlei auf: ihr genialisches Minimalistengeklopfe bei Velvet Underground – und ihr Engagement für die konservative Tea-Party-Bewegung im Jahr 2009. Definitiv too far out für die Tea Party dürfte der ehemalige Pavement-Schlagzeuger Steve West gewesen sein. West, der einen ungebremsten Hippie-Lifestyle pflegte, soll Pavement immer als Nachfolger von Yes gesehen haben. Bei einem Konzert in den frühen Neunzigern stand er am Halleneingang und verteilte aufgesammelte Laubblätter unter den Konzertgästen.

Eine eigene Kategorie sind Schlagzeuger, die gleichzeitig auch noch als Vokalisten in Erscheinung treten. Ich tue mich schwer mit Menschen, die beim Verrichten rhythmischer Arbeit auch noch meinen, singen zu müssen (Levon Helm und Robert Wyatt mal ausgenommen). Am schlimmsten finde ich Don Henley und Phil Collins, die meiner bescheidenen Meinung nach besser beide mal ein paar Höhlenmenschen hätten spielen sollen. Phil Collins’ Wirken als singender Trommler rief sogar Nachahmer auf den Plan: Noch im Erscheinungsjahr von Collins’ „In The Air Tonight“ veröffentlichte der Holländer Max Werner die Single „Rain In May“, die den Collins-Sound originalgetreu zu kopieren bemüht war. Den weißen Overall, den Werner bei seinem Besuch in Ilja Richters „Disco“ trug, würde ich fast als den Gipfel schlagzeugerischer Exzentrik bezeichnen – wäre da nicht Charlie Watts …

Charlie Watts braucht weder Tea Partys noch Overalls, um seine Sonderhaftigkeit unter Beweis zu stellen. Sie ist vielmehr auf jeder einzelnen Aufnahme seiner Stammband zu hören: Watts hat nämlich die Eigenart, bei jedem Snare-Schlag mit der Hi-Hat auszusetzen. Für Uneingeweihte: So verfahren eigentlich nur blutige Anfänger. Warum tut der gelernte Jazzer Watts das? Auf unzähligen Schlagzeugerkongressen wird tagtäglich versucht, es herauszufinden, und – Sekunde, ein immer schneller werdendes Türklopfen ist zu vernehmen. Toll, Dave Grohl ist in der Stadt!

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